Helle und der falsche Prophet. Judith Arendt

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Helle und der falsche Prophet - Judith Arendt

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was …?«

      Fünf Anrufe ihres Kollegen Ole. Drei Textnachrichten.

      »Ruf bitte mal an.«

      »Helle, bitte RR!«

      Und zuletzt: »Wir haben eine Tote.«

      Helle ignorierte alle weiteren Nachrichten und wählte augenblicklich die Nummer ihres Kollegen.

      »Na endlich«, stöhnte Ole Halstrup.

      »Was gibt’s?«

      »Hier ist ein junges Mädchen gefunden worden. Am Strand bei Møjen. Wahrscheinlich ertrunken.«

      »Um Gottes willen. Kennen wir sie?«

      Ole schwieg einen Moment. »Helle, es tut mir leid. Es ist Merle.«

      Helle wurde auf einen Schlag kalt. Es war, als gefröre ihr Blut. Merle. Merle Brabant. Eine enge Freundin von Leif. Sie kannte das Mädchen seit dem Kindergarten.

      Bengt sah sie an. Er wusste sofort, dass etwas Schreckliches geschehen war und kniete sich vor seine Frau.

      »Weiß man … ist sie … ein Unfall? Wissen die Eltern davon? Ich … o Gott, wie furchtbar.«

      »Die Eltern sind benachrichtigt. Wir wissen noch nichts, Doktor Holt war gleich da und hat Tod durch Ertrinken festgestellt. Vermutlich ist sie fünfzehn bis achtzehn Stunden im Wasser gewesen. Fremdeinwirken können wir nicht ausschließen, sie hat ein paar Druckstellen an den Handgelenken. Aber um Genaueres zu sagen, müssen wir den offiziellen Befund abwarten. Sie ist in der Rechtsmedizin.«

      Oles Ton war klar und sachlich, fast spröde, und Helle war ihm dankbar dafür. Trotzdem.

      »Ich komme.«

      »Helle, Frederikshavn übernimmt das.«

      »Ich muss!«, unterbrach ihn Helle. »Ich nehme den nächsten Flieger.«

      Und bevor sie auflegte: »Ruf Runstad an. Der soll sich den Fall rüberziehen. Ich will nicht, dass Holt da herumdilettiert. Wir dürfen keinen Fehler machen.«

      Den letzten Satz hatte sie mehr geschrien, dann legte sie auf und schmiss das Handy quer über den Tisch. Presste sich die Hand vor den Mund, um den Schrei, der aus den Tiefen ihrer Seele drängte, zu unterdrücken. Bengt nahm sie wortlos in den Arm.

      Eine Viertelstunde später hatte Bengt für Helle einen Flug von Nizza nach Kopenhagen gebucht, der erste am folgenden Tag. Hatte Helle in eine Decke gewickelt und mit Emil auf die Terrasse verfrachtet, die Flasche mit dem Pastis dezent verräumt und stattdessen einen Tee gekocht. Jetzt sprach er mit Leif, ihrem Sohn, um ihm die Nachricht zu überbringen, dass seine Freundin aus Kindertagen ertrunken war.

      Helle hörte die Stimme ihres Mannes, die Worte drangen aber nur wie durch Watte an ihr Ohr, der Sinn erschloss sich nicht, sie konnte und wollte sich die Reaktion ihres Sohnes nicht ausmalen.

      Merle war tot.

      Ein Leben endete, noch bevor es sich wirklich entfalten konnte. Merle stand wie Leif an der Schwelle zu einem selbstbestimmten Leben, sie sollte jetzt entscheiden dürfen, welche Richtung sie einschlagen würde. Reisen oder Studium, Ausbildung oder doch erst einmal jobben? Großstadt oder Jütland, Fun oder Karriere, Frauen oder Männer, wer bin ich eigentlich. Die ganz großen Fragen, die sie sich jetzt stellen sollte, waren mit ihr auf den tiefen dunklen Grund des Meeres gesunken. Fredrick und Inez, ihre Eltern, die Helle so gut kannte, würden niemals erfahren, welchen Weg ihre Tochter Merle gewählt hätte.

