Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

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Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft

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zu sehen ist, dazu weiße Kniestrümpfe. Ihre braunen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten, die je eine Schleife in der Farbe ihres Kleides Zusammenhalten. Ich finde ihr Aussehen und ihre Art zauberhaft und drücke sie fest an mich. Als ich sie lange in meinen Armen halte, befreit sie sich aus meiner Umarmung. Sie lächelt mich an und sagt: „Tante Helene, ich freue mich schon auf die Schule.“

      „Gut so. Dann braucht dir bald keiner mehr etwas vorlesen. Dann kannst du selbst Geschichten lesen.“

      „Und schreiben. Ich möchte Geschichten schreiben wie mein Opa.“

      „Dann willst du Schriftstellerin werden? Eine gute Idee. Dein Opa wird sich riesig darüber freuen.“

      Sie lächelt. „Warum schreibst du keine Geschichten, Tante Helene?“, fragt sie mich.

      „Weil mir nichts einfällt. Meine Fantasie reicht dazu nicht aus.“

      Sie grinst mich an. „Dir fällt doch immer was ein, meistens was Gescheites“, bemerkt sie, worüber ich lachen muss.

      Bevor sie geht, schenke ich ihr eine Tafel Schokolade. Ich verspreche ihr, übermorgen zum Mittagessen zu kommen. Sie hält mir die Hand hin. „Schlag ein, dass du es machst. So machen es Viehhändler auch, wenn sie eine Kuh kaufen.“

      Erstaunt blicke ich Lörchen an. „Wie? Warst du schon einmal dabei, weil du das so genau weißt?“

      „Meine Mama hat mir erzählt, dass mein Opa, der einen großen, großen Bauernhof hat, es so macht, wenn er die Viecher verkauft oder kauft. Er hat zehn Kühe und zwei Pferde. Eine von den Kühen heißt Lörchen wie ich. Wir sind ja miteinander verwandt.“

      Ich muss lachen, was mir die Kleine übel nimmt. Sie rennt aus meiner Wohnung, ohne sich zu verabschieden.

      Am Pfingstsonntag um die Mittagszeit läutet sie bei mir und holt mich zum Essen ab. Ihren Ärger hat sie längst wieder vergessen.

      Ich begrüße zuerst Edgars Sohn, weil er mir am nächsten steht und dann seine Frau, die ich zum ersten Mal sehe. Ich überreiche ihr einen Sommerstrauß. Außerdem schenke ich ihr noch eine Schachtel Pralinen. Lörchen will danach greifen, aber ihre Mutter klopft ihr auf die Finger und sagt: „Du kleine Naschkatze, fetzt wird erst einmal etwas Anständiges gegessen.“

      „Ich heiße Marielia“, stellt sich Edgars Schwiegertochter bei mir vor. „Ist es Ihnen recht, wenn wir uns duzen?“

      „Gerne“, erwidere ich. „Ich bin Helene.“

      Mariellas volles, rundes Gesicht strahlt Freude aus, als wir uns die Hand reichen. Die Familie bittet mich an den großen, langen Tisch, der in Edgars kleinem Wohnzimmer viel Platz ein nimmt. Ich setze mich zwischen Edgar und Lörchen. Sie lächeln mich beide so nett an, dass mir warm ums Herz wird. Ich sitze zwar öfter hier zusammen mit Edgar, aber heute macht es mir besondere Freude, an diesem Tisch Platz nehmen zu dürfen.

      Marielia, die das Essen gekocht hat, trägt es zusammen mit Lörchen auf. Es gibt einen riesigen Serviettenkloß, von dem die Köchin Stücke rund wie Plätzchen abschneidet. Dazu gibt es einen Kalbsbraten mit einer leckeren Soße. Mariella hat eine Gemüseplatte mit Karotten, Bohnen und Erbsen vorbereitet. Darüber hat sie Petersilie gestreut und geschmolzene Butter geträufelt. Es gibt auch noch einen Salat dazu. Danach erhält jeder ein Schälchen mit Mangopudding. Lörchen isst noch eine zweite große Portion. Sie packt auch noch die von mir geschenkte Schokolade aus und nascht davon zwei Rippchen. Sie bietet ihrer Mutter etwas davon an, aber Marielia schüttelt den Kopf und sagt: „Kind, kriegst du immer noch nicht genug von den Süßigkeiten?“

      „Lörchen lacht. „Süß ist besser als sauer und salzig.“

      „Du hast recht“, lacht ihr Vater. Lörchen erklärt mir schmunzelnd: „Papa ist auch ein Süßer, sagt Mama.“ Ihre grünschillernden Augen leuchten dabei.

