Helle und der falsche Prophet. Judith Arendt
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Читать онлайн книгу Helle und der falsche Prophet - Judith Arendt страница 16
Sie verabschiedeten sich von Inez und Fredrick, und als die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel, holte Helle erst einmal tief Luft.
»Du, hör mal«, sagte Ole, während er Helle durch die Dunkelheit nach Hause fuhr. »Warum hat sie das Board eigentlich jetzt abgeholt?«
Helle sah zu ihm hinüber.
»Ich meine, es ist Oktober«, fuhr er fort. »Da geht man nicht wellenreiten. Sie war mit Freunden auf der Demo und die Freunde sind nach Frederikshavn zurückgefahren.« Er schüttelte den Kopf.
»Und anstatt mitzufahren, geht sie alleine zu ihrem Bruder, holt ein Board, das sie gar nicht brauchen kann und nimmt in Kauf, dass sie alleine nach Frederikshavn fahren muss – meinst du das?«
»Ja.« Ole nickte. »Was sie dann aber gar nicht tut. Sie trampt. Findest du nicht, das sieht aus, als hätte sie einen Plan gehabt?«
Helle schwieg. Sie sah zum Fenster hinaus. Schwarze Nacht. Dann und wann ein einzelnes Licht. Wollte man da draußen jetzt alleine unterwegs sein?
»Ich weiß es nicht, Ole«, antwortete sie schließlich. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Das Haus der Jespers lag kalt und dunkel da. Helle ging einmal rundherum, um zu sehen, ob jemand versucht hatte, während ihres Urlaubs einzubrechen, aber es gab keinerlei Spuren im Sand.
Helle sperrte auf und sog den vertrauten Geruch ein. Das Haus roch nach Jespers. Vor allem nach Emil Jespers. Und nach kaltem Kamin. Helle fröstelte. Sie musste Leben in die Bude bringen, und zwar schnell, sonst würde sie in ihrer traurigen Stimmung untergehen.
Eine halbe Stunde später prasselte das Feuer im Kamin und wärmte den großen Raum mit den tiefen Sofas ordentlich auf. Helle hatte knallheiß geduscht, bis ihre Haut wie Krebsfleisch aussah, sich in den Einteiler aus Frottee gekuschelt, den ihre Kinder ihr vergangene Weihnachten geschenkt hatten, die obligatorischen zwei Paar Wollsocken übergestreift, eine Flasche Wein geöffnet und telefonierte mit Bengt, während auf dem Herd ein Topf mit Rehgulasch köchelte, das Helle aus der gut bestückten Tiefkühltruhe geholt hatte.
»Wo seid ihr?«
»Am Bodensee. In Lindau.«
»Wie geht es ihm?«
»Emil, wie geht es dir? Sag mal hallo zum Frauchen.«
»Emil, mein Süßer! Kannst du mich hören? Emil? Dein Frauchen ist hier!«
»…«
»Er schläft.«
Helle traten die Tränen in die Augen. »Es ist Mist ohne euch.«
»Wir beeilen uns. Es ist nur …«
»Was?«
»Er hält es nicht so gut aus, lange im Auto. Er hechelt viel und ich muss ständig Pausen machen. Ich glaube, es dauert noch.«
Helle nickte stumm. Sie hatte einen Kloß im Hals und versuchte, ihn mit Rotwein hinunterzuspülen.
»Ich war bei Inez und Fredrick.«
Bengt schnaufte. »Ich muss wohl nicht fragen, wie es ihnen geht.«
»Beschissen. Bengt?«
»Mmh.«
»Das ist wirklich das Schlimmste. Das Allerallerschlimmste. Man sagt das immer so, hoffentlich passiert den Kindern nichts. Aber heute, bei den beiden, in dem Haus, Merles Zimmer …« Helle konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Ich weiß. Ich komme, so schnell es geht. Okay?«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich. Godnat.«
Helle starrte noch ein bisschen ins Kaminfeuer, trank das erste Glas zu schnell aus und verbrannte sich am Gulasch den Gaumen. Ihr war elend zumute, sie beschloss, im Wohnzimmer zu übernachten, damit sie nicht allein im Doppelbett lag und die große Leere neben sich spürte.
Das Handy klingelte erneut. Sie sah an der Nummer, dass es Linn war, die Bereitschaftsdienst hatte.
»Ja, Linn?«
»Tut mir leid, dass ich dich so spät störe.«
»Hör mal! Wir sind in einer Ermittlung.«
»Ich habe gerade den Anruf von einem Mann bekommen, aus Napstjært. Er hat etwas gefunden. Eine Tasche. Es könnten Merles Sachen sein.«
»Wo? Ich komme hin.«
»Nicht nötig. Ich habe eine Streife geschickt. Die Tasche läuft uns nicht weg.«
»Ja, aber …«
»Helle!« Linns Stimme war streng. »Du bist heute Morgen aus dem Urlaub gekommen. Du hast den ganzen Tag geackert. Und du bist ziemlich neben der Spur, weil du die Familie kennst. Also nein, wirklich. Bleib. Wo. Du. Bist.«
Linn hatte ja recht. Trotzdem ging es Helle gegen den Strich. Sie hatte das Gefühl, alles tun zu müssen, um herauszufinden, was mit Merle geschehen war.
»Die Kollegen sichern den Fundort und bleiben dort. Morgen früh ist die Spurensicherung bestellt. Dann kannst du dazukommen. Ole holt dich um sieben ab, ist alles schon ausgemacht.«
»Was ist es für ein Ort?«
»Ein Unterstand. In den Dünen, nahe Multebaervej. So eine offene Holzhütte, du weißt schon, wo die Wanderer sich bei Regen unterstellen.«
»Also keine Party?«
»Sieht nicht so aus. Eine fast leere Flasche Wodka. Ein paar Kippen. Eine Tasche mit Klamotten. Sieht eher nach einer einzelnen Person aus.«
»Vielleicht waren sie zu zweit? Oder zu dritt? Dieses Pärchen von der Tankstelle«, spekulierte Helle.
»Darüber wollte ich auch noch mit dir sprechen.« Linn schien zu zögern. »Das ist etwas seltsam.«
»Ja?«
»Das Kennzeichen ist ja nicht vollständig zu erkennen, aber ich bin heute alle möglichen Kombinationen durchgegangen, zusammen mit dem Wagentyp.«
»Und?«
»Es existiert nicht. Es existiert in ganz Dänemark kein zugelassener Pick-up, der ein Kennzeichen hat, das auch nur annähernd zutreffen könnte.«
Helle stellte ihr Rotweinglas so abrupt auf den Sofatisch, dass der Wein herausschwappte.
»Das heißt, es ist ein gefälschtes Kennzeichen?«
»Also, ein paar der möglichen Kombinationen hat es mal gegeben. Autos, die längst abgemeldet sind. Aber keines der Kennzeichen gehörte zu einem Pick-up.«