Helle und der falsche Prophet. Judith Arendt
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Читать онлайн книгу Helle und der falsche Prophet - Judith Arendt страница 11
Ayuna drehte sich sofort nach ihr um, als sie das Zimmer betrat.
»Hej Helle. Setz dich, wir haben Runstad am Apparat.«
»Hallo, Frau Jespers«, schnarrte dieser auch umgehend durch den auf laut gestellten Telefonapparat.
»Hej Nils. Was hast du?«
Nils Runstad räusperte sich. Ein Räuspern, das nach fortgeschrittener Tuberkulose klang, kein Wunder bei dem exzessiven Zigarettenkonsum des Gerichtsmediziners.
»Ihr könntet auch einfach den Bericht lesen, ich habe ihn euch gerade gemailt. Aber gut, ich sage es noch einmal in einfachen Worten.«
Helle sah erst Ole an, dann Ayuna. Sie lauschten angespannt.
»Tod durch Ertrinken, ganz klar. Der Kollege Holt hatte also recht. Wir haben Wasser in der Lunge, daran gibt es keinen Zweifel. Allerdings …«
Runstad machte eine dramatische Pause.
»Wie ihr wisst, hatte sie eine hohe Alkoholkonzentration im Blut. Zum angenommenen Zeitpunkt des Todes, also zwischen 20 und 22 Uhr Freitagnacht, etwa 1,7 Promille. Das ist schon einiges. Vor allem bei so einem sehr jungen und schlanken Mädchen. Außerdem THC. Und die Spuren an ihrem Körper … die lassen durchaus darauf schließen, dass es ein Gerangel gegeben hat. Nichts Dramatisches, also keine Würgemale oder so etwas, aber … ja, Gerangel trifft es. Die Druckstellen an den Handgelenken sind auf alle Fälle frisch, und sie wurden vor dem Tod beigebracht. Ein paar Kratzer und an den Haaren hat ihr auch jemand gerissen. Unter den Fingernägeln sind Hautfetzen einer anderen Person. Fremde DNA. In der Datenbank kein Treffer.«
»Unter Gerangel verstehe ich etwas Harmloseres«, kommentierte Helle. »Kann es sein, dass sie bewusstlos war und jemand hat sie ins Wasser geschleift und dort ertrinken lassen?«
»Möglich. Aber nicht sehr wahrscheinlich. Ich gehe davon aus, dass sie sich im Wasser bewegt hat. Also vielleicht wirklich ein Weilchen gesurft ist oder geschwommen. Sie hat erst später Wasser in die Lunge bekommen.«
»Sie hatte also eine Auseinandersetzung an Land«, dachte Helle laut nach. »Und ging danach ins Wasser. Völlig zugedröhnt. Vielleicht hat sie sich mit ihrem Freund gestritten.«
»Haare ausreißen ist ziemlich untypisch für Männer«, kommentierte Ole Halstrup spitz.
»Also, wenn ihr hier weiter Spekulationen anstellen wollt, dann ohne mich. Ich habe gesagt, was zu sagen war. Jetzt brauche ich erst einmal eine Zigarette.«
»Alles klar, Nils. Vielen Dank.« Ayuna beendete das Gespräch mit dem Rechtsmediziner und blickte Helle an. »Möglicherweise doch ein Unfall.«
»Ja.« Helle war übel, sie musste sich setzen. Sie fror noch immer, obwohl der kleine Raum überheizt war und sie Jan-Cs Parka trug. Warum bekam sie jetzt keine Hitzewallungen?, fiel Helle ein, die kämen ihr jetzt gerade recht. Sie griff nach der Thermoskanne mit Kaffee und goss sich etwas von dem Getränk in einen Becher. »Auch wenn sich die Todesursache nach einem Unfall anhört – die Umstände des Ertrinkens sind für mich total seltsam. Ein Mädchen nachts im Herbst am Strand, betrunken und bekifft … da steckt auf alle Fälle mehr dahinter.«
»Selbstmord«, warf Ayuna ein.
