Die Breitseite des Lebens. Ingo Irka
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Es war ein Geschenk ihres Mannes zum Vierziger. Nicht etwa, dass es von Nöten gewesen wäre. Immerhin hatte sie bereits das Vorgängermodell zuhause. Doch Kathy liebte Geschenke und Kathy liebte Aktualität. Und da war es nur eine logische Konsequenz, dass Tom für Kathy auch tief in die Börse zu greifen hatte, um ihre Wünsche auch zu erfüllen. Fertig!
„Na, hast du dich von deinem Quälgeist zuhause lösen können, Lydia?“, fiel sie gleich ungeniert mit der Tür ins Haus und legte ihr Telefon beiseite.
„Darf ich mich vielleicht einmal setzen, bevor ich über die Männer und ihre Unzulänglichkeiten mit Euch sprechen muss?“, erwiderte Lydia leicht gereizt, ehe sie sich den Stuhl neben Carmen zurechtschob. „Und außerdem bin ich ohnedies noch ein bisschen durch den Wind.“
„Wieso, was ist los mit dir?“, wandte Carmen sich ihr zu, um zeitgleich dem Kellner ein Zeichen zu geben, dass ihr Weißwein zur Neige ging. „Hast du etwa wirklich Stress mit deinem Göttergatten gehabt?“
Lydia nahm Platz.
„Nein, Edgar war heute noch nicht das Problem. Wie auch, ich habe ihn heute Morgen nicht länger als ein paar Minuten zu Gesicht bekommen.“
Sie begann nebenbei die Getränkekarte durchzublättern.
„Ich wäre heute beinahe zur Schwarzfahrerin geworden. Das wirft mich etwas aus der Bahn. Zu meinem Glück ist aber alles gut ausgegangen. Eigentlich bin ich ja der Kontrolle entgangen, da die beiden Kontrolleure einen Besoffenen ohne gültigen Ausweis erwischt haben. Gott sei Dank! Aber es waren trotzdem bange Minuten für mich.“
„Oh, unsere ach so korrekte und unfehlbare Lydia hätte fast Bekanntschaft mit dem langen Arm des Gesetzes gehabt“, schaltete Marie sich süffisant in das Gespräch ein. „Aber das ist doch lächerlich. Wegen so einer Kleinigkeit bist du durch den Wind? Als ob auf das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmittel gleich die Todesstrafe stehen würde.“
„Genau meine Rede. Wegen so einer Bagatelle brauchst du nicht gleich auszuflippen“, stieß Kathy in dasselbe Horn.
Sie klappte ihren Schminkspiegel auf und trug ordentlich Lippenstift und Rouge auf.
„Ihr beide habt leicht reden“, schlug Carmen sich übereifrig auf Lydias Seite, „Ihr habt ja auch keine Kinder, denen Ihr Rede und Antwort stehen müsst. Bei Lydia und mir sieht die Sache da schon etwas anders aus. Wie würden wir denn dastehen, wenn wir unsere Kinder einerseits zur Ehrlichkeit und Ordnung aufrufen und auf der anderen Seite selbst gegen diese Prinzipien verstoßen würden? Glaubwürdigkeit kann man sich nicht kaufen. Die muss man sich erarbeiten. Und mit einem kleinen Fehltritt hat man sie auch schon wieder verspielt. Und dann“, Carmen blickte Kathy belehrend an, „nützen nicht einmal ein neues Smartphone oder eine zentimeterdicke Schicht Make Up etwas, um die Wogen wieder zu glätten.“
„Was redest du da? Wenn ich mit meiner noblen Schminke auf den rosigen Wangen einem Kontrolleur unter die Augen treten würde, dann hätte ich wahrscheinlich Gratisfahrten auf Lebzeit und eine Telefonnummer mehr in der Tasche“, lachte Kathy laut auf. „In dieser Hinsicht sind doch alle Männer gleich. Optik vor Ordnung und Moral. Wisst Ihr noch? Letztes Jahr, als ich Euch von Italien erzählt habe? Als ich von zwei Beamten wegen meines defekten Rücklichts angehalten worden bin?“
Sie ließ ihren Blick fragend durch die Runde wandern.
„Die liebe Kathy hat gar nichts bezahlen müssen. Und das nur, weil sie ein bisschen mit dem Hintern gewackelt hat, die Stimmlage ganz sexy eine Oktave höher geschraubt und ihren Unschuldsblick aufgesetzt hat. Ja, so leicht sind die Männer um den Finger zu wickeln.“
„Aber doch nicht alle Männer“, versuchte Carmen zu relativieren.
