Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft
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Читать онлайн книгу Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft страница 3
Er grinst und äußert: „Die Jugend will stets mit Gewalt in allem glücklich sein, doch wird man erst…“
„Bitte, lassen Sie Ihre Sprüche. Ich kenne sie doch alle schon“, unterbricht sie ihn. Er streckt jetzt seinen Arm nach ihr aus, um sie aufzuhalten. „Moment, eine Frage habe ich an dich.“
„Ich habe wenig Zeit“, behauptet Gloria. Edgar beißt sich auf die Lippen und wendet sich an mich: „Helene, sag du mal, warum haben es die heutigen jungen Menschen so eilig?“
Erst zucke ich die Schultern, dann versuche ich zu erklären: „Jeder Mensch kommt einmal in die Situation, es eilig zu haben, ob jung oder alt. Das Leben ist kein ständiger Spaziergang. Auch junge Leute haben Pflichten zu erfüllen.“
Edgar verdreht die Augen. Die Antwort gefällt ihm nicht. „Aha, so ist das“, erwidert er gedehnt. Wir hören das Mädchen sagen: „Ich muss zum Bus gehen.“ Sie steigt zwei Stufen hinab, aber Edgar ruft ihr zu:„Bleib bitte mal kurz stehen. Ich will dich was fragen: Warum heißt du Gloria? Bist du eine Adelige?“
Die Sechzehnjährige kichert. „Nein! Meine Eltern haben mich so genannt. Ist es bei Ihnen nicht auch so?“
„Ja, natürlich. Aber Gloria finde ich altmodisch.“
„Ist es nicht,“ wehrt sich das junge Mädchen. „Über Geschmack lässt sich streiten. Aber Sie, Frau Münder, haben einen wohlklingenden Vornamen…“ Sie singt ihn beinahe: „He-le-ne. Sind Sie auch noch fromm dazu?“
„Ach, du denkst an die fromme Helene, wie?“
„Ja. Ist es so, dass Sie fromm sind?“
Ich zucke mit den Schultern und schweige. Das geht sie nichts an, finde ich.
„Mein Bus fährt gleich. Reden wir ein andermal“, meint Gloria noch im Gehen.
„Gerne“, rufe ich ihr nach.
Edgar schüttelt den Kopf. Zum Glück sieht das Gloria nicht. Vermutlich mag er die Sechzehnjährige nicht. Er hat sich schon öfter negativ über sie geäußert.
Gloria rennt die Stufen hinab. Sie stolpert, wobei ihr das Täschchen aus der Hand fällt. Sie hebt es auf, läuft weiter und verlässt das Haus.
Edgar seufzt: „Die jungen Leute sind heutzutage frech“, worauf ich erwidere:
„Gloria doch nicht. Ich gebe zu, dass sie etwas keck ist, vor allem selbstbewusst. Die meisten Jugendlichen heute, auch schon Kinder, wissen, was sie wollen.“
„Sie sind egoistischer als wir es waren und wenig sozial“, vertritt Edgar seine Meinung.
„Nicht alle sind so. Das Leben verlangt ihnen mehr ab als uns damals. Deshalb müssen sie so sein.“
Ärgerlich verzieht Edgar das Gesicht. „Helene, warum entschuldigst du alles bei den jungen Leuten? Wir Alten haben doch mehr zu kämpfen als die Jugend, die nur durchs Leben flattert.“
Ich fahre mit der Hand über meine Augen und denke, dass Edgar für junge Leute nicht so viel übrig hat wie für alte Menschen. Oder mag er nur Gloria nicht? Ich finde sie für ihr Alter sehr vernünftig und denke dabei an das Gespräch, das wir einmal vor der Haustür geführt haben.
Auf einmal öffnet Edgar seine Tasche und kramt darin herum. Er klagt, er habe seinen Geldbeutel oben in seiner Wohnung liegen gelassen. Er benötige ihn zum Einkäufen. Deshalb will er noch einmal umkehren.
Bei dieser Gelegenheit verabschiede ich mich von ihm. Ich wünsche ihm einen schönen Nachmittag, er mir Spaß beim Museumsbesuch. Ich merke jedoch, dass er über mein schnelles Weggehen enttäuscht ist. Womöglich hätte er sich gewünscht, dass ich auf ihn warte, bis er wieder zurückkommt.
