Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
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Sie begriff, dass das der Freund sein musste. Der den Tod seiner Freundin angeblich online verfolgt hatte. Verdeckt von ihrem Bildschirm musterte sie ihn eingehend, um zu sehen, ob seine Trauer echt war und ob er die Wahrheit gesagt hatte. Aber er schien ziemlich schwer zu durchschauen.
Jonah begleitete Aidan zum Fahrstuhl, anstatt mit ihm die Treppe hinunterzugehen, eine instinktive Vorsichtsmaßnahme. Der Dozent schien sich vor Jonahs Augen aufzulösen, sein Blick war in weite Ferne gerichtet, seine Schultern hingen mutlos herunter.
Aidans Blick blieb unfokussiert, bis sich die Fahrstuhltür im Erdgeschoss öffnete. Dann war es, als würde sein gesamter Körper von einem Stromschlag durchzuckt.
»O Gott«, sagte er sehr leise.
Er löste seinerseits eine ebenso starke Reaktion bei dem Paar aus, das vor dem Aufzug stand. Jonah erkannte Martin Swardadine sofort und nahm an, dass die attraktive, elegant gekleidete schwarze Frau neben ihm seine Ehefrau war. Aus dem Blick, mit dem beide Aidan ansahen, sprach blankes Entsetzen.
Jonah seufzte leise. Er hätte es vorgezogen, wenn Aidan Poole und Zoes Eltern sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht begegnet wären, obwohl die Heftigkeit der jeweiligen Reaktion unbestreitbar interessant war.
Jonah trat vor Aidan aus dem Fahrstuhl und streckte den Swardadines eine Hand entgegen.
»Ich bin DCI Sheens. Ich bin sofort bei Ihnen. Ich muss nur noch Mr Poole hinausbegleiten.«
Zoes Mutter nickte knapp, während ihr Blick zu Aidan zuckte. Es war kein freundlicher Blick.
Während er Aidan zur Tür brachte, nahm Jonah sich vor, im Besprechungszimmer so taktvoll wie möglich danach zu fragen, was dieser Blick zu bedeuten hatte, doch so lange musste er nicht warten. Sobald er zu dem Paar zurückkehrte, fragte Zoes Mutter mit leiser, angespannter Stimme: »Was macht der hier?«
Jonah entschied, dass der Empfangsbereich nicht der geeignete Ort für diese Unterhaltung war, und sagte nur: »Mr Poole war derjenige, der uns alarmiert hat.«
Zoes Mutter warf ihrem Mann einen seltsamen Blick zu. Voller Wut und Schmerz.
»Vielleicht reden wir besser oben«, sagte Jonah so besänftigend, wie er konnte.
8. April – neunzehn Monate vorher
Zoe war schon den ganzen Tag von einem wohligen Gefühl erfüllt, das beim Mittagessen mit Aidan im Mercure nur noch intensiver wurde. Sie hatten sich zum Essen in seinem Hotel verabredet, was ohne Zweifel auf Sex hinauslaufen würde. Aidan hatte erst um vier Uhr wieder Seminare, und Zoe dachte bereits daran, mit ihm nach oben zu gehen, als ihre Tagliatelle serviert wurden. Die ganze Woche hatte sie hauptsächlich mit Tagträumen von ihrer gemeinsamen Nacht verbracht, und in den sechs Tagen, die er schon wieder weg gewesen war, hatte sich eine für sie untypische Ungeduld in ihr angestaut, sodass sie es kaum erwarten konnte, ihn auf sein Zimmer zu zerren.
Der Wein half auch nicht. Warum hatte sie bloß ein zweites Glas Rosé bestellt? Anscheinend verführte sie seine Gegenwart dazu, all die falschen Dinge immer wieder zu tun.
Sie waren fast mit dem Essen fertig, als Zoes Handy klingelte.
»Angeline«, sagte sie knapp und lächelte gezwungen.
»Du willst doch wohl nicht etwa drangehen, oder?«, fragte er mit leicht zusammengekniffenen Augen.