„Natürlich, alle Männer! Ohne Ausnahme!“
Kathy griff überlegen nach ihrer Kaffeetasse.
„Sogar dieser Psychologe Sigmund Freud sagt das und der muss es als Mann ja wissen.“
„Ach ja, ich vergaß. Unsere Kathy ist ja unter die Seelenklempner gegangen“, spöttelte Carmen in ihre Richtung und verdrehte die Augen dabei.
„Nein, dafür müsste ich schon so schlau sein wie du“, spielte Kathy zynisch die Kugel zurück. „Aber wenn du es genau wissen willst, ich habe unlängst eine Dokumentation über diesen Freud gesehen. Dabei hat er mehrmals betont, dass die Männer nichts anderes als berechenbare Triebwesen sind. Das Einzige, was ihnen pausenlos im Kopf herumschwirrt, sind sexuelle Gedanken und irgendwelche Bettphantasien. Und das annähernd alle paar Minuten. Sogar Eure eigenen Männer würden auf andere Frauen hereinfallen, wenn diese nur die richtigen Signale und Reize setzen würden. Ein wenig Augenblinzeln da. Etwas aufreizende Kleidung dort. Und fertig ist das Objekt der männlichen Begierde. Mein Tom ist der lebende Beweis dafür, glaubt mir.“
Auch Marie klinkte sich wieder ein:
„Na ja, so unrecht hat Kathy da gar nicht. Wenn man bedenkt, dass bei uns jede zweite Ehe wieder geschieden wird und der Auslöser dafür meistens Untreue und Seitensprünge aller Art sind. Also ich würde für meinen Georg die Hand auch nicht unbedingt ins Feuer legen. Wenn er die Möglichkeit bekommen würde mit einer anderen ins Bett zu springen, wer weiß? Das Geheimnis ist einfach, die Männer an der kurzen Leine und permanent auf Trab zu halten. Man muss die Freiräume ihrer Gedanken kontrollieren und mit eigenen Inhalten auffüllen. Dann kommen sie erst gar nicht auf irgendwelche dummen Ideen. Wie ein Kontrolleur in der Straßenbahn, der auch immer wieder seine Fahrgäste unter die Lupe nehmen muss. Sonst kämen sie noch auf blöde Gedanken und würden anfangen schwarzzufahren. Nicht wahr, Lydia?“
Marie blickte Lydia schelmisch an.
Doch Lydia reagierte nicht auf Maries Anspielung. Stattdessen kramte sie unsicher in ihrer Handtasche herum und begann sie nach und nach zu leeren. Eine Sonnenbrille kam zum Vorschein. Nagellack und Lippenstift waren da. Ein kleiner Schminkspiegel, Wimperntusche, Kaugummi. Alle Standardutensilien waren vorhanden. Doch wo waren nur ihr Portmonee und ihr Wohnungsschlüssel abgeblieben? Sie hatte sie in der Straßenbahn doch noch gehabt. Ein erster Schreck fuhr ihr in die Glieder.
„Das kann doch nicht sein“, stammelte sie leise vor sich hin, während sie ungläubig ihre ganze Tasche auf den Kopf stellte.
Doch außer etwas Zahnseide, einer Schmerztablette und ein paar Taschentüchern purzelte nichts mehr heraus. Keine Spur von Geldbörse oder Schlüssel.
„Alles in Ordnung bei dir, Lydia? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen“, fragte Carmen nach. „Wenn du deine Tampons nicht findest, dann kann ich dir ja aushelfen. Ich habe sicher noch einige dabei.“
Sie griff hektisch nach ihrer Tasche, als Lydia sie plötzlich am Arm packte.
„Carmen, ich kann meine Geldbörse nirgendwo finden!“
„Ist doch kein Malheur, dann bezahle ich eben deine Rechnung und du lädst mich dafür das nächste Mal ein“, versuchte Carmen sie zu beruhigen.
„Nein, nein. Du verstehst nicht! Ich habe sie unter Garantie in die Handtasche gepackt und jetzt ist sie weg. Und mein Schlüsselbund ist auch wie vom Erdboden verschwunden. Entweder sind mir die Sachen irgendwo herausgefallen, oder…“
Lydia