      Helle dachte an ihre Tochter Sina, die seit drei Jahren aus dem Haus und bei jedem Besuch eine andere war, sie immer wieder mit neuen Plänen überraschte und, anstatt ihre Eltern damit in den Wahnsinn zu treiben, Stolz und Freude in ihnen hervorrief, weil sie so voller Energie und Ideen war.

      Und Helle dachte stets: Sieh mal einer an, was meine Tochter alles kann. Für was sie sich interessiert. Eine schillernde Person voller Möglichkeiten, die alle um sich herum in Atem hielt. Im Moment war sie mit ihrer Band als Straßenmusikerin irgendwo in Osteuropa unterwegs.

      Aber Merles Eltern würden immer an ihre Tochter denken müssen, die leblos im dunklen Meer trieb, einsam im kalten Wasser.

      Lieber Gott, dachte Helle, warum befolgst du Arschloch nicht die einfachsten Regeln: Kinder dürfen nicht vor ihren Eltern sterben.

      Aalborg

      Seit dem Auftauchen von Hiob war Willem komplett von der Rolle, und Marit, die ihn so gut kannte, hörte nicht auf nachzubohren. In der Nacht von Freitag auf Samstag hatte er einen seiner Albträume bekommen, er war davon wach geworden, dass Marit neben ihm saß und ihn rüttelte. Sie sagte ihm, er habe gestöhnt und geschrien. Sein Körper war überzogen mit kaltem Schweiß und die Zähne klapperten.

      Willem wusste, dass er mit ihr reden musste, er war Marit eine Erklärung schuldig, jedenfalls wenn er es nicht schaffte, sich zu kontrollieren und seine Angst wieder in den Griff zu bekommen. Kurz hatte er in Erwägung gezogen, mit der Psychologin zu sprechen, aber die Furcht, dass sie sein Geheimnis einem Vorgesetzten offenbarte, war zu groß. Natürlich unterlag sie der Schweigepflicht, aber Willem traute niemandem. Das hatte Hiob geschafft, Willems Vertrauen in die Welt war und blieb erschüttert.

      Heute hatte er eigentlich keinen Dienst gehabt, deshalb hatte er sich auch nicht um Hiobs Ansinnen kümmern können. Stattdessen war er nach dem Frühstück mit den Kindern in den Wald gegangen. Sie hatten Moos gesammelt und schöne Äste und nach Tierspuren gesucht, und es war so wundervoll gewesen, mit seinen beiden Engeln, die glücklich und so unschuldig waren, dass er Tränen in die Augen bekam, wenn er an seine eigene verkorkste Kindheit dachte. Aber dann schlich sich immer wieder die Angst zwischen ihn und seine Kinder, er dachte daran, dass sie Marit allein zu Hause zurückgelassen hatten, und er bekam Angst um sie.

      Leise Paranoia schlich sich in seinen Kopf, er wollte mit seinen Kindern nicht Verstecken spielen, weil er fürchtete, eines von ihnen plötzlich nicht mehr zu finden.

      Auf dem Bohlenweg durch das Moor blickte er ständig über die Schulter, vor Angst, es könnte jemand auftauchen und ihnen folgen.

      Nicht jemand. Er. Einmal war er aus dem Nichts aufgetaucht, er konnte es jederzeit wieder tun.

      Schließlich hatte Willem es nicht mehr ausgehalten, scheuchte die Kinder ins Auto und fuhr mit ihnen wieder nach Hause.

      Sagte Marit, dass er noch einmal zur Arbeit müsse. Etwas tun. Sie solle alle Türen verriegeln. Die Kinder nicht alleine in den Garten lassen. Auf ihre Fragen gab er keine Antworten.

      War einfach gefahren.

      Willem wollte es hinter sich bringen, den Jungen finden und seine Ruhe haben. Das Königreich zurück in die Tiefen seiner Erinnerung drängen, Hiob aus dem Gedächtnis tilgen und so tun, als wäre er, Willem, ein normaler Mann mit einer normalen Familie.

      Abschließen mit seiner Vergangenheit. So war er ins Büro gefahren.

      Jetzt saß er hier und scrollte sich durch die Register, anstatt bei seiner Familie zu sein, mit den Kindern zu spielen und sie dann ins Bett zu bringen.

      Die Pkw-Überprüfung hatte ihn nicht weitergebracht. Das Kennzeichen hatte zu einem Wagen gehört, der bereits

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