»Ich … ich weiß nicht …« Sie stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Es geht ihr nicht besonders gut, und ich glaube, sie bekommt nicht die Hilfe, die sie braucht. Sie macht dumme Sachen. Na ja …« Zoe seufzte. »Sie trinkt, und dann ritzt sie sich. Es kommt einem vermutlich nicht so dumm vor, wenn man verzweifelt ist.«
Das Telefon summte immer noch. Angeline gab nicht auf.
»Ruft sie immer dich an?«, fragte er und sah ihr fest in die Augen.
»Ich … ich glaube schon«, antwortete sie.
»Findest du das fair dir gegenüber?«
Aidan stellte die Frage so sanft, dass Zoe sich nicht angegriffen fühlte. Sie fragte sich vielmehr flüchtig, ob es wirklich fair war. Aber dann sah sie Angelines schlaffen Körper vor sich, der wie ein Haufen Abfall auf ihrem Schlafzimmerfußboden lag. Das war beim letzten Mal dabei herausgekommen, als Zoe nicht da gewesen war. Es gab sonst niemanden, der geholfen hätte.
Schließlich hörte das Telefon auf zu klingeln, und Zoe blickte elend auf das Display. Aidan fasste ihre Hand und drückte sie. »Tut mir leid. Ich wollte nicht sagen, dass du ihr nicht helfen sollst. Natürlich sollst du das. Ich möchte nur nicht, dass du dich auslaugst. Vielleicht sollte sich hin und wieder auch mal jemand um dich kümmern.«
Er strich mit dem Daumen über ihren, drehte ihr Handgelenk und streichelte die Unterseite, wo ihre Haut am blassesten und empfindlichsten war. Sie spürte die Berührung bis tief in ihr Inneres. Sich zu vergewissern, dass es Angeline gut ging, schien auf einmal nicht mehr so wichtig.
»Lassen wir die Rechnung kommen«, sagte Aidan vielversprechend und lächelte dann trocken. »Und ich muss noch mal kurz verschwinden. Ich kann nämlich nur begrenzt viel Wein halten.«
»So ein alter Mann«, murmelte sie.
Er stand lachend auf.
Zoe gab dem Kellner ihre Karte, den Kopf voller Gedanken an das Hotelzimmer und seine Liebkosungen.
»Kann ich zahlen, bitte?«
Der Kellner schien überrascht. Er hatte offensichtlich erwartet, dass sie länger bleiben würden. Wenig später kam er mit einem Lesegerät zurück, und sie gab ihm, ohne den Betrag zu überprüfen, ihre Kreditkarte und tippte die PIN ein.
Aidan kam zurück, als sie die Karte gerade wieder einsteckte.
»Warte, ich erlaube nicht, dass du alles bezahlst«, sagte er.
»Warum nicht?«, fragte Zoe und hob das Kinn.
»Weil es extravagant war und ich mehr Wein getrunken habe als du«, sagte er. »Und beim letzten Mal hast du auch die Hälfte bezahlt. Warte, ich überweise dir das Geld.« Er zog sein Handy aus der Tasche. »Wenn du beschließt, dass du mich genug magst, um mich wiedersehen zu wollen, kannst du mich nach Herzenslust einladen und verwöhnen, aber jetzt hätte ich ein schlechtes Gewissen.«
Zoe seufzte übertrieben. »Na gut. Aber nur die Hälfte. Das sind … ungefähr zweiundvierzig.« Sie kramte ihre Karte wieder hervor und lies ihn die Kontonummer lesen.
»Schau nach, ob ich keinen Fehler gemacht habe«, sagte er, als sie sie wieder einsteckte. Zoe verdrehte die Augen, loggte sich aber trotzdem bei ihrem Konto ein.
»Yup, erledigt«, sagte sie und ließ ihren Blick über die Zeile mit dem Kontoinhaber schweifen. Mr & Mrs A. Poole.
Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was sie da las, und dann breitete sich eine schreckliche Kälte in ihrer Brust aus.
»Du bist verheiratet«, sagte sie flach und hart. Sie blickte auf, sah seinen Gesichtsausdruck und wusste, dass es stimmte. »Mr und Mrs A. Poole.«