Helle und der falsche Prophet. Judith Arendt

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Helle und der falsche Prophet - Judith Arendt

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sie ihm deshalb gefolgt?, schoss es ihm durch den Kopf, aber dann schob er den Gedanken weg, holte tief Luft und sagte: »Also okay. Wohin willst du?«

      »In den Norden. Je weiter, desto besser. Richtung Frederikshavn. Fahrt ihr da hin?«

      Das Mädchen hatte schon die Beifahrertür geöffnet, Jemi räumte ihren Kram zusammen und rutschte zuerst auf den Sitz, dann das Mädchen.

      »Wie heißt ihr?«, fragte sie und grinste.

      »Ich bin Nick und das ist Jemi.«

      »Jemi? Lustiger Name. Noch nie gehört.«

      »Eigentlich Jemim…«, wollte Jemi antworten, aber er ging dazwischen.

      »Woher kommst du?«, fragte er und fädelte sich wieder in die Schnellstraße ein. Und ärgerte sich im gleichen Moment, denn wenn er das Mädchen fragte, woher sie kam, würde sie zurückfragen. »Wir sind gerade auf dem Weg zurück von Kolding«, schob er deshalb nach.

      »Ich komme eigentlich aus Frederikshavn«, antwortete Merle munter. »Aber ich hab gerade meinen Bruder in Aalborg besucht, wegen der Demo, und mein Board abgeholt. Jetzt will ich wieder zurück. An den Strand.«

      »An den Strand?« Jemis Augen leuchteten. »Da möchte ich auch hin. Ans Meer. Ich war noch nie dort. Ich sehne mich danach, einmal das Meer zu sehen.«

      Merle zog die Brauen zusammen und sah Jemi belustigt an. »Ist das ein Zitat? Aus einem Film oder so?«

      Jemi verstand nicht, aber bevor sie etwas entgegnen konnte, ging Nick dazwischen.

      »Was willst du nachts am Strand? Zu dieser Jahreszeit? Ist ein bisschen zu kalt, um zu surfen, oder?«

      Die Tramperin lachte. »Warum denn? Ist doch langweilig. Ich bin schon ein paarmal nachts gesurft. Das ist wenigstens eine challenge. Du gehst an deine Grenzen.«

      Sie zuckte mit den Schultern, während Jemi und Nick sich ansahen. Sie hatten keinen Schimmer, was Merle meinte.

      »So ein Quatsch«, sagte Nick. Er ärgerte sich über das Mädchen, aber noch mehr ärgerte er sich darüber, dass sie ihm so fremd schien. Ihre Sprache, diese lässige Selbstverständlichkeit, die sie an den Tag legte. Alles an ihr provozierte ihn.

      »Du bist sehr mutig. Was sagen deine Eltern?« Jemi legte ihre Hand auf Nicks Oberschenkel und drückte leicht. Sie bat ihn damit, sich zurückzunehmen, er verstand die sanfte Geste.

      Merle guckte etwas schräg und lachte dann. »Du sprichst so komisch, du bist nicht aus Dänemark, oder? Woher kommst du?«

      Jemi warf Nick einen irritierten Blick zu.

      »Doch. Ich bin hier geboren. Aber bei mir zu Hause reden wir alle so.«

      »Aha.«

      Zum Glück gab Merle sich mit der Antwort zufrieden, sonst hätte er sie bald wieder absetzen müssen, dachte Nick. Sie war gefährlich, ohne es überhaupt zu wissen.

      »Ich dachte ja, dass ich mehr Glück habe beim Trampen«, fuhr diese unbekümmert fort. »Ich meine, es sind doch ziemlich viele nach der Demo wieder nach Hause gefahren. Aber weil ich das Board bei meinem Bruder abgeholt habe, habe ich die meisten Mitfahrgelegenheiten verpasst.« Merle warf ihnen einen interessierten Blick zu. »Wart ihr auch da?«

      »Wo?«

      »Fridays for Future. In Aalborg.«

      »Was ist das?«, fragte Jemi.

      »Hä? Nicht dein Ernst, oder?« Merle lachte kurz auf, halb belustigt, halb schockiert.

