Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

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Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft

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Florentiner Maler in München Und ehrlich gesagt, ärgere dich nicht, wenn ich sage, dass ich nicht mehr auf Chips stehe, weil ich abnehmen muss. Sieh mich doch an.“

      Er zuckt mit den Schultern. „Du bist doch nicht dick, gerade richtig. Ich glaube, du kannst dich selbst nicht leiden.“

      „Zum Teil stimmt es.“

      „Du siehst noch gut aus mit deinen 72 Jahren.“

      „Vielleicht war ich mal schön, aber doch jetzt nicht mehr.“

      „Dir kann man keine Komplimente machen. Du kannst sie nicht annehmen, weil du denkst, es ist nur Schmeichelei.“

      Ich zucke mit den Schultern. Wie er mich wirklich sieht, weiß ich nicht. Natürlich wünsche ich mir, für ihn doch ein bisschen hübsch auszusehen.

      Manchmal versuchen wir, uns mit negativen Äußerungen zurückzuhalten, weil wir einander nicht verletzen wollen, doch ab und zu passiert es, dass wir Bemerkungen machen, die keinem von uns gefallen, so wie vorhin. Andererseits verteilen wir auch Komplimente. Wir sind Freunde, Kameraden. Bei Edgar habe ich keine Schmetterlinge im Bauch, wie man so sagt, aber ich habe das wundervolle Gefühl, dass er zu mir hält und dass er mich gut leiden kann.

      Wir haben uns vor zwei Jahren näher kennengelernt. Beide wohnen wir Tür an Tür im ersten Stock dieses Mehrfamilienhauses. Jeder von uns besitzt eine Eigentumswohnung. Öfter laden wir einander zum Tee oder abends zu einem Glas Wein ein, weil wir uns gerne miteinander unterhalten. Wir führen sehr lebhafte und interessante Gespräche, manchmal auch knallharte Diskussionen, die wir beide mögen. Ich glaube, wir fühlen uns dennoch etwas einsam in diesem Haus, das Menschen mit so verschiedenen Charakteren bewohnen.

      Edgar macht sich öfter die Mühe, für mich eine Käseplatte und Weißbrot zum Weißwein herzurichten. Das finde ich sehr aufmerksam von ihm. „Nur diese eine Sorte Käse, die so unglaublich stinkt, könntest du weglassen“, habe ich mich einmal beklagt. Damit habe ich ihn verletzt, weil er ein großer Käsekenner ist. Er hat verärgert geantwortet: „Ein besonderes Käsearoma ist das wirklich. Aber dafür fehlt dir der Sinn.“

      Ich hatte zynisch bemerkt: „Er ist wirklich einmalig, dein Käse. Man riecht ihn noch unten am Eingang.“

      Das hätte ich nicht sagen sollen. Beleidigt hatte er mich angestarrt: „Von Käse hast du wirklich null Ahnung!“

      „Vom Riechen und Schmecken aber schon.“

      „Ich lass ihn weg, wenn wir uns wieder treffen. Sonst kommst du nicht mehr, aber unsere Gespräche sind mir sehr wichtig.“

      „Mir doch auch, Edgar. Nur solltest du nicht immer in das politische Fahrwasser geraten.“

      „Ich weiß, ich mute dir sehr viel zu.“

      Einige hier im Haus betrachten Edgar als Sonderling, ich nicht. Ich finde, er ist ein sehr interessanter Mann, sehr aufgeschlossen und beinahe immer freundlich. Dass er über die Bundeskanzlerin schimpft, mag ich nicht. Er sagt, dass ich nicht weiß, was Angela Merkel an richtet. Ich glaube, so viel zu verstehen, dass ich sagen kann, sie ist eine solide, gewissenhafte Bundeskanzlerin. Keiner der Politiker kann ein so gutes Gewissen haben wie sie. Sie hat sich sehr um die Flüchtlinge gekümmert und tut es immer noch. Manche Politiker haben kein Gewissen, höchstens ein schlechtes, und sie treffen deshalb nicht immer die richtigen Entscheidungen.“

      Edgar besitzt einen Computer. Er rät mir, mir unbedingt auch einen anzuschaffen. „Ich bring dir alles bei, was du willst. Oder möchtest du weiterhin hinterm Mond leben?“

      Ich stoße die Luft aus und sage: „Warum nicht? Als alte Frau lebt es sich dort gut.“

      „Du bist keine alte Frau, sondern eine ältere Dame und intelligent dazu.“

      Ich lache. „Ein schönes Kompliment, aber wo ist da der Unterschied? Es ist doch nur die Höflichkeit, die aus einer Frau eine Dame macht.“

