Gift. Sandra Schaffer
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RACHE!
Abby wollte Rache! Sie wollte, dass derjenige, der ihren Mann auf dem Gewissen hatte, zur Rechenschaft gezogen wurde. Natürlich wollte sie nicht die Art von Rachegeschichte, wie sie oft in Filmen verwendet wurde. Sie hatte nicht vor, sich zu bewaffnen und jeden zu beseitigen, der ihr auf ihrem Weg zu ihrem Ziel in die Quere kam! Ihr reichte es schon, wenn Martins Mörder im Gefängnis verrottete.
Abby stand auf und ging unter die Dusche. Sie zog einen weißen Rock und eine lila Bluse an, dann ging sie hinunter in die Küche. Donna war schon da, hatte Kaffee gekocht und den Geschirrspüler ausgeräumt. Sie wollte gerade mit ihrer anderen Arbeit beginnen, als Abby sie bat, ihr beim Frühstück Gesellschaft zu leisten.
Nach dem Frühstück stieg Abby in ihren blauen Mini Cooper und fuhr in die Stadt. Der Himmel war strahlend blau. Die Sonne heizte den Asphalt auf. Dunstwolken hingen in der Luft und stiegen in den Himmel wie der Dampf von kochendem Wasser. Die Menschen auf den Straßen wirkten fröhlich, egal ob sie auf dem Weg zur Arbeit waren oder nur bummeln gingen. Sie schienen sich alle ihres Lebens zu erfreuen. Wenn Abby daran dachte, dass sie nur eine Woche zuvor noch zu diesen Menschen gehört hatte, kam es ihr vor, als wäre das ein anderes Leben gewesen, in einer anderen Zeit!
Vor dem Revier bog sie auf den Parkplatz ein und stieg aus. Sie wollte mit den beiden Detectives der Mordkommission sprechen; wollte wissen, wo diese mit ihren Ermittlungen standen und ob es schon Verdächtige gab.
Im Morddezernat traf Abby nur einen der beiden Männer an. Wenigstens war es der Nettere der beiden! Es herrschte reges Treiben auf der Etage. Stimmen sprachen durcheinander und Telefone klingelten.
„Mrs. Roberts, was führt Sie hierher?“, fragte Detective O’Leary.
„Ich hätte gerne gewusst, wie weit Sie mit dem Fall sind.“
O’Leary blickte sie mitleidig an. „Da es sich um eine laufende Ermittlung handelt, fürchte ich, darf ich mit Ihnen nicht darüber sprechen.“
„Wie bitte? Hier geht es um meinen Mann! Sie müssen mir doch sagen können, ob es schon irgendwelche Anhaltspunkte gibt?“
„Tut mir leid, Mrs. Roberts, aber Vorschriften sind nun mal Vorschriften!“
Abby schüttelte den Kopf ob der billigen Ausrede. „Das sagen Sie doch nur, weil Sie absolut nichts haben!“
Ehe Detective O’Leary noch etwas erwidern konnte, hatte Abby sich umgedreht und war im Fahrstuhl verschwunden. Sie fand es erbärmlich, dass dieser Kerl sie hinhielt, statt ihr einfach klipp und klar zu sagen, dass es bisher keinerlei Beweise gab. Das wäre fairer gewesen, als ihr eine verdammte Lüge aufzutischen!
Wütend stieg Abby in ihren Wagen und fuhr vom Parkplatz, ohne auf den Verkehr zu achten. Beinahe wäre ein Wagen in sie hineingerauscht. Er hupte energisch, doch Abby bemerkte es nicht. Sie war mit den Gedanken ganz woanders.
Wenn die Cops nicht weiterkamen, musste sie sich eben selbst auf die Suche nach Martins Mörder begeben! Ja, warum eigentlich nicht? Wenn es in Filmen funktionierte, warum dann nicht auch im wahren Leben? Sie brauchte einen Privatdetektiv. Genau, das war es! Jemanden, der nicht jede kleinste Regel befolgen musste und dadurch das Ziel aus den Augen verlor, so wie es bei den Cops war, die Martins Fall bearbeiteten! Er war seit nicht ganz zwei Wochen tot und die Polizei tappte immer noch im Dunkeln. Nicht den winzigsten Hinweis hatte sie bisher! Abby dauerte es mittlerweile zu lange. Sie brauchte Antworten! Und sie hoffte, diese mithilfe eines Privatdetektivs schneller zu bekommen, als wenn sie sich allein auf die Polizei verließ.