      Ich fasse nach der Mahlzeit an meine Magengegend und stöhne, dass ich zu viel gegessen habe. Edgar beobachtet mich, und ich sehe, dass sich seine Lippen zu einem Lächeln verziehen, aber er schweigt.

      „Das hat prima geschmeckt“, lobe ich die Köchin. Grinsend bemerkt Edgar: „Helene hat Angst, sie wird zu dick. Sie hält sich sonst mit Essen sehr zurück. Und weil sie viel gegessen hat, ist es für dich, Marielia, ein besonderes Lob.“

      Marielia lächelt, als sie sagt: „Helene, möchtest du in deinem Alter lieber eine Bohnenstange sein?“

      Meinen Namen spricht Mariella so als, als wären wir schon sehr miteinander vertraut. Das tut mir gut.

      Georg, der Sohn sagt: „Sehen Sie meinen Vater an. Er ist so dünn wie ein Zaunpfahl. Ist das etwa schön im Alter? Er könnte doch etwas mehr auf die Waage bringen.“

      Edgar sieht von einem zum ändern und grinst. „Leute, was habt ihr für Sorgen? Man ist so wie man ist. Georg, wenn ich dir zu wenig auf die Waage bringe, lege ich noch einen Stein drauf.“

      Darüber amüsiert sich Lörchen. Sie meint: „Papa, bei mir musst du gleich vier Steine drauflegen.“

      Mariella macht erst ein nachdenkliches Gesicht, ehe sie verlauten lässt: „Dass man zu- oder abnimmt, dick oder dünn ist, liegt nicht allein am Essen. Man bringt auch eine gewisse Veranlagung mit. Georg, du bist so wie dein Vater, kein Gramm mehr. Man kann nicht viel dafür oder dagegen tun.“

      Wir nippen jetzt alle, bis auf Lörchen, von einem Gläschen mit Kirschlikör. Der Vater schenkt seinem Töchterchen in ein Glas, auf dem die sieben Zwerge abgebildet sind, Zitronenlimonade ein. „Die Zwerge sollen alles austrinken“, sagt sie „Dann kann ich auch Kirschlikör trinken.“

      Ich verabschiede mich und bedanke mich für das Essen.

      „Einen schönen Nachmittag“, rufen sie mir nach.

      „Den wünsche ich euch auch“, sage ich.

      Drüben in meiner Wohnung lege ich mich auf die Couch und verschiebe meinen Spaziergang auf später.

      Nachdem ich etwas ausgeruht habe, suche ich den Wald auf. Bäume haben für mich eine große Anziehungskraft. Auch das Grün der Natur erweckt Lebensfreude in mir. Ich bleibe stehen, weil ich einen Specht klopfen höre. Man bezeichnet ihn als Zimmermann des Waldes. Er sucht kranke hohle Stämme, denn meistens gibt es hinter der Rinde, die oftmals locker ist, Borkenkäfer und sonstige Schädlinge. Der Specht vertilgt sie und ist deshalb sehr nützlich.

      Durch das Geäst scheint die Sonne, für kurze Zeit verschwindet sie wieder, weil sich Wolken davorschieben, aber bald kehrt sie zurück.

      An diesem Pfingstsonntag, es ist der 20. Mai, ist das Wetter sehr mild, für einen Spaziergang gerade richtig. Ich gehe gemächlichen Schrittes wieder heim und finde, dass ich mich ausgezeichnet erholt habe.

       Kapitel 3

      Ich stehe am Fenster und blicke hinunter auf die Straße, wo ich sofort Edgar entdecke. Er geht mit gemächlichen Schritten dahin. Heute hat er seine vollen grauen Haare sorgfältig nach hinten gekämmt. Mit seiner braunen Lederjacke, darunter ein hellblaues Hemd, sieht er sehr gepflegt aus. In der Hand hält er eine rotgelb gestreifte, schon sehr alte Tasche aus Leinen, die er oft zum Einkäufen benutzt.

      Ich denke mir, warum geht er so früh aus dem Haus? Warum auch nicht, wo er meistens schon um sieben aufsteht.

      Nachdem

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