Italiener-Wochenende. Kathi Albrecht
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„Jule, ich glaub, wir machen erstmal ein Päuschen hier auf der Terrasse. Es ist so schön friedlich hier und sogar noch ein bisschen hell. Komm, wir rücken diese Liegestühle mal ein bisschen rüber. Lass uns etwas ausruhen, dann probieren wir Mamas Dirndl-Sammlung aus und köpfen den Prosecco, den ich mitgebracht habe – hab ich den eigentlich in den Kühlschrank gestellt? Ach ja, richtig.“
„Den ersten Italiener haben wir schon mal an deinem berüchtigten Italiener-Wochenende“, kicherte Jule.
„Ich will mal hoffen, dass das nicht der letzte war!“
„Ach, Enzo hat doch gesagt, sein Neffe wäre für ein paar Tage hier…“
„Den treffen wir bestimmt auch noch, das werden wir wahrscheinlich gar nicht verhindern können. Lassen wir uns überraschen!“
Ja, diese Überraschung stand Jule noch bevor. Enzo hatte nur von einem Neffen gesprochen, aber soweit sie sich erinnerte, hatte Enzo eine unübersichtlich große Zahl von Nichten und Neffen. Mit ein bisschen Glück war es nicht Lorenzo.
Vero steckte sich die Kopfhörer ins Ohr und beschallte sich mit Musik und Jule beschloss, ein paar Minuten lang ihre Ruhe zu genießen. Schön, hier in der Münchner Septembersonne zu liegen, alles war ganz ruhig, nur Enzo scharrte im Nachbargarten mit seinem Unkraut herum. Obwohl sie sich ganz etwas anderes vorgenommen hatte, wanderten ihre Gedanken doch wieder zu Christines Erzählungen und Erklärungen.
Tante Christine war immer noch ziemlich aufgelöst gewesen, als Jule unter der Woche nochmal mit ihr telefoniert hatte, vor allem, weil es ja nicht nur die Neunzigjährigen traf, sondern auch junge Menschen. Der dritte unter 50 im letzten halben Jahr! Alle drei Männer, denen ihr stressiger Job einen tödlichen Herzinfarkt beschert hatte. Zwei davon etwa in Jules Alter, eine gruselige Vorstellung … Aber wie war das mit den Naturheilmitteln gewesen? Nein, Aufputschmittel. Nicht alles Natürliche war offenbar harmlos.
***
Da war eine Stimme. Sie kam näher, dann entfernte sie sich wieder. Sie sprach unverständliche Worte. Was für ein komischer Traum. War sie etwa eingeschlafen? Träumte sie überhaupt noch?
Die Stimme war jetzt wieder da. Und irgendwie hysterisch, obwohl eindeutig männlich. Wer brüllte denn da so herum? Richtig ja, die vielen Leute auf dem Oktoberfest. War sie schon da? Jule riskierte einen Blick aus einem halbgeöffneten Auge. Langsam kam ihr Gehirn wieder in Schwung. Nein, sie waren gar nicht im Bierzelt, sondern im Garten bei Tante Christine. Und Vero saß mit geschlossenen Augen neben ihr und wippte zu irgendeiner unhörbaren Melodie mit den Füßen. Das Geschrei kam aber nicht von ihr.
Jule setzte sich auf. Da war er wieder, der Nachbar Enzo. Er stand nebenan auf seiner Terrasse und rief etwas. Auch er war nicht derjenige, der da so hektisch herumschrie, denn er winkte und gestikulierte woanders hin. Dann lief er los, rief wieder, lief schneller. Auf einen anderen Mann zu weiter hinten im Garten, der aufgeregt hin und her lief und ebenfalls laut redete. Italienisch vermutlich, denn Jule verstand kein Wort.
Der fremde Mann wütete durch den Garten, lief hierhin und dorthin, sprach mit den Bäumen, schimpfte zu Tante Christines Blumenbeet hin, schüttelte Enzo ab, der ihn immer wieder versuchte festzuhalten. Aber Enzo selbst wurde immer aufgeregter, er bekam den Kerl einfach nicht in den Griff. Inzwischen war das Getöse so laut geworden, dass selbst Veronika nun den Kopfhörer beiseitegelegt hatte und Enzos Kampf mit dem Fremden beobachtete.