Helle schüttelte den Kopf. »De facto vielleicht. Aber ich kenne Merle. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen.«
In dem Moment steckte Marianne ihren Kopf durch die Tür. »Die Kollegen in Frederikshavn haben eine Meldung bekommen. Ein Tankstellenbesitzer. Er hat Merle auf dem Foto in der Zeitung erkannt und sich an sie erinnert.«
Sie hatten alle drei die Köpfe herumgerissen und waren wie elektrisiert. Manchmal geschah es, dass man einfach wusste, wann eine Spur richtig heiß war. Und das war so ein Moment. Gleich würden sie etwas Wichtiges erfahren, das war allen im Raum schlagartig bewusst.
»Sie hat bei ihm etwas zu trinken gekauft. Er erinnert sich an das gelbe Board. Dann hat sie mit einer jungen Frau gesprochen.«
»Ja?«, fragte Helle erwartungsvoll.
»Mit der ist sie mitgegangen. Die gehörte zu einem Auto, einem Pick-up. Merle ist eingestiegen und mitgefahren.«
»Bingo! Wo ist die Tankstelle?« Helle war bereits auf dem Sprung.
»Am Stadtrand von Aalborg, kurz bevor sich die Autobahn in die E39 und die E45 teilt«, gab Marianne zurück.
»Verdammt! Da sind wir gerade vorbeigefahren!«, ärgerte sich Helle. Tatsächlich hatte sie mit Jan-Cristofer die Stelle passiert, als er sie in Aalborg vom Flughafen abgeholt hatte. Sie wusste sogar genau, um welche Tankstelle es sich handelte.
»Der Zeuge heißt Hans Bruggen. Er erwartet euch, ihr könnt euch die Überwachungsbänder von Freitag anschauen, er wollte alles vorbereiten.«
»Wow«, murmelte Ole, »können nicht alle Zeugen so sein wie Hans?«
»Okay. Wir fahren hin – Ole, du fährst. Marianne, rufst du bitte bei den Eltern an und sagst ihnen, dass ich später vorbeikomme?«
Marianne nickte und zog sich zurück. Helle wollte ebenfalls das Zimmer verlassen, aber Ayuna fasste sie am Arm.
»Helle.«
»Ja?«
»Du weißt doch noch gar nicht, wer die Ermittlungen hier leitet.«
Helle blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Reflex, den Fall sofort an sich zu ziehen und nicht im Traum daran zu denken, sich mit ihrer Vorgesetzten darüber zu verständigen, stammte aus der Zusammenarbeit mit Ingvar. Dort hatte sie gelernt, eigenmächtig zu handeln – aber so, dass Ingvar davon nichts mitbekam. Sie flog stets unter dem Radar. Dass sie ihr Verhalten nun ändern musste, war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen. Ayuna Ekberg hatte jetzt das Sagen.
»Sorry, Ayuna. Ich bin … also ich bin einfach davon ausgegangen. Aber natürlich …« Helle zuckte hilflos mit den Schultern.
»Ich übertrage dir die Untersuchungen. Ganz offiziell.« Ihre Vorgesetzte lächelte. »Aber solange wir nicht sicher sind, ob es sich tatsächlich um ein Gewaltverbrechen handelt, musst du mit einem kleinen Team arbeiten.«
Helle nickte. »Na klar. Kein Problem. Ich habe sowieso am liebsten meine eigenen Leute um mich.« Dann nahm sie einen erneuten Anlauf, sich zu entschuldigen. Helle hatte keine Lust, mit Ayuna, von der sie in den letzten Monaten einen sehr guten Eindruck gewonnen hatte, in die Konfrontation zu gehen. »Ich wollte dir nicht vorgreifen, tut mir leid.«
»Schon gut. Wer sonst sollte den Fall übernehmen? Es ist Skagen und du bist unsere beste Ermittlerin.«
»Danke. Kann ich Linn in mein Team bekommen?«
Ayuna ließ ihren Arm los. »Ja, das geht. Und noch etwas: Du bist sehr nah an der Sache dran. Versuch, etwas Abstand zu bekommen. Du darfst das nicht persönlich nehmen. Der Fall hat erst einmal nichts mit dir oder deiner Familie zu tun, okay?«
Helle nickte, bevor sie mit Ole den Raum verließ. Natürlich hatte ihre Chefin recht. Sie durfte Merles Tod nicht zu nah an sich heranlassen. Es sollte ein Fall wie jeder andere sein.
Aber,