Trojanische Hühner. Ado Graessmann
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Es war schon dunkel, die Straßenlaternen waren noch nicht an, als er vor Özlems Wohnung die Haustür langsam öffnete und sich sicherheitshalber erst nach allen Seiten umso, bevor er den Gehsteig betrat. Es hätte ihn sowieso niemand erkannt, nicht einmal seine Freunde. Er hatte sich verkleidet, dies konnte er gut, gelernt hatte er dies schon in der Theatergruppe in der Schule, sein Spitzname war daher damals das Chamäleon.
Er ging an den Häusern entlang, bis zur übernächsten Seitenstraße, dort hatten seine beiden Kommilitonen das Motorrad mit einer Kette an einen Laternenpfahl befestigt. Gestohlen hätte das alte Ding bestimmt kein Mensch, da gab es bessere Objekte. Er wischte den Staub vom Sattel und die Maschine sprang beim ersten Startversuch an.
Seine Eltern hatten ein großes Haus in einer Gegend in der nur sehr reiche Leute wohnten, es war ein sehr sicherer Ort, eingebrochen wurde dort so gut wie nie. Die letzten zweihundert Meter fuhr er ohne Licht und stellte sein Motorrad an einem Baum vor dem elterlichen Haus ab.
Er musste, sein Vater würde um diese Zeit zu Hause sein, er hatte die Angewohnheit, wenn er aus der Klinik kam, erst einige Runden im Schwimmbecken hinter der Terrasse zu schwimmen bevor er seinen Tee trank. Nach dem Abendessen zog er sich meist in sein Arbeitszimmer zurück und bereitete sich auf die anstehenden Operationen für den nächsten Tag vor. Sein Bücherregal war gefüllt mit Anatomie Büchern und Operationsanweisungen, einige davon hatte er selbst verfasst. Sait hatte keinen Hausschlüssel dabei und klingeln wollte er auch nicht. Er wusste, die Terrassentür war fast immer unverschlossen, so auch an diesen Abend. Er ging durch den Garten und betrat das menschenleere Wohnzimmer, er hörte aber Stimmen aus Vaters Arbeitszimmer. Er klopfe kurz an und öffnete die Tür bevor jemand antworten konnten. Sein Vater saß am Schreibtisch und seine Mutter stand neben ihm. Als er das Zimmer betrat schauten beide ihn mit offenen Mündern an, und für einige Sekunden sagte keiner ein Wort.
Dann begann sein Vater in laut schreiend zu beschimpfen, das erste was er sagte war, du bist an allen schuld, du hast mich ins Unglück gestürzt.
An dem Tag als du verhaftet wurdest, haben sie mich fristlos entlassen und mir verboten, jemals wieder die Universitätsklinik zu betreten, das Gehalt haben sie mir auch gestrichen, nur du allein bist schuld an dieser Schmach, wie konnten sie mir dies nach alle den Jahren antun, das kann und werde ich dir niemals verzeihen.
Seine Mutter stand ebenso wie er unbeweglich da, mit offenem Mund, sie sagte aber kein Wort. Nach einer Minute des Schweigens, drehte Sait sich um und verließ das Haus schweigend, diesmal ging er aber durch die Eingangstür, dies war das letzte Mal, dass er seine Eltern sah. Er fuhr zurück und berichte Özlem haargenau genau was geschehen war. Er erzählte ihr auch von seiner ersten Operation und wie stolz er auf seinen Vater war, dass er ihn dies erlaubte.
Dies war die Operation wo ich zögerte den ersten Schnitt zu machen, ich musste zum ersten Mal in meinen Leben einen Menschen verletzen.
Özlem antworte nur mit ruhiger Stimme, ich weiß es, ich war dabei gewesen, ich habe dir das Skalpell gereicht, du hast mir aber nicht in das Gesicht gesehen.
Ich hätte da eine neue Familie für dich, die Bruderschaft, es seien zwar alle sehr gläubige Menschen, wollen aber genauso wie du, nämlich Rache nehmen an dem Herrscher und seinen Lakaien die dir das alles angetan haben. Sie wollen eine neue Ordnung schaffen.
Ein Ajatollah sei in Frankreich im Exil und dort laufen alle Fäden zusammen. Sait war immer noch ein Geächteter und sein Fahndungsfoto hing noch überall herum, exmatrikuliert war er nun auch. Bisher hatte er nur Transparente beschrieben und diese ausgerollt, manchmal auch kleine Reden gehalten, vor einigen Studenten, durch die Bruderschaft konnte er vielleicht mehr erreichen. Sie nahmen ihn mit offenen Armen auf und meinten nur, du solltest deinen Vornamen verändern, wir nennen dich ab heute nur Mohamed und wir werden zusammen etwas Neues schaffen, einen Gottes Staat aufbauen.