„Was ist denn mit dem los?“ überlegte Jule laut. Wer war das, was wollte er und vor allem, warum machte er so einen Lärm? War etwas passiert? Unfall? Erdbeben? Hausfriedensbruch? Ob man vielleicht eingreifen und Enzo zu Hilfe kommen müsste? Die Polizei rufen? Der Mann redete unaufhörlich und unverständlich weiter. Inzwischen hatten in den umliegenden Häusern bereits interessierte Rentner an ihren Fenstern Platz genommen.
Der Mann benahm sich nicht normal, so viel war klar. Betrunken vielleicht, er torkelte ein bisschen, nichts Ungewöhnliches zur Oktoberfestzeit. Oder ein Junkie, der versucht hatte einzubrechen und irgendetwas zu klauen. Aber dann wäre er weggerannt und würde nicht Enzos Bäume anschreien. Außerdem sah er nicht unbedingt so aus, als würde er in Bahnhofsnähe campieren, er war zwar barfuß, trug aber eine Anzughose und ein Businesshemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Irgendwie, überlegte Jule, sah er sogar ziemlich gut aus! Schlank, braune Haare, dunkle Augen … Allerdings mit irrem Blick und definitiv nicht klaren Geistes.
Jetzt endlich schien er auf Enzo zu hören, denn er blieb stehen. Doch er starrte Enzo mit stierem Blick an und übergab sich dann keine fünf Meter neben Jule in ein Blumenbeet.
„Vielleicht ein paar Bier zu viel gehabt?“ orakelte Vero, die nun auch die Augen offen hatte.
„Schade, er sah eigentlich ganz nett aus.“
„Was macht der hier? Sag mal, das wird doch nicht etwa Enzos …“ Vero stand blitzartig auf. „Du, er hat jetzt Schaum vor dem Mund, das ist aber nicht mehr lustig. Da müssen wir was machen! Der hat was!“
„Wieso? Ist er nicht bloß besoffen? Müssen wir was tun?“
„Rede du mit Enzo und ich rufe den Rettungswagen. Der Giftnotruf hilft uns jetzt auch nicht mehr weiter …“
Da hatte Vero offenbar doch von der inzwischen beendeten Beziehung zu einem gewissen Konstantin profitiert, der während seiner sieben Jahre Wartezeit auf einen Medizin-Studienplatz als Rettungssanitäter gearbeitet hatte. „Wenn du mich fragst, ist das hier entweder eine Vergiftung oder der steht kurz vor einem allergischen Schock. Vielleicht auch beides.“
Während Vero das Heft in die Hand genommen hatte und nun telefonierte, stand Jule, nachdem sie mit Enzo ein paar Worte gewechselt hatte, ein wenig unschlüssig im Garten herum. Um wenigstens irgendetwas halbwegs Sinnvolles zu tun, räumte sie schon mal die Liegestühle vor das Haus, so waren sie vor weiteren Ausbrüchen geschützt.
Vero dagegen war in ihrem Element, wie immer, wenn es irgendetwas zu organisieren gab. Dankenswerterweise hatte der Mann sich beruhigt und sich kurz hingesetzt. Vero sah ihn forschend an und sprach mit Enzo, der vollkommen aufgelöst schien.
Der Typ kam Jule bekannt vor. Auch sie musste sich mal kurz hinsetzen, als Enzo erklärte: „Iste Lorenzo, meine Neffe. Hatte gehabte eine paar Termine hier in München wegene Arbeit, dann komme Freund und wolle zur Wiesn zusamme …“
Jule starrte erst Enzo an, dann den Neffen. Lorenzo. Tatsache. So hatte sie sich ihre Begegnung nicht vorstellt. Er sah ganz anders aus als vor fünfzehn Jahren. Keine Dreadlocks mehr, sondern kurze dunkelbraune Locken und statt Mountainbike-Shorts und bunten T-Shirts trug er jetzt schicke Businesskleidung. Er sah wirklich gut aus. Und sie hatte sich selbst ja auch schon eingestanden, dass sie ihn bereits damals attraktiv gefunden hatte. Einen Moment lang wurde Jules Kreislauf ein wenig in Wallung gebracht, als sie an die Sommerferien damals dachte.
Aber