Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten - Jonathan Swift страница 52
Ich kehre nun von meiner Abschweifung zu mei nem Berichte zurück. Als ich bis auf vier Ellen vom Throne gekrochen war, erhob ich mich langsam auf meine Knie, schlug dreimal mit der Stirn auf den Fußboden und sprach in der Landessprache einen Satz, den ich am Abend vorher erlernt hatte und den ich folgendermaßen übersetzte: »Mag Eure himmlische Majestät die Sonne um elf und einen halben Monat überleben!« Dieses ist das gesetzmäßige Kompliment des Landes für alle Leute, die Audienz erhalten. Der König gab eine Antwort, die ich nicht verstand, und ich erwiderte, wie ich zuvor gelernt hatte: »Meine Zunge ist im Munde meines Freundes«, worauf der junge, von mir schon erwähnte Mann hereingeführt wurde; durch dessen Hilfe beantwortete ich so viele Fragen, wie Seine Majestät ungefähr in einer Stunde an mich richten konnte. Ich sprach im Balnibarbischen, und mein Dolmetscher sagte den Sinn meiner Worte im Luggnaggischen.
Der König fand an meiner Gesellschaft viel Vergnügen und befahl seinem Bliffmarklub oder Oberkämmerling, eine Wohnung für mich und meinen Dolmetscher am Hofe einzurichten. Ein bestimmter Posten von Lebensmitteln wurde für meine Tafel geliefert, und ich erhielt einen großen Beutel voll Geld für meine täglichen Ausgaben. Nur um dem Könige zu gehorchen, blieb ich drei Monate im Lande; er hatte die Gnade, mir hohe Gunstbezeigungen zu er weisen, und machte mir sehr ehrenwerte Anträge. Ich hielt es jedoch für klug und gerecht, die mir noch übrigen Lebenstage bei meiner Frau und meiner Familie zu verbringen.
Zehntes Kapitel
Die Luggnaggier werden sehr gerühmt. Eine besondere Beschreibung der Struldbruggs. Gespräche des Verfassers mit einigen ausgezeichneten Personen.
Luggnagg wird von einem höflichen und großmütigen Volke bewohnt. Obgleich die Luggnaggier einigermaßen den Stolz besitzen, der allen östlichen Nationen gemein ist, so zeigen sie sich dennoch höflich gegen Fremde, besonders gegen solche, die am Hofe eine Stütze besitzen. Ich hatte viele Bekannte und darunter Personen von der besten Gesellschaft. Da ich nun auch stets von meinem Dolmetscher begleitet wurde, so war die Unterhaltung durchaus nicht unangenehm.
Eines Tages fragte mich ein Mann von Stande in einer großen Gesellschaft, ob ich die Struldbruggs oder die Unsterblichen des Landes gesehen hätte. Ich verneinte dies und bat, mir zu erklären, was diese Benennung, die sterblichen Geschöpfen erteilt würde, denn eigentlich bedeute. Der Herr nun sagte mir, es ereigne sich bisweilen, obgleich sehr selten, daß in einer Familie ein Kind mit einem runden roten Flecken an der Stirn, gerade über der linken Braue, geboren werde. Dieser Flecken aber sei ein unfehlbares Zeichen, daß es niemals sterben werde. Wie er den Flecken beschrieb, war dieser ungefähr von der Größe eines silbernen Groschens, wird aber mit der Zeit weit größer und verändert die Farbe; im zwölften Jahre wird er grün und behält diese Farbe bis zum fünfundzwanzigsten, wo er dunkelblau wird; im fünfundzwanzigsten wird er kohlschwarz und so groß wie ein englischer Schilling, nachher aber erleidet er keine weitere Veränderung. Der Herr sagte: Diese Geburten seien so selten, daß es im ganzen Königreiche nicht mehr als elfhundert Struldbruggs beider Geschlechter gebe; darunter befinde sich ein kleines, vor drei Jahren geborenes Mädchen. Diese Geschöpfe seien keiner Familie eigentümlich, sondern ein bloßes Werk des Zufalls. Die Kinder der Struldbruggs seien ebenso sterblich wie die des übrigen Volkes.
Ich muß offen gestehen, daß ich diesen Bericht mit unaussprechlichem Vergnügen hörte. Da nun der Herr, mit dem ich sprach, das Balnibarbische verstand, womit ich sehr gut bekannt war, so konnte ich es nicht unterlassen, Ausdrücke zu gebrauchen, die vielleicht ein wenig zu übertrieben waren. Ich rief wie in Entzücken aus: »O glückliche Nation, wo wenigstens jedes Kind das Glück haben kann, unsterblich zu sein! O glückliches Volk, das so viele noch lebende Beispiele der alten Tugend erblickt und Lehrer besitzt, die es in der Weisheit früherer Zeiten unterrichten können!« Am glücklichsten vor allen sind aber jene ausgezeichneten Struldbruggs, die durch Geburt von jenem allgemeinen Unglück der Menschennatur ausgenommen sind, einen freien und ungefesselten Geist besitzen, weil sie die Last und die Niedergeschlagenheit der Todesfurcht nicht kennen. Ich drückte mein Erstaunen aus, daß ich noch keine dieser erlauchten Personen bei Hofe gesehen habe; der schwarze Fleck an der Stirn sei ja ein so auffallendes Zeichen, daß ich dies schwerlich übersehen hätte. Es sei unmöglich, daß ein so verständiger Fürst wie Seine Majestät sich nicht mit einer bedeutenden Anzahl solcher weisen und brauchbaren Ratgeber hätte versehen sollen. Vielleicht aber sei die Tugend solcher ehrwürdigen Weisen zu streng für die verdorbenen und freien Sitten eines Hofes; wir machten ja häufig die Erfahrung, daß junge Leute zu eigensinnig und flüchtig seien, um sich durch den verständigen Rat der älteren leiten zu lassen. Da jedoch Seine Majestät mir die Gnade erteilt habe, den Zutritt zu ihrer königlichen Person zu bewilligen, so sei ich entschlossen, bei der ersten Gelegenheit ihr mit Hilfe meines Dolmetschers offen und weitläufig meine Meinung hierüber zu sagen. Ob der König meinen Rat gnädigst annehme oder nicht, so habe ich dennoch in diesem Punkte einen festen Entschluß gefaßt. Seine Majestät habe mir häufig eine Versorgung in ihrem Hause angeboten. Ich würde diese Gnade mit größter Dankbarkeit annehmen und mein Leben im Gespräch mit jenen uns überlegenen Wesen, den Struldbruggs, zubringen, wenn sie die Güte hätten, mich in ihrer Gesellschaft zuzulassen.
Der Herr, an den ich diese Worte richtete, antwortete mir (wie ich schon bemerkte, verstand er die Sprache von Balnibarbi) mit einem Lächeln, das man gewöhnlich zeigt, wenn man Unwissenheit bemitleidet: Es sei ihm sehr angenehm, eine Veranlassung gefunden zu haben, weshalb ich im Lande bleiben wolle; er bitte mich um Erlaubnis, der übrigen Gesellschaft meine Absicht mitteilen zu dürfen. Dies geschah; die Anwesenden unterhielten sich in ihrer Landessprache, wovon ich keine Silbe verstand; auch konnte ich an dem Ausdruck ihrer Züge den Eindruck nicht erkennen, den meine Worte bei ihnen erweckt hatten. Nach einem kurzen Schweigen sagte mir derselbe Herr: Seine Freunde und die meinigen (in dieser Art hatte er die Güte, sich auszudrücken) seien sehr erfreut über die verständigen Bemerkungen, die ich über das Glück und die Vorteile unsterblichen Lebens gemacht