Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

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Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft

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auf die Lippen.

      „Hast du mich verstanden, Helene?“

      „Ja! Wenn euch so viel daran liegt, komme ich. Als was willst du mich deiner Schwiegertochter vorstellen? Hoffentlich nicht als Bettgesellin.“

      Er lacht laut. „Nein, nein, als eine liebe Freundin natürlich. Das bist du ja auch.“

      Plötzlich packt mich wieder der seelische Schmerz, weil ich an meine Tochter denken muss. Ich halte die Hände vor die Augen und weine, worüber Edgar erschrickt.

      „Helene, habe ich was Böses gesagt?“

      „Nein! Ich muss an meine Tochter denken. Ihr versteht euch so gut und ich mich nicht mit ihr. Ich hätte Dietlinde auch gerne eingeladen, das heißt, ich habe es ja schon oft versucht, aber sie kommt nicht.“

      Edgar erhebt sich und zeigt Mitgefühl, indem er über meine Schulter streicht. „Tut mir leid, Helene. Du musst ihr endlich klarmachen, wie sehr du darunter leidest.“

      Ich atme hastig ein und aus, ehe ich erkläre: „Ich habe schon so oft versucht, mit ihr Frieden zu schließen. Sie ist jedoch hart wie Stahl. Sie behauptet, dass ich an der Scheidung schuld bin.“

      „Wie hartherzig“, urteilt Edgar und setzt sich wieder.

      Ich fahre mir mit den Händen über die Augen und stammle: „Ich habe meine Tochter für immer verloren. Das tut sehr, sehr weh.“

      Edgar meint: „Irgendwann wird sie begreifen, was sie dir antut. -Ich habe eine Idee: Jetzt rufe ich bei ihr an. Ich bin gespannt, was sie mir sagen wird.“

      Ich schüttle den Kopf. „Sinnlos! Du wirst dich nur über ihre Sturheit ärgern. Sie wird wieder auflegen.“

      Kürzlich habe ich mit meinen beiden Freundinnen über mein Problem gesprochen. Ich erzähle jetzt Edgar, was Susanne zu mir gesagt hat: Warum läufst du ihr nach? Die soll bleiben, wo der Pfeffer wächst, diese dumme Pute.“

      „Unsinn“, meint Edgar. „Man sollte nichts unversucht lassen. Mein Sohn wollte auch einige Zeit nichts mehr von mir wissen. Er hat mir vorgeworfen, ihm nicht zu sagen, wer seine Mutter ist. Dabei habe ich doch keine Verbindung mehr zu ihr, seitdem sie mir unser dreijähriges Kind überlassen hat. Sie wollte nur zum Einkäufen gehen, aber sie ist nicht mehr zu uns zurückgekehrt. Das war damals schlimm für mich, ein echter Horror. Ich als Vater musste auch noch die Mutterrolle übernehmen. Ich habe arbeiten müssen und habe meinen kleinen Sohn zu einer Tagesmutter gebracht, die ich bereits gekannt hatte. Sie war sehr lieb zu meinem Kind. Nie wieder habe ich etwas von meiner Lebensgefährtin gehört. Vier Jahre waren wir zusammen gewesen. Was habe ich nur falsch gemacht?“

      Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht hast du überhaupt nichts falsch gemacht. Eine Mutter, die ihr Kind verlässt, ist in meinen Augen eine Verbrecherin.“

      „So empfinde ich es auch. Mein Sohn war mir bald schon ans Herz gewachsen. Aber mit 16 hat er wieder Abstand von mir genommen. Seit einiger Zeit verstehen wir uns prima, aber auch mit meiner Schwiegertochter und mit Lörchen verstehe ich mich gut. Zweimal im Jahr fahre ich nach Wien. Vielleicht ziehe ich hin.“

      Ich zucke zusammen. „Bitte, tu das nicht, Edgar“, flehe ich. „Ich würde dich sehr vermissen.“

      Er lächelt. „Wirklich? Würdest du mich vermissen?“

      „Sehr sogar!“ Ich putze mir mit dem Taschentuch, das meine Tochter einst im Kindergarten für mich gestickt hat, umständlich die Nase und äußere danach: „Bitte, Edgar, lass mich jetzt weiterweinen. Meine Tränen spülen alles heraus, was mich in letzter Zeit so traurig macht. Und danke, dass du mir so geduldig zugehört hast. Auch für eure Einladung danke ich.“

      Er sieht mich an, als wollte er etwas sagen. Er macht erst den Mund auf, dann klappt er ihn wieder zu. Dabei lächelt er. Im nächsten Augenblick erhebt er sich. Ich merke, dass er gerne länger bleiben würde. Doch er respektiert meinen Wunsch, geht langsam zur Tür und dreht sich noch einmal nach mir um, wobei er fragt: „Bin ich jetzt zu lange geblieben?“

      „Ach nein, Edgar, es hat mir so gut getan, dass wir uns unterhalten haben.“

      „Helene, überlege dir, wie wir dein Problem gemeinsam angehen können“, bemerkt er, ehe er die Wohnung verlässt.