Die Unruhen und Demonstrationen nahmen zu, jetzt waren es nicht mehr nur die Studenten, die Lebensmittel wurden immer knapper und die Preise schienen täglich nach oben zu schießen, obwohl das Land nur so auf dem Öl schwimmt, wurde der Treibstoff knapp und mancher Taxifahrer verbrachte die meiste Zeit am Tag vor irgendwelchen Tankstellen und dort bekam er auch nicht, was er wirklich für den Rest des Tages benötigte, um seine Familie ernähren zu können.
Nachts wurden Parolen an Hauswände geschrieben, selbst der Palast des Herrschers blieb nicht mehr verschont, bis er endlich aufgab und das Land verließ.
Eine neue Zeit brach an, von nun an wurde wieder gesäubert, Menschen verschwanden einfach oder wurden öffentlich hingerichtet, die Einführung der neuen Ordnung hatte viel Menschenleben gekostet, so ist es nun einmal, wenn eine neue Gerechtigkeit eingeführt wird, das kostet eben immer große Opfer.
Sait störte sich nicht daran, er war wie besessen von seinen Rachegedanken den er jetzt umsetzen wollte und hierfür hatte er eine Idee.
Zuerst mussten der Herrscher und sein Klan zur Rechenschaft gezogen werden, danach wollte er sich an seinen Peiniger rächen.
Özlem ging weiterhin jeden Tag in die Klink, ein neuer Chef wurde von der Bruderschaft ernannt, der fast alles auf den Kopf stellte aber selbst fast keine chirurgische Erfahrung hatte.
Weißt du was Özlem, ich habe eine Idee wie wir den Herrscher zurück bekommen können, nicht durch eine Entführung wie das die Israelis vor einigen Jahren mit Eichmann gemacht hatten, dazu sind wir nicht fähig.
Die haben aber hier eine Botschaft, in der sich meist mehr als fünfzig Personen befinden, wenn wir die Botschaft besetzen und das Personal in Geiselhaft nehmen und drohen wir würden täglich einen von ihnen erschießen, dann müssen die sie den Herrscher früher oder später im Gegenzug ausliefern.
So ein Vorhaben musste aber sorgfältig geplant und organisiert werden, wichtig war vor allem die Zustimmung durch die Bruderschaft und dem obersten Ajatollah. Nachdem Sait seinen Plan dem Rat vorgetragen hatte, vergingen drei Wochen bevor er grünes Licht hierfür bekam, alle hatten ihn für gut befunden und waren davon überzeugt, dass Sait hierfür der richtige Mann ist.
Als erstes musste er eine zuverlässige Mannschaft aus dem alten Studentenstamm zusammenstellen und das Geschehen innerhalb und in die Umgebung vor dem Botschaftsbereich erkunden.
In den nächsten Tagen fuhr er und Özlem einige male mit seinem Motorrad die Straße entlang und fotografierten alle Häuser im Umkreis der Botschaft.
Die Schikanen in der Klinik und die Inkompetenz des neuen Chefs waren ihr zu viel geworden, sie hatte ihre Kündigung eingereicht und wollte sich nur noch für unser großes Ziel einsetzten. Vor jeder Fahrt hatte sich Sait wieder als Verwandlungskünstler erwiesen, für sich und für Özlem. Bei der Auswertung der Fotos fiel ihnen das Haus gegenüber der Botschaft besonders auf, an der Außenwand befanden sich in den Fugen einige dunkle Knöpfe, die bei Vergrößerung wie optische Linsen aussahen.
Das Haus, das als Lagerhaus deklariert war, reichte rückwärts bis zur nächsten Seitenstraße, hatte aber dort weder Fenster noch eine Eingangstür. Mit Erlaubnis des Rates schafften seine Leute einen Zugang mit einer verschließbaren Sicherheitstür. Hierfür wurde die Hauswand tagsüber durchbrochen, damit der Straßenlärm den Lärm der Presslufthämmer verschluckte und in der Botschaft kein Verdacht entstand. In diesen Tagen hatte auch kaum jemand die Botschaft verlassen oder sie betreten, so verlief die Operation unentdeckt.
Als sie zum ersten Mal in den dunklen Raum eintraten, sahen sie, dass vor der Wand zur Botschaft hin, mehrere Kabel von der Decke herunterhingen, die alle in einem gemeinsamen Kasten endeten. Schnell wurde klar was dies zu bedeuten hatte, sie brauchten