      »War ein Scherz«, beeilte sich Nick einzuwerfen. Er wurde immer nervöser. Es war so eine Scheißidee, dieses Mädchen mitzunehmen. Sie mussten versuchen, sie so schnell wie möglich loszuwerden. »Natürlich wissen wir, was das ist. Aber nein, wir waren nicht da. Konnten heute nicht. Wir hatten zu tun.«

      Damit gab Merle sich zufrieden, aber Jemi ruckelte schon wieder nervös auf ihrem Sitz herum und kaute auf den Haarspitzen.

      »Also, wenn ihr wollt, kommt doch mit an den Strand. Das wird cool. Ich hab auch was zu rauchen dabei.«

      »Ich rauche nicht«, meinte Jemi, fast entschuldigend.

      »Ich rauche auch nicht.« Merle grinste. »Nur Gras.«

      Jemi guckte verständnislos. »Gras? Ehrlich, du rauchst Gras?«

      Merle lehnte sich mit einem Ruck gegen die Beifahrertür, sodass sie einen besseren Blick in ihre Gesichter hatte. Nick wandte seines ab. Er hatte noch immer die Kapuze des Hoodies auf, und seine Narbe befand sich zum Glück auf der Merle abgewandten linken Gesichtshälfte.

      »Ihr seid ja totale Freaks! Was geht mit euch?«

      Nick starrte auf die Straße. Er zog es vor, darauf nicht zu antworten. Jede Antwort war eine zu viel. Andererseits tat es ihm leid. Für Jemi. Er hatte ihr die Freiheit in den tollsten Farben ausgemalt, was sie alles sehen und erleben würde, dass sie endlich Leute kennenlernen würden, Leute in ihrem Alter, junge Leute, ohne Bibel in der Hand. Sie würden ihre Musik hören und die Welt sehen. Und nun war hier ein Mädchen, so alt wie sie, ein junges, freies Mädchen, das sie obendrein einlud, etwas Verrücktes mit ihr zu machen. Und anstatt sich zu freuen, ließen sie sich in die Ecke drängen und empfanden sie vor allem als: Bedrohung.

      Jemi machte einen Versuch der Erklärung. »Wir leben auf einer Farm, weißt du? Wir sehen nicht viel von der Welt.«

      Merle lachte auf. »Kein Scheiß – ihr werdet ja wohl Internet haben. Ich mein, ihr lebt doch nicht im Mittelalter.«

      Nick konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Jemi ihre Hände knetete. Sie war nervös, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Hoffentlich rastete sie nicht aus. Er hatte es oft genug erlebt, wie sie reagierte, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlte. Sie konnte nicht so gut mit Worten umgehen, natürlich, sie hatte nicht einmal eine Schule besucht, sie lebte nicht unter Gleichaltrigen. In ihrer Welt gab es nur Hiob und die anderen. Die armen Gestalten. Die Diener Hiobs. Sein Volk. Es galt das Wort des Herrn, und der Herr im Königreich war Hiob. Er hatte auf alles eine Antwort. Er beendete jeden Satz, den Jemi nicht rausbrachte, stellte und beantwortete für sie jede Frage, die ihr Geist nicht in Sprache verwandeln konnte. Und manchmal ließ er Jemi einfach in all ihrer Hilflosigkeit stehen. Wenn sie nicht mehr weiterwusste, dann bekam sie diese Anfälle.

      Nick wollte sich nicht eingestehen, dass sie ihm in diesen Augenblicken unheimlich war. Es kam eine Jemi zutage, die er lieber nicht kannte. Sie wusste meistens nachher nicht, was geschehen war, war nicht Herr über das, was sie dann tat. Hiob war der Einzige, der sie in diesen Situationen in den Griff bekam. Allerdings war Nick noch nie dabei gewesen, wenn Hiob das regelte. Er wusste nicht, was dann geschah. Schlug er sie? Hypnotisierte sie? Gab ihr Drogen?

      Zuzutrauen war ihm alles.

      Die anderen sagten über Jemi, dass sie besessen war. Oder krank im Kopf. Aber die glaubten auch an Engel und so einen Scheiß.

      »Halt dich von ihr fern, sie ist böse«, hatte seine Mutter ihm gepredigt, aber gerade das hatte ihn so angezogen. Ihre überirdische Schönheit und diese dunkle Seite ihrer Seele.

      Aber

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