Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

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Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft

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man ihr die Flausen austreiben.“

      Die beiden sprechen weiter, aber ich verlasse das Haus. Draußen höre ich Stimmengewirr und rieche den Brand. In der Seitenstraße sehe ich den Dachstuhl des Zweifamilienhauses brennen. Ich fasse mich an die Brust und sage laut: „Um Himmels Willen!“ Aufgeregt rufen die Feuerwehrmänner einander etwas zu. Ein kleines Mädchen schreit ängstlich nach seiner Mutter, die sie nicht gleich finden kann. Doch dann taucht sie auf.

      Auf einer Liege im Freien befindet sich eine mit einem Laken zugedeckte Frau. Ich frage sie, wie es ihr geht? „Schlecht“, äußert sie. „Ich habe zu viel Rauch eingeatmet.“

      „Ich sorge dafür, dass Sie ins Krankenhaus kommen“, will ich versprechen, aber sie hebt den Kopf und sagt: „Der Krankenwagen kommt gleich.“ Dann lässt sie sich auf die Liege zurückfallen.

      Während ich weitergehe, fällt mir wieder die Tragödie aus meiner Kindheit ein. Meine Wurzeln sind oberfränkisch. Mein Heimatort liegt nur ein paar Kilometer von Bamberg entfernt. Er nennt sich Talbach.

      Ich war zwölf Jahre alt, als die Kunstmühle unseres Ortes brannte. Wir Kinder hatten bei diesem riesigen Feuer gezittert. Beinahe wäre auch noch das Rathaus mit unseren Klassenzimmern abgebrannt. Über den Unterrichtsausfall hätten wir uns allerdings sehr gefreut.

      Vieles habe ich noch so in Erinnerung, als wäre es erst vor einer Woche gewesen. Der ganze Ort war in Aufregung geraten. Es hatte einige Schaulustige gegeben, aber auch Helfer, die die Wohnräume und die Mühle ausgeräumt hatten. Auch meine Eltern hatten mitgeholfen. Vor allem hatten die Feuerwehrleute alles getan, um das Gebäude zu retten.

      Carola, meine damalige Freundin, und ich, haben auf einer Bank am Eingang der Mühle gesessen. Wir haben einiges beobachtet, vor allem, wie meine Mutter auf den alten Mühlenbesitzer zugegangen ist, ihn in die Arme genommen und ihn getröstet hat. Immer noch ist mir der genaue Wortlaut zwischen ihr und Heiner Mönch in Erinnerung geblieben. Sie hat gesagt: „Heiner, nicht traurig sein. Es wird alles wieder gut.“ „Nichts kann gut werden, es ist vorbei. Siehst du das nicht?“, hatte er geklagt.

      Eine Woche später war er bereits tot. Ihm ist womöglich der Brand und die Krankheit seiner Enkelin zu Herzen gegangen.

      Carola und ich hatten heimlich zwei Männer beobachtet, die Spirituosen gestohlen und sich damit betrunken hatten. Zwei andere hatten sich auf den Mehlsäcken niedergelassen und untätig bei der Arbeit der anderen zugesehen. Meine Freundin war sehr mutig gewesen und hatte sie gefragt: „Wollt ihr nicht helfen? Es ist doch Not am Mann.“ Einer von ihnen war aufgesprungen und hatte sie angeschrien: „Was willst du kleine Rotznase, du. Kleine Kinder stehen hier nur im Weg herum. Also haut schleunigst ab, ihr zwei.“

      Tagelang hatte ich mich mit der Angst herumgequält, es könnte auch unser Haus brennen, denn, wie man damals vermutete, aber nicht beweisen konnte, sollte es sich bei diesem Großbrand um Brandstiftung gehandelt haben. Feinde und Neider hatte diese Familie einige gehabt.

      Das Gebäude war eine Ruine geworden. Es musste wieder neu aufgebaut werden.

      Zu meiner damaligen Freundin Carola habe ich leider den Kontakt verloren. Sie hat in die Schweiz geheiratet. Seitdem sind mehr als fünfzig Jahre vergangen. Ich würde gerne wieder einmal mit ihr Zusammenkommen, aber ich habe ihre Adresse nicht.

      Edgar hat gemeint: „Im Internet kann man es herausfinden.“ Ich habe ihn gefragt, ob er mir den Gefallen tun würde. „Klar, Helene“, hat er letztes Jahr geantwortet, aber es konnte ihm nicht gelingen, weil er weder Carolas Nachnamen noch ihren Wohnort kennt.