      „Stimmt doch nicht. Es gibt große Unterschiede.“

      Ich lächle und er sagt: „Demnächst kaufen wir für dich auch einen Computer und ein Smartphone. Das Geld hast du ja dazu. Du musst mehr mit der Zeit gehen, Helenchen.“

      Oh, er hat He!enchen gesagt. Zum ersten Mal höre ich das aus seinem Mund. Ich schüttle den Kopf. „Ich muss nicht mit der Zeit gehen. Meine beiden Freundinnen schimpfen dauernd über diese komplizierte Technik. Ich als ungeduldiger Mensch würde dabei verrückt werden.“

      „Dass nicht immer alles funktioniert, kann ich bestätigen. Das braucht natürlich Geduld.“

      „Weil ich keine habe, lasse ich es lieber bleiben.“

      „Ach was! Das Internet ist so informativ.“

      „Es macht die Menschen nervös und halb verrückt, weil sie nichts anderes mehr im Kopf haben. Das Fernsehen kann auch gut informieren. Man kann es abschalten.“

      „Den Computer und das Smartphone ebenfalls. Musst du deinen Freundinnen alles nachplappern?“

      Ich schweige und denke auf einmal daran, dass Edgar letztes fahr einen Roman begonnen und mir gesagt hat, dass er nicht weiter weiß. Vielleicht auch deshalb, weil er viel mit dem Smartphone spielt. Ich würde ihm den Erfolg, ein Buch zu veröffentlichen, von Herzen gönnen. Er hat Fantasie und ist dazu begabt.

      Außer Edgar gibt es in meinem Leben noch zwei Freundinnen, die jedes Mal im Doppelpack erscheinen. Sie schnattern wie Gänse und reden nur von sich. Meine Worte kommen nicht zur Geltung. Sie verurteilen mich, weil ich geschieden bin. Susanne hatte mal zu mir gesagt: „Du hättest nicht gleich aufgeben sollen“, worauf ich geantwortet habe: „Er ist doch davongelaufen, um eine jüngere zu heiraten.“

      Lange schon habe ich mir vorgenommen, mich nicht mehr mit Susanne und Roberta zu treffen, aber ich bin zu feige, um ihnen das zu erklären. Edgar schlägt vor, ich solle ihnen einen Brief schreiben. Nein, ich möchte es ihnen persönlich sagen. Bis jetzt fehlt mir der Mut dazu. Edgar ist anders. Wen er nicht mag, dem sagt er es ins Gesicht, wie zum Beispiel Herrn Kirnau unten im Parterre. Diese Antipathie beruht auf Gegenseitigkeit.

      Edgars Sohn ist mit einer Wienerin verheiratet. Die beiden haben eine kleine Tochter, die mir ans Herz gewachsen ist. Sie sieht immer bei mir vorbei, wenn sie mit ihrem Vater zu ihrem Opa kommt. Ihre Mutter habe ich bis jetzt noch nicht kennengelernt. Lörchen ist ein herziges Kind. Sie kann so reizend lachen, und ich amüsiere mich gerne mit ihr. Die Kleine wird im Herbst sechs Jahre alt. Für sie scheine ich so etwas wie eine Oma zu sein, auch wenn sie Tante Helene zu mir sagt. Ich bedaure sehr, dass ich selbst keine Enkelkinder habe.

      Mein Exmann hat sich im Urlaub vor ungefähr zwanzig Jahren in eine junge Italienerin aus Venedig verliebt, die ihm zwei Kinder geschenkt hat. Unsere gemeinsame, bereits 40 Jahre alte Tochter, ist alleinstehend und lebt in Bremen. Sie will nichts von mir wissen. Sie gibt mir immer noch die Schuld an der Scheidung. Ab und zu fährt sie zu ihrem Vater nach Italien. Nur einmal im Jahr ruft sie mich an, um mir ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen. Das ist alles. Ich habe das unausweichliche Gefühl, dass wir nie mehr zueinander finden werden.

      Oben im zweiten Stock wird es jetzt laut. Jemand öffnet eine Wohnungstür, es ist ein Streitgespräch zu vernehmen, und gleich darauf wird die Tür wieder zugeschlagen. Eine Minute später kommt die sechzehnjährige Tochter vom Ehepaar Krotezky die Treppe heruntergesprungen, grüßt freundlich und bleibt stehen. Sie trägt einen dunkelroten Minirock,

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