Wenn die Nebel flüstern, erwacht mein Herz. Kathrin Lange

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Wenn die Nebel flüstern, erwacht mein Herz - Kathrin Lange

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auf ein nettes, kleines Gespräch über romantische Literatur gehofft und keine Ahnung davon, was sie mit ihrer harmlos gemeinten Frage an Erinnerungen angestoßen hatte.

      Denn wieder einmal glitten Jessas Gedanken in die Vergangenheit davon, diesmal zu dem Tag, an dem Alice das Zitat in Schönschrift auf ein weißes Blatt Papier geschrieben hatte – als Vorlage für den Tätowierer. Jessa hatte sie dabei beobachtet, und ihr war ein Fehler aufgefallen …

      »Du hast geschrieben yours and mine are the same. Im Buch steht aber his and mine.«

       Alice legte den Füllfederhalter weg und lächelte. »Stimmt.«

       »Warum schreibst du es nicht richtig auf?«

       »Weil es nicht um einen Jungen geht«, sagte Alice. »Ich will diesen Spruch nicht wegen einem Jungen auf der Haut haben.«

      »Warum dann?«, erkundigte Jessa sich.

       »Deinetwegen.« Alice wuschelte ihr durch die Haare. »Damit ich dich nie vergesse.«

       »Du kannst mich nicht vergessen. Wir sind ja immer zusammen.«

       Da lachte Alice. »Stimmt auch wieder! Weißt du, was? Ich habe nachgedacht.«

       »Worüber denn?«

       »Erinnerst du dich noch dran, wie ich dir das Lesen beigebracht habe?«

       »Klar.«

       »Und daran, wie wir darüber geredet haben, dass Menschen eine Seele haben, damit sie lieben können?«

      Auch daran erinnerte Jessa sich. Sie sah ihre Schwester aufmerksam an. In letzter Zeit war Alice ziemlich nachdenklich, fand sie.

       Alice tippte auf das Zitat. »Vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht haben wir beide gar keine eigene Seele.« Sie sah Jessa in die Augen. Ihre eigenen glitzerten ganz sonderbar dabei. »Ich meine, vielleicht haben wir beide uns so lieb, weil wir nur eine Seele haben. Darum müssen wir immer zusammenbleiben! Damit unsere Seele ganz sein kann …«

      Der Bus fuhr durch eine Kurve und das Ruckeln holte Jessa in die Gegenwart zurück. Links von ihnen war jetzt ein lang gezogenes Gewässer aufgetaucht.

      Der Bus hielt am Ende des Gewässers. »Watersheddles Reservoir«, sagte der Busfahrer an.

      Jessa stand auf. Hier musste sie aussteigen.

      »Sind Sie wirklich sicher, dass Sie bei dem Wetter da rauswollen?«, fragte die Frau neben ihr.

      »Ganz sicher«, hörte Jessa sich sagen. Sie war bestimmt nicht den ganzen langen Weg von London bis hierher gefahren, um jetzt, so kurz vor ihrem Ziel, den Schwanz einzuziehen, nur weil es ein bisschen nebelig war.

      Der Blick durch die Sprossenfenster von Christophers Zimmer ging auf das Moor hinaus, aber bei dem Nebel war heute nicht viel davon zu sehen. Die kalten grauen Schwaden zogen vor der Scheibe vorbei, berührten sie mit klammen Fingern, als wollten sie durch das Glas hindurch nach Christopher greifen.

      Er trat einen Schritt zurück und kämpfte gegen all die furchtbaren Erinnerungen, die ihn immer quälten, wenn es neblig war. Vergeblich.

      Ein Gedanke ließ sich einfach nicht vertreiben.

      Wie so oft, wenn … es … geschah, war es nebelig gewesen …

      »Hey!« Adrians Stimme war leise, aber sie durchschnitt die Kette aus schnell aufeinanderfolgenden Schreckensbildern, die durch seinen Geist taumelten.

      Erleichtert drehte Christopher sich um. Sein Bruder stand in der Tür zu seinem Zimmer, unter dem Arm ein hölzernes Schachbrett und in der Hand das Kästchen mit den antiken Elfenbein- und Ebenholzfiguren ihres Vaters.

      »Lust auf eine Partie?«, fragte er. Wie immer hatte er die Kapuze seines Hoodies tief ins Gesicht gezogen.

      Christopher hatte keine Lust auf Schach, aber er wusste auch, dass das konzentrierte Nachdenken über die Spielzüge ihn vom Grübeln abhalten würde. Also nickte er. »Immer.«

      Adrian betrat den Raum. Er schloss die Tür hinter sich mit dem Fuß und sah sich nach einem Platz für das Brett um. Die schwarze Couch und auch der davor stehende Glastisch waren mit getragenen Klamotten und Büchern belegt.

      »Wie es aussieht, müssen wir wohl auf der Erde spielen!«, sagte Adrian mit belustigter Stimme. »Hier sieht es aus wie …« Er verzichtete darauf zu erklären, wie es aussah.

      Christopher atmete tief durch. Dann löste er sich von der Fensterbank und räumte Tisch und Couch frei. Die Klamotten warf er im Schlafzimmer auf das altmodische Himmelbett, die Bücher stapelte er einfach auf dem Boden.

      »Ja«, spottete Adrian. »So ist es definitiv ordentlich.«

      Christopher bleckte die Zähne zu einem Grinsen. »Bau schon auf!«

      Das tat Adrian. Als er fertig war, nahm er die beiden Damen in je eine Hand, tauschte sie hinter seinem Rücken ein paarmal hin und her und hielt Christopher die geschlossenen Fäuste hin. Christopher tippte auf seine rechte Hand und zog damit die weißen Figuren.

      Er setzte seinen ersten Bauern von c2 auf c3.

      Adrian schaute ihn verwundert an. »Die Saragossa-Eröffnung? Wirklich?«

      Christopher lächelte. »Warte es ab. Diesmal werde ich dich damit vom Brett fegen.«

      »Das wäre ja was ganz Neues!« Adrian beugte sich über das Brett. Während er seinen ersten Zug machte, warf Christopher einen letzten Blick nach draußen in den Nebel. Kurz darauf hatte er das trübe Wetter vergessen und war ganz auf ihr Spiel konzentriert.

      Er verlor, aber erst nach einem langen und zähen Stellungskampf.

      »Matt!«, sagte Adrian, nachdem sie fast zwei Stunden lang erbittert miteinander gerungen hatten. »Willst du gleich eine Revanche?«

      Christopher warf sich frustriert gegen die Rückenlehne des Sessels. An Adrian vorbei glitt sein Blick zum Fenster.

      Er schüttelte den Kopf. In seinen Adern summte es. »Ich glaube, ich lege mich ein bisschen hin. Ich habe die Nacht nicht besonders gut geschlafen.«

      Adrian musterte ihn ein paar Sekunden lang eindringlich und Christopher wusste, was er dachte.

      Als ob das was Neues wäre.

      Er hielt Adrians Blick stand, bis er nickte.

      Gemeinsam räumten sie die Schachfiguren fort. Adrian nahm die Schachtel und das Brett. An der Tür sagte er: »Ich bin in der Bibliothek. Ich habe da gestern ein Buch von Darwin gefunden, das dich bestimmt auch interessiert. Komm dazu, wenn du kribbelig wirst.«

      Christopher rieb sich die Augen. »Mache ich«, versprach er. Er hatte allerdings nicht vor, seine Zeit mit Lesen zu verbringen. Solange es nebelig war, hätte er sich nie im Leben auf ein Buch konzentrieren können.

      Noch einmal sah Adrian

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