Gift. Sandra Schaffer
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13
O’Leary hatte alles überprüft, was es zu Martin Roberts in Erfahrung zu bringen gab. Er hatte seine Finanzen durchgesehen, in denen es keinerlei Ungereimtheiten gab. Nicht für einen reichen Mann zumindest. Er hatte eine Abbuchung für zwei Flugtickets nach New York gefunden, die drei Wochen zurücklag. Da die Roberts ein Haus in den Hamptons hatten, war eine dreitägige Reise dahin nichts Ungewöhnliches, ebenso wenig wie eine Abhebung von fünftausend Dollar.
O’Leary hatte mit der Gerichtsmedizin gesprochen und mit der Spurensicherung. Doch nichts. Absolut nichts! Sie kannten zwar das Gift, welches ihn getötet hatte – das Gift des Oleanders –, aber das war auch schon alles. Es gab keine Anzeichen für eine Affäre, keine Anzeichen dafür, dass er Feinde hatte, kein Motiv, nicht einmal Verdächtige. Es war, als hätte jemand den falschen Mann erwischt!
Detective Kevin O’Leary, dessen Stiefvater, Henry O’Leary, auch Polizist gewesen war, mittlerweile hatte er die Stelle des Commissioner inne, hatte schon als Zehnjähriger gewusst, dass er in dessen Fußstapfen treten wollte. Bisher hatte ihm sein Job auch immer Spaß gemacht. Es hatte ihm Genugtuung verschafft, in einem von Weißen dominierten Gebiet für Recht und Ordnung sorgen zu können. Dabei hatte er sogar in Kauf genommen, ein einsames Leben ohne Familie zu führen. Wenn er familiäres Umfeld brauchte, konnte er jederzeit zu seiner kleinen Schwester gehen und mit seinen Nichten und Neffen den Tag verbringen. Doch für eine eigene kleine Familie hatte er nie die Zeit gefunden. Sein Job, seine Kollegen, waren seine Familie, das musste reichen.
Dieser Fall aber gab ihm das Gefühl, wieder Anfänger zu sein, gerade frisch von der Polizeischule, ohne recht zu wissen, was es bedeutete, Gesetzeshüter zu sein. Noch nie war ihm ein Fall untergekommen, bei dem es keinerlei Hinweise gab. Er war mit seinem Problem sogar schon zu seinem Vater gegangen.
„Du musst tiefer graben, Kevin. Es gibt immer mindestens einen Fall in der eigenen Laufbahn, bei dem man glaubt, daran zu zerbrechen. Und das wird man auch, wenn man es zulässt. Also lass nicht zu, dass dieser Fall dich fertig macht. Befördere jedes noch so kleine Detail über das Leben dieses Mannes ans Licht, dann findest du auch den Moment, als es aus den Fugen geriet.“
Es war ein guter Rat, dennoch nicht leicht umzusetzen. Wie sollte man etwas ans Licht holen, das es gar nicht gab? Der Mann war so sauber wie ein nagelneues Auto, hatte noch nie gegen das Gesetz verstoßen, nicht einmal einen Strafzettel wegen zu schnellem Fahrens oder Falschparkens hatte er je bekommen. Der Kerl war ein Heiliger. Also warum hatte jemand seinen Tod gewollt?
14
Mark hatte darüber nachgedacht, bei Abigail Roberts vorbeizufahren, ihr von seinem Gespräch mit dem Barkeeper zu erzählen, entschied sich dann aber doch dagegen. Vielleicht war es besser, wenn sie noch nicht erfuhr, dass seine Neugier doch gesiegt hatte. Stattdessen fuhr er nach Hause.
Mark hatte sich gerade hingelegt und wollte noch ein paar Stunden Schlaf finden. Immer wenn er einen Fall hatte, egal ob er nur einen untreuen Ehemann entlarven oder einen Mord aufdecken sollte, ging ihm so viel durch den Kopf, dass er nachts nicht richtig zur Ruhe kam. Sobald er sich hinlegte, fing sein Kopf an, auf Hochtouren zu arbeiten. Gerade als er doch endlich einschlief, klingelte sein Handy.
