Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar. Roman Nies
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Man fand eine Isis-Inschrift mit einer auffälligen Ähnlichkeit in der Ansprache verglichen mit der späteren Mutter Gottes der Katholiken: „Göttin, Isis, die eine, die du alles bist“. *40 Es war üblich, jeden Morgen das Gottesbild der Isis einzukleiden, zu besprengen, einzuräuchern und Speisen vorzulegen. Besonders in Italien haben sich viele Inschriften und Artefakte aus jener Zeit erhalten. So manche Namensinschrift der Isis dürfte durch den Namen der Gottesmutter ersetzt worden sein. Den Rest konnte man stehen lassen. Gerade in südeuropäischen Ländern, wo die Maria besonders stark verehrt und in eigenen Festen und Umzügen gefeiert wird, haben sich viele Gebräuche erhalten, die bis in die vorchristliche Zeit zurückgeführt werden können, die aber inzwischen auf die katholische Maria übergesprungen sind. *41
Zu den kulturell-gesellschaftlichen Verhältnissen der damaligen Zeit gehörte auch das Selbstverständnis, dass man die Herrscher als Abbild von Gottheiten verstand. Alexander der Große war nicht lange tot, da begann man ihn schon als Gott zu verehren. Dass sich auch die römischen Kaiser über die Zuweisung göttlicher Weihen seitens ihrer Untertanen erfreuten und dies zum Teil auch einforderten, ist allgemein bekannt. Schließlich war das auch mit ein Anklagepunkt bei der Verurteilung von Jesus und dann der ersten Christen, als sie den Kaiser nicht als Herrscher von göttlichen Gnaden die Verehrung zukommen ließen, die der Staat erwartete. Viele Christen wurden daraufhin getestet, inwieweit sie loyale Mitbewohner des Römischen Reiches waren. Eigentlich hatten sie dabei nichts zu befürchten (Röm 13,1). Wenn sie jedoch aufgefordert waren, vor dem Opferaltar des Kaisers, der in den Tempeln der verschiedenen Gottheiten auch dabeistand, zu opfern und sich weigerten, erlitten sie Repressalien, die zeitweise soweit gehen konnten, dass man auch vor Hinrichtungen nicht zurückschreckte.
Man kann annehmen, dass die Christen, die in der Arena hingerichtet worden sind, vorher befragt oder verhört worden sind und mit ihren Antworten die Gerichte nicht zufriedenstellen konnten. Sie wurden wohl eher nicht dazu aufgefordert, ihre Religion aufzugeben, als Kompromisse einzugehen, wozu sie nicht in der Lage waren. *42
Wie schon das Alte Testament zeigt, war es eine weit verbreitete Sitte, dass sich die Herrscher des Orients selber in den Himmel erhöhten. So wird es über die Könige von Babylon, Assyrien und Ägypten und sogar Tyrus berichtet. *43 Die Archäologen und Historiker haben zahlreiche Belege dazu vorgelegt. Der orientale Herrscher ist Beauftragter, Schützling oder sogar Sohn des Stadt- oder Staatsgottes. Wenn die Christen den Messias als König aller Könige herausstellten, mochte das manchen Widerspruch hervorgerufen haben, zumal die Juden nicht sonderlich beliebt waren. Aber ein toter König war keine Gefahr. Man konnte die Christen ihren absonderlichen Glauben weiter ausüben lassen, es sei denn, dass sie sich in gesellschaftliche Sphären vorwagten, wo sie zu Konkurrenten wurden und die bestehende Hierarchie gefährdeten. Im Griechenland der nachklassischen Zeit war man geneigt, Göttlichkeit weniger sterblichen Herrschern zuzuschreiben. *44
Dafür verherrlichte man überragende Leistungen und Qualitäten. Ein Mensch, der Heldenhaftes vollbrachte, etwa wie Alexander der Große, war für die Menschen gottähnlich und verdiente göttliche Verehrung. Für einen Griechen war deshalb das jämmerliche Bild eines Gekreuzigten, der sogar noch darüber klagte, dass ihn sein Gott verlassen hatte, nichts weiter als eine unnütze Torheit. Ein Gekreuzigter genügt auch ästhetischen Ansprüchen nicht. Für gebildete Griechen unterlag Jesus einer Bande von missgünstigen, eifersüchtigen und um ihre Herrschaft besorgten Schwachköpfen, als was sie die Hohepriester Israels bezeichnet hätten. Das zu erkennen, war man in der Lage, wenn man nicht selber zum Täterkreis gehörte. Dieser Jesus verdiente vielleicht sogar noch Mitleid als „tragischer“ Held, aber doch nicht göttliche Verehrung. Er war bestenfalls ein Sisyphos. So musste es Christen immer wieder entgegengeschallt haben im Umfeld griechischer Lehrer und Denker.