      Traurig ist auch, dass ich zu meinem Heimatort den Kontakt verloren habe. Nicht einmal zur Beerdigung meiner Eltern bin ich in Talbach gewesen. Meine Schwester und ich hatten das Haus geerbt, aber wir haben es an unsere Cousine weitergegeben. Wir waren davon überzeugt, dass sie das Erbe verdient hat, weil sie sich rührend um unsere Eltern gesorgt hatte, und wir dagegen uns nicht um sie gekümmert haben. Außerdem haben wir nichts mit diesem Haus anzufangen gewusst. Meine Schwester ist mit ihrem Ehemann, einem amerikanischen Soldaten, nach Amerika ausgewandert. Ich habe meine Heimat danach auch verlassen und versucht, nicht mehr an den Streit mit meinen Eltern zu denken, aber ich habe ihn nicht vergessen können. Sie hatten mir ziemlich zugesetzt: Sie hatten verlangt, ich solle studieren. Außerdem hatten sie vieles an meinem Beruf und an meinem Ehemann auszusetzen, obwohl sie ihn nie kennengelernt haben. Es kam noch hinzu: dass sie versucht haben, mir ihren Glauben aufzudrängen, aber ich wollte darin frei sein und habe mich durchgesetzt. Außerdem haben sie mich darum gebeten, Felizitas davon abzubringen, dass sie mit ihrem Ehemann in die USA gehe.

      In meiner Kindheit waren meine Eltern sehr nett zu mir und zu meiner Schwester gewesen. Sie haben uns eine schöne, unbeschwerte Zeit beschert. Leider wurde später alles anders.

      Meine Cousine Veronika, der Felizitas und ich das Gebäude mit Garten und Garage vermacht haben, hat es viel zu schnell wieder verkauft, und ist auch von Talbach weggezogen. Davor hatte sie eine Familie mit der weiteren Grabpflege beauftragt. Ich möchte bei Gelegenheit endlich herausfinden, wer sich jetzt um unser Elterngrab kümmert. Warum habe ich das nicht längst schon getan?

      Ich fühle, dass ich große Schuld auf mich geladen habe, weil ich mich damals nicht mit meinen Eltern versöhnt habe. Warum bin ich nur so stur gewesen?

       Kapitel 2

      Zwei Tage, nachdem Edgar und ich einander im Treppenhaus begegnet sind, läutet er um die Mittagszeit an meiner Wohnungstür. Ich koche mir gerade eine Mahlzeit. Das Frühstück habe ich ausfallen lassen, weil ich wieder einmal spät aufgestanden bin. Die halbe Nacht habe ich mir um die Ohren geschlagen, weil mir so vieles durch den Kopf gegangen ist. Warum fällt mir das Abschalten so schwer?

      Es klingelt zum zweiten Mal. Ich nehme rasch die Pfanne vom Herd und öffne die Tür. Beim Eintreten grinst mein Nachbar und sagt: „Nun, auch schon aus den Federn, Helene?“

      Er neckt mich gerne damit. Ich nehme es ihm nicht übel. Er meint es auch nicht böse.

      „Schon lange“, erwidere ich.

      Er beginnt zu schnuppern: „Hm, riecht das köstlich“, wispert er, worauf ich erschrocken denke, dass er eingeladen werden will. „Wolltest du etwa bei mir essen?“, frage ich vorsichtig, worauf er eine hilflose Handbewegung macht. „Nein, du kannst beruhigt sein. Darf ich mich einen Augenblick setzen.“

      „Selbstverständlich! Ich kann doch später essen.“

      Er nimmt auf der Couch Platz und ich setze mich ihm gegenüber. Jetzt trägt er seine Bitte vor:

      „Helene, könntest du mir wieder deinen Klappsessel leihen? Mein Sohn kommt mit seiner Familie zu Pfings­ ten. Meine Enkelin hat beim letzten Besuch so gut darauf geschlafen.“

      „Klar kannst du ihn haben. Und schicke dein Lörchen zu mir herüber, wenn sie da ist. Sie ist ja so süß. Das letzte Mal hat sie bei ihrem Besuch den Teddybären fest an sich gedrückt.“

      Edgar nickt. „Ja, sie liebt Stofftiere heiß und innig, besonders ihren Teddy. Ich habe ihr einen schneeweißen Eisbären besorgt. Sie hat ihn abgeknutscht. - Hör mal, Helene, meine Schwiegertochter möchte, dass du zu Pfingsten zum Mittagessen zu uns kommst. Du wirst sie endlich einmal kennenlernen. Von mir, meinem Sohn und Lörchen, bist du selbstverständlich auch herzlich eingeladen.“

      Ich lächle. „Danke, reizend von euch. Ich freue mich für dich, dass deine Familie kommt, aber eure Einladung kann ich nicht annehmen. Ich will nicht stören.“

      „Du

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