„Hallo?“, fragte er.
„Mr. Fallon? Hier Creek, der Barmann.“
Mark setzte sich auf und blickte auf seinen Radiowecker. Zwei Uhr fünfundvierzig. Oh Mann!
„Mr. Creek, es ist mitten in der Nacht! Was kann so wichtig sein, dass es nicht bis zum Morgen warten kann?“
„Verzeihung, Mr. Fallon, aber mir ist noch etwas eingefallen.“
Mark holte tief Luft und mahnte sich zur Ruhe. „Und was?“
„Der Tag, an dem der Mann starb, da fragte ich ihn, ob er auf irgendwen wartete. Ich war neugierig, wissen Sie?“
„Mr. Creek, bitte, kommen Sie zur Sache!“
„’tschuldigung. Er sagte, er wartete auf eine Frau.“
„Auf eine Frau? Das hat er tatsächlich geantwortet?“ Plötzlich war Mark wieder hellwach.
„Ja, Sir, hat er.“
„War diese Frau dort?“
„Wenn ja, dann ist sie mir nicht aufgefallen. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann, aber ich dachte, das könnte wichtig sein.“
Das könnte es tatsächlich! „Danke, Mr. Creek.“ Mark legte auf, ehe der Mann am anderen Ende der Leitung noch etwas sagen konnte.
* * *
Mark saß in seinem Büro und grübelte. War es vielleicht doch eine Affäre? Wenn nicht, aus welchem Grund sollte ein Mann sonst abends in einer Bar auf eine Frau warten? Eine schwarze Witwe? Oder doch nur eine verschmähte Geliebte?
Mark klappte das Notebook auf und gab Giftmord, New Orleans und Bar in die Suchmaschine ein. Mehr als eine Million Treffer erschienen auf dem Bildschirm. Zeitungsausschnitte, die von Frauen erzählten, die ihre Männer mit einem Tablettencocktail vergifteten oder auch andere Frauen, ihre Konkurrentinnen. Selbst wie man einen Giftmord beging ohne erwischt zu werden, fand sich in den Suchergebnissen. Doch nur ein Artikel weckte tatsächlich Marks Interesse. Rund um New Orleans waren Männer durch das Gift des Oleanders gestorben, genau wie Mrs. Roberts’ Ehemann, wie sie ihm erzählt hatte. Nur ein Detail passte nicht. Diese Männer waren alle in Motelzimmern gestorben, während Mr. Roberts in einer Bar den Tod fand. Trotzdem war es das wert, der Sache auf den Grund zu gehen.
Mark druckte sich den Artikel aus und ging dann zu seinem Wagen. Den Artikel mit den fünf Städten, Kenner, Lafayette, Baton Rouge, Hammond und Slidell, legte er auf den Beifahrersitz, dann machte er sich auf den Weg.
Er wollte in Kenner anfangen, die Stadt lag am nächsten zu New Orleans und war über die Interstate 10 schnell zu erreichen.
Mark spürte, wie das Adrenalin in ihm hoch kochte und mit ihm ein Gefühl, das er zuletzt vor zwei Jahren gespürt hatte. Ein Gefühl, von dem er geglaubt hatte, es mit dem Verlassen des Polizeidienstes verloren zu haben! Ein Gefühl, dass es richtig war, dass er genau hierher gehörte, zu diesem Fall! Das Schicksal wollte, dass er wieder ermittelte! Deshalb hatte es Abigail Roberts geschickt, um ihm zu zeigen, wozu er berufen war, nämlich Verbrechen aufzuklären! Er musste damals New York verlassen, um nun hier sein zu können. Hier in New Orleans! Um eine Männer mordende Frau zu jagen!
Seit Langem schon hatte er sich nicht mehr so gut gefühlt, so voller Energie und Tatendrang! Er wusste, dass es ihm bestimmt war, diesen Fall zu lösen. Er wusste es einfach!
* * *
„Sie haben also keine Ahnung, wer den Mann ermordet hat?“ Mark war sauer. Der leitende Detective schien Spaß daran zu haben, Mark an der Nase herum zu führen. Er sagte zwar, dass er Mark nicht helfen konnte, doch