      Edgar meint es eigentlich immer gut mit mir, auch wenn er mich ab und zu neckt, aber ich finde das harmlos. Erstaunlich ist, dass unsere Freundschaft, die sich immer weiter zu entwickeln scheint, auch einmal eine schlechte Laune oder unüberlegte Worte erträgt.

      Ich begleite Edgar hinaus in den Flur und flüstere: „Nochmals danke dafür, dass du mich angehört hast. Aber mehr kannst du wirklich nicht für mich tun.“

      „Das sehe ich anders“, erwidert er augenzwinkernd und öffnet seine Wohnungstür. Ich denke: Was wird er sich noch alles bezüglich meiner Tochter einfallen lassen, aber ich muss mich selbst um eine bessere Beziehung zu ihr bemühen.

      Während ich etwas später die Bratkartoffeln und das Ei verzehre, laufen mir heiße Tränen über die Wangen. Mich ärgert es, dass ich jetzt nicht abschalten kann. Andererseits befreit mich dieses Weinen aus den Ketten meiner Gefühle. Ich bin nun mal ein Gefühlsmensch, im Gegensatz zu Edgar. Oder täusche ich mich in ihm? Ich will nicht sagen, dass er gefühlsarm ist. Er kann sehr warmherzig zu mir sein, aber er ist meiner Meinung nach ein Verstandesmensch. Manchmal wirkt er sehr sachlich. Von sich selbst sagt er, dass er ein Verkopfter ist.

      Ich lasse den Rest meiner Mahlzeit stehen, obwohl ich erst die Hälfte davon gegessen habe, und werfe mich schluchzend auf die Couch. Mein Schmerz überwältigt mich und ich finde so schnell nicht mehr heraus. Zum Glück übermannt mich bald der Schlaf. Später, beim Erwachen, denke ich sofort wieder an meine Tochter. Ich rufe sie an, bekomme aber keine Verbindung zu ihr. Gegen Abend habe ich mehr Glück. Dietlinde sagt, sie müsse sich erst einmal überlegen, ob sie es überhaupt für angebracht halte, mich zu besuchen. Ich hätte mich schändlich benommen.

      Schändlich? Was für eine Wortwahl!

      Wie das ausgehen wird, ahne ich schon. Sie wird mit Sicherheit nicht zu mir kommen. Ich sage ihr noch einmal, dass ihr Vater an der Scheidung schuld war. „Dietlinde, hör mir mal zu: Dein Papa hat sich wegen einer Jüngeren von mir getrennt. Ich wollte diese Ehe aufrecht erhalten.“

      Sie antwortet frech, dass ihr Vater etwas anderes gesagt habe. Er habe ihr erklärt, dass die Ehe schon vorher den Bach runter gegangen sei.

      „Merkst du nicht, dass er lügt? Immer will er gut dastehen. Wir haben eine sehr gute Ehe geführt, bis er sich verliebt hat.“

      „Als du arbeiten gegangen bist, war plötzlich alles anders. Du hast dich auch nicht mehr um mich gekümmert. Wenn Papa heinigekommen ist, hat er mich in die Arme genommen und für mich gesorgt.“

      „Danke für deine Ablehnung“, stöhne ich und will auflegen, aber sie tut es noch vor mir. Keinen Schritt bin ich weitergekommen. Ob ich ihr einen Brief schreiben soll. Das mache ich am nächsten Tag. Selbst nach zwei Wochen kommt keine Antwort zurück. Ich nehme mir vor, sie erst in den Adventstagen wieder anzurufen, um sie zu Weihnachten einzuladen. Womöglich sollte ich ihr jetzt etwas Zeit zum Nachdenken lassen. Ich sehne mich nach Frieden mit ihr.

      Am Freitag vor Pfingsten um die Nachmíttagszeit kommt bei Edgar der Besuch aus Wien. Längst hat er meinen Klappsessel abgeholt. In der nächsten

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