Die Breitseite des Lebens. Ingo Irka
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Breitseite des Lebens - Ingo Irka страница 11
Dabei blickte er Lydia fast schadenfroh an.
„Mir ist so eine Misere zwar noch nie wiederfahren. Doch das liegt sicher daran, dass die bösen Diebe wissen, dass ich gar keine Zeit habe mich ausrauben zu lassen. Ich habe ja zu arbeiten und kann nicht schon am Vormittag in der Stadt flanieren. Außerdem fehlt mir auch das passende Handtäschchen, das ich ganz offen zur Schau trage. Als Einladung für Langfinger, sozusagen. Doch ich will dir jetzt gar keinen Vorwurf machen.“ Er hob die Augenbraue an. „Die einzige Lehre, die du aus diesem Vorfall ziehen kannst, ist in Zukunft einfach besser aufzupassen auf die ganzen Sachen, denn…“
„…denn du investierst dein Geld ja auch in diese ganzen Sachen, ich weiß!“, platzte es postwendend aus Lydia heraus. „Du musst mir das nicht bei jeder Gelegenheit vorbeten! Und deinen rechthaberischen Unterton kannst du dir auch sparen. Ich bin kein kleines Kind mehr, das man schulmeistern muss.“
„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, wenn ich versuche, ganz sachlich mit dir über das Ganze zu sprechen“, blieb Edgar betont gelassen. „Und ja, es ist auch mein Geld, von dem wir hier reden. Oder denkst du, der anstehende Urlaub oder der Reitunterricht für die Kinder bezahlen sich von selbst? Ich darf dich untertänig darauf hinweisen, dass wir das Gros der Ausgaben ja von meinem Konto abbuchen lassen. Ich bin der Zahlmeister hier im Haus. Oder täusche ich mich da etwa?“
Nein, Edgar täuschte sich nicht. Er hatte nicht so Unrecht mit seinen Anspielungen. Alleine die Kosten für die Reitstunden beliefen sich jeden Monat auf ein ordentliches Sümmchen. Ausgaben, die man nicht eben mal so aus der Portokasse beglich. Nein, das Gegenteil war vielmehr der Fall. Hätte er nach dem Tod seines Vaters nicht den einen oder anderen Euro geerbt, würden seine beiden Töchter höchstens auf einem Schaukelpferd herumturnen, statt auf dem Rücken zweier echter Rassehengste. Und das sogar zwei Mal die Woche.
Nicht, dass er Clara und Sophia dieses Vergnügen nicht gegönnt hätte. Er liebte die beiden abgöttisch und las ihnen beinahe jeden Wunsch von den Lippen ab. Insofern unterstützte er sie, wo er nur konnte. Darüber hinaus attestierte die Reittrainerin seiner größeren Tochter sogar großes Talent. Sophia hatte trotz ihres zarten Alters bereits den einen oder anderen Jugendwettkampf im Springreiten für sich gewinnen können. Sie war das, was man in Reitkreisen als untrügliche Pferdeflüsterin betitelte. Wenn sie im Parcours mit ihrem Hengst zu einer Einheit verschmolz und jeden Balken und Wassergraben scheinbar mühelos überwand, hüpfte sein stolzes Vaterherz fast aus der Brust. Und als sie im Vorjahr sogar als Bronzegewinnerin der Jugendeuropameisterschaften aus dem Sattel stieg, gab es auch für Sophia selbst kein Halten mehr. Sie tanzte und schrie wie wild herum. Sie umarmte und herzte überschwänglich ihren Cello und schickte unzählige Küsschen in Richtung der Tribüne. So manche Freudenträne lief dabei auch über seine Wange. Es war ein Moment gefüllt mit Magie und Gänsehaut. Etwas, das sich in sein Gehirn eingebrannt hatte und als Glücksgefühl dort überdauerte. In diesem Lichte war es also nur recht und billig seine Töchter auch weiterhin zu fördern. Das alles war nicht das Problem.
Was ihm sauer aufstieß war die Tatsache, dass Lydia seine finanziellen Belastungen als pure Selbstverständlichkeit erachtete. Sie hatte sich die Rolle der Finanzbeauftragten auf den Leib geschneidert und verfügte mehr oder minder ungefragt über sein Geld.
Ein neuer Fernseher wurde angeschafft - Sein Konto wurde belastet.
Neue Fliesen für das Badezimmer mussten her - Er musste bezahlen.
Ein neuer Gefrierschrank wurde gewünscht - Er war der Geldgeber.