Durch den Hellenismus verbreitete sich auch die Ansicht, dass die ganze Menschheit von einer einzigen Kultur umfasst werden sollte. Im Kosmopolitismus hellenistischer Prägung liege das Heil der Welt oder zumindest stelle er die beste aller Kulturen her, die für alle Völker gelten könne. Dieser Gedanke wurde dann auch von den Römern übernommen und wurde dem Begriff des Pax Romana zugeordnet. Zu diesem umfassenden „Römischen Frieden“, der unter Kaiser Augustus, einem Zeitgenossen Jesu, seine längste Friedenszeit erfuhr, und schon vor Christi Geburt begonnen hatte, trat der Schalom Israels mit dem Messias Jesus Christus in gewisser Weise in Konkurrenz. Es scheint kaum wie ein Zufall, dass der Kaiser Augustus mit seinem Weltreichkonzept und Jesus mit Seinem Königreichskonzept Zeitgenossen waren. Der Frieden der Welt, den Gott nicht geben will, wird im Evangelium durch einen anderen Frieden ersetzt. Das Reich Gottes ist ein anderes als das Römische Reich. Das erweckte das Misstrauen der Römer für die nur diese römische Welt an erster Stelle stehen konnte.
Jesus hatte zu Seinen Jüngern gesagt: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch.“ (Joh 14,27) Ergänzt durch die Aussage von Mt 10,34, wonach Jesus nicht gekommen war, um Frieden auf die Erde zu bringen, sondern das Schwert, kann man erahnen, dass der Feindschaft, welche die Römer den Christen entgegenbrachten, zumindest ein großes Zweifeln zugrunde gelegt sein musste, ob diese Christen nützliche und harmlose Bewohner in der römisch-hellenistischen Weltordnung waren. Jesus hatte mit dem Schwert die unvermeidliche Auseinandersetzung mit den Feinden des Evangeliums gemeint. Dabei zog er großzügige Grenzen. Jeder, der das Evangelium ablehnt, macht sich selber zu einem „Feind“, einem Skeptiker, einem Missgünstling, einem Widersacher. Die Christen mussten sich gewiss viel Spott über „ihr“ Reich Gottes anhören. Die Pax Romana war Realität, wo war das Reich des Christus? Die Zahl der Anhänger blieb zunächst überschaubar. Christ zu sein, hatte ungefähr das gleiche Ansehen wie heute im 21. Jahrhundert und das schwankte zwischen der Bezeichnung der harmlosen Spinner und der gefährlichen Fundamentalisten. Ausgerechnet von diesen Juden ging dann ein für die Römer sehr ärgerlicher Krieg aus. Jüdische Aufständische hatten die römische Garnison in Jerusalem niedergemacht, obwohl diese sich ergeben hatten. Es hatte aber schon seit einigen Jahren in den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts starke Widerstände in der jüdischen Bevölkerung gegen die Römische Besatzungsmacht gegeben, die sich immer wieder unsensibel gezeigt hatte. Die Abneigung der Juden gegenüber den Römern, die sich oft in Verachtung äußerte, beruhte auf Gegenseitigkeit.
Die Juden, jedenfalls die Unangepassten, zeigten sich nicht beeindruckt von der römischen Großmachtsucht und ließen bei jeder Gelegenheit durchblicken, dass sie Gottes Volk waren und von römischer Kultur nicht viel hielten. Die Zeloten wollten die selbstherrlichen Römer aus dem Land werfen und wurden in ihrem Hass gegen die Römer noch durch apokalyptische Fantasien beflügelt. Sie erwartetet eine Art Messias, der sie zum Sieg führen würde. *45 Das war in den Ohren der Reichsbürger eine ähnliche Erwartung, wie sie von den Christen bekannt war. Der Messias war schon da, aber er wird bald zurückkommen, und dann? Dann wird er ein Reich errichten, das gewiss keine Rücksichten auf römische Herrschaftsansprüche haben würde. Dann kam es um das Jahr 64 zu einer Zunahme jüdischer Anschläge, die sich zu einem Krieg entwickelten, der mit der Zerstörung Jerusalems seinen traurigen Höhepunkt erreichte.
Die Römer hatten hohe Verluste. Der Zorn gegen das Judentum entlud sich im ganzen Römischen Reich. Das bekamen auch die Juden in der Diaspora zu spüren. Da die Christen der ersten Generation überwiegend Juden waren, traf sie es genauso. Die meisten Jünger Jesu und die meisten Augenzeugen der Wunder Jesu, waren zur Zeit der Aufstände schon nicht mehr unter den Lebenden. Die Überlebenden der Aufstände und des Krieges, der sich noch bis zur Mitte der siebziger Jahre hinzog, kämpften nicht nur um ihr physisches Überleben, nachdem ein Großteil der Bevölkerung ums Leben gekommen war oder als Sklaven weggeführt worden war. Es war nicht die Zeit, mit großen Gesten und ambitionierten Ansprüchen eine religiöse Botschaft zu verkünden. Die Christen werden eher kleinlaut nach sich selbst geschaut haben. Der Erste Jüdische Krieg mit der Zerstörung und Entvölkerung Jerusalems war nicht nur für das Judentum eine Zäsur, sondern auch für die Christen. Danach veränderte sich die Verkündigung und die Zusammensetzung