Unten im Parterre steht Matthias Kirnau vor seiner geöffneten Wohnungstür. Sein Bart sieht heute ungepflegt aus, stelle ich auf den ersten Blick fest. Ich mag diesen Nachbarn deshalb nicht, weil er die meisten Leute im Haus kritisiert. Er belauscht gerne seine Mitbewohner und redet dann bei anderen über sie. Mit Sicherheit hat er vorhin auch unser Gespräch verfolgt. Grinsend bemerkt er: „Ja, ja, unser lieber Edgar. Er ist ein Spinner. Ich ärgere mich, wenn er sich so großkotzig gibt. Außerdem ist er ein Rabulist.“
„Wie kommen Sie darauf, dass er großkotzig ist? Er ist ein bescheidener Mensch. Und was bitte ist ein Rabulist? Ist das etwa ein Bösewicht?“
„Ein penetranter Wortverdreher ist er. Jedes Wort verdreht er mir, wenn wir miteinander reden.“
Ärgerlich erwidere ich: „Wenn man normal mit ihm redet, tut er das nicht.“
Herr Kirnau blickt mich böse an. Sein Ton ist schrill, als er sagt: „Denken Sie, ich rede nicht normal mit ihm? Natürlich, Sie sind eine Frau und er mag Sie.“
„Was hat das jetzt damit zu tun?“
„Sehr viel.“ Herr Kirnau seufzt erst, dann redet er weiter: „Ich weiß, warum Sie nichts Negatives über ihn sagen wollen. Weil er Ihr Freund ist, und über Freunde sagt man nur Positives, stimmt’s?“
Ich lächle und erwidere: „Stimmt schon, aber mir fällt nichts Negatives an ihm auf.“
„Kunststück!“, grinst er.
Sogleich lenke ich ihn ab: „Wie geht es Ihrer Frau? Ist sie noch im Krankenhaus?“
„Ja, aber nur noch zwei Tage.“
Jemand im Haus hat behauptet, dass sie Parkinson habe und das Gleichgewicht verlöre. Außerdem würde sie zittern. Ich denke: Vielleicht hat sie nur Kreislaufstörungen Manche Menschen glauben, von einem ändern mehr zu wissen als derjenige selbst. Solche Mitbewohner gibt es einige in diesem vierstöckigen Haus mit dreizehn Parteien. Ich finde Frau Kirnau sympathisch, ihren Mann jedoch nicht.
Die Haustür öffnet sich, und Frau Schröter stürzt keuchend herein. Als sie uns sieht, japst sie aufgeregt: „Stellt euch vor: Drüben in der Amselstraße brennt ein Haus. Frau Lingmann, meine Freundin, hat vergessen, den Herd auszuschalten. Das Fett in der Pfanne ist zu heiß geworden und hat angefangen zu brennen. Die Vorhänge und alles hat gebrannt. Ich habe es soeben von ihrer Nachbarin erfahren. Frau Lingmann hat sich ins Bett gelegt, obwohl sie den Herd eingeschaltet hat. Beinahe wäre sie mit verbrannt. Man hat sie gerettet.“
Ich atme auf. „Welch ein Glück. Die arme Frau!“
„Sie sollte doch besser in ein Heim gehen“, äußert Frau Schröter. „Ich habe ihr schon zugeredet. Sie glaubt, sie lebt um 1800 herum. Wenn es mit ihr so weitergeht, brennen demnächst alle Häuser in der Nachbarschaft.“
Herr Kirnau wirft ihr einen drohenden Blick zu. „Wie absurd. Warum sollten hier alle Häuser brennen? - Sonderbar, dass ich den Brand in der Amselstraße nicht mitgekriegt habe.“
„Ich auch nicht“, gebe ich zu. „Ich kann verstehen, dass Frau Lingmann nicht ins Heim gehen will.“
„Ich nicht“, meint Frau Schröter. „Sie ist zwar meine Freundin, aber ich finde, dass sie einen Knall hat. Sie glaubt, mit Friedrich Schiller befreundet zu sein. Den Großteil seiner Gedichte kennt sie auswendig.“
Frau