Ja, selbst die Kosten für die letzte Garnitur neuer Winterreifen für Lydias Auto wurden aus seiner Tasche beglichen. Ganz zu schweigen von den alltäglichen Einkäufen, den wöchentlichen Tankfüllungen oder dem Bußgeld für das Schwarzfahren. Es blieb so ziemlich alles an ihm hängen. Trotz Gemeinschaftskontos!
„Hast du den Verlust der Sachen wenigstens gemeldet und die zuständigen Stellen informiert?“, erkundigte Edgar sich noch.
Doch Lydia hatte den Raum bereits verlassen. Ihr Bedarf an kritischen Worten war reichlich gedeckt. Lieber gesellte sie sich im Kinderzimmer zu ihren beiden Töchtern, als ihm noch länger Gehör zu schenken.
„Und danke, dass du nicht laut geworden bist und mir auch keine Schuldzuweisungen angedeihen lassen hast, du verdammter Loser!“, zischte er ihr nach.
Dann klappte er den Laptop wieder auf. Die leere Verpackung und die Kartoffelschalen am Boden ließ er einfach liegen. Diesmal würde er sie mit Sicherheit nicht aufräumen, das stand fest. Noch dazu wo er doch genau wusste, wie sich die nächste Zeit nun für ihn gestalten würde. Lydia würde ihn mit Ignoranz und bösen Blicken strafen. So, wie sie es nach solchen Disputen immer tat. Sie würde kein Wort mit ihm wechseln, den Haushalt vernachlässigen, sich bei ihrer Geierschar von Freundinnen ausheulen und noch mehr von seinem Geld verprassen. Und erst wenn der Urlaub vor der Türe stand würden diese Mätzchen wieder ihr Ende finden. Dann hatte alles wieder eitel Wonne zu sein. Als wäre nichts geschehen. Schließlich musste im Urlaub ja der Schein eines harmonischen Familienlebens gewahrt werden. Allein schon der Kinder wegen. Ja, genau das blühte ihm die ganze Woche. Er hasste sie jetzt schon dafür.
Noch einmal aktualisierte er seine Mailbox. Immer noch keine Nachricht von Romana.
BERICHT 6
Montag, 3. Juli, 16: 34 Uhr
Wie man das Bäumchen biegt, so wächst es
Zur gleichen Zeit entledigte Ralph sich seiner Krawatte und den ausgetretenen Schuhen. Er hatte den Job bekommen, den Simones Mutter ihm vermittelt hatte. Ab morgen würde er ganz offiziell Angestellter bei den Linzer Verkehrslinien sein. Administrative Tätigkeiten oder der direkte Kontakt mit dem Kundendienst fielen fortan in seinen Aufgabenbereich. Besser hätte er es eigentlich gar nicht erwischen können.
Er, der bis dato Arbeit eher als Zeitverschwendung, denn als Karrieremöglichkeit erachtete. Für ihn galt seit je her, dass Arbeit zwar das Leben versüßen konnte, nicht jedoch, wenn man allergisch auf Zucker reagierte. Und was langfristige und seriöse Arbeit anbelangte war er ohnehin Diabetiker schlechthin.
Bislang waren es eher Gelegenheitsjobs mit denen er sich mehr schlecht als recht über Wasser hielt. Es gab wohl keine Gullydeckel und keine verdreckten Mülltonnen, die nicht für billiges Geld bereits von ihm geöffnet oder entleert worden waren. Auch der Asphalt auf so mancher Linzer Straße fand seinen Platz über die Schaufel, die er als Hilfsarbeiter am Bau geschwungen hatte. Ja, selbst für die eine oder andere Wandfarbe auf den städtischen Hausfassaden zeichnete sich Reibeputz Ralphie, wie er als Zeitarbeiter abfällig von seinen damaligen Kollegen genannt wurde, verantwortlich. Beinahe jede minder entlohnte Arbeit trug bereits seine Handschrift. Wie sollte es auch anders sein? Ohne gültigen Schulabschluss und einem Leumundszeugnis, das jedem Firmenchef den Magen umdrehte. Er war der Typ, der einem lieber war, wenn er Fragen stellte, anstatt Antwort darauf zu geben.
Ja, seine Liste an Straftaten war lang. Genauso lang wie seine zahlreichen Aufenthalte hinter versperrten Toren der heimischen Gefängnisse. Zu wenig Zeit hatte er in jungen Jahren in Noten und Zensuren investiert. Zu viel Energie später für seine kriminellen Machenschaften aufgewendet. Eine verkehrte Welt.
Doch Ralphs Weg schien ohnedies bereits vorgeebnet zu sein. Er war das, was man von Kindesbeinen an als geborenen Außenseiter bezeichnen konnte. Seine Mutter starb bereits bei seiner Geburt und seinen versoffenen Vater hatte er niemals kennen gelernt.