Sobald sie wieder zu Hause war, schaltete sie das Notebook ein und ging online. Abby fand nur zwei Treffer in der näheren Umgebung. Der Erste war ein Mann Anfang Fünfzig, einzig und allein auf Betrugsfälle spezialisiert. Ganz sicher nicht der Richtige! Der andere war bedeutend jünger. Dreiunddreißig, Ex-Cop. Er hatte kein Spezialgebiet. Jedenfalls stand nichts davon in seiner Beschreibung!
Abby googlete seinen Namen und fand sofort einen zwei Jahre alten Zeitungsartikel der New York Times. New York Times! Das war merkwürdig! In diesem stand, dass er den Dienst quittiert hatte, nachdem er bei einer Ermittlung nur knapp dem Tode entgangen war. Sein Partner soll dabei weniger Glück gehabt haben. Er war ums Leben gekommen, als sie beide versucht hatten, eine junge Frau zu retten. Auch sie hatte es nicht geschafft! Eine Lagerhalle am Pier war explodiert und in Flammen aufgegangen. Die Verdächtigen sollen sich noch darin befunden haben, zusammen mit dem Cop und der Frau.
„Oh mein Gott, wie schrecklich“, flüsterte Abby in die Stille des Arbeitszimmers hinein. Die gesamte Einrichtung des Raumes bestand aus Mahagoni. Jedes einzige Möbelstück: die Regale, der Schreibtisch, die Schränke. Die Sonne verschwand gerade hinter dunklen Wolken, welche schon bald ihre Schleusen öffnen und die Trockenheit der letzten Tage vertreiben würden.
Abby schloss die Seite und öffnete eine andere. Auf dieser Seite stand zu lesen, dass der jetzige Privatdetektiv zu einem der jüngsten Männer in der Geschichte des NYPD gehörte, der zum Detective befördert worden war.
Abby war schwer beeindruckt!
Aber warum hatte er dann einfach so den Dienst quittiert? Verließ man den Polizeidienst heute schon einfach aus dem Grund, weil ein Fall schiefgelaufen war? Oder hatte er sich für den Tod seines Partners und dem der Frau verantwortlich gefühlt?
Egal, was auch immer diesen Mann veranlasst hatte, kein Polizist mehr sein zu wollen oder zu können, er war der Richtige für ihr Problem! Wahrscheinlich war er sogar der Einzige, der ihr wirklich helfen konnte. Vorausgesetzt, dass er den Fall übernahm!
Natürlich lag es ihr fern, die Polizei in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Sie taten, was sie konnten! Nur war es Abby nun einmal nicht genug.
Lautes Donnergrollen vertrieb die einsame Stille. Blitze, die über den Himmel zuckten, erleuchten für wenige Momente das Zimmer, malten bedrohliche, monsterähnliche Schatten an die Wände und brachten sofort wieder Dunkelheit, als sie verglommen.
Abby suchte die Adresse des Privatdetektivs heraus, ging in ihr Schlafzimmer und tauschte den Rock gegen eine Jeans. Dann stieg sie in ihren Mini und fuhr in den verregneten Abend hinaus. Ja, es war mittlerweile Abend. Abby konnte es kaum glauben, aber während ihrer Internetrecherche waren die Stunden nur so verflogen.
9
Abby stand im strömenden Regen vor dem Gebäude auf der Loyola Avenue im French Quarter District und haderte mit sich, ob sie wirklich hineingehen sollte. Obwohl es schon recht spät war, brannte in mehreren Fenstern noch Licht. Hoffentlich gehörte eines davon der Detektei. Sie fragte sich, warum sie gerade jetzt so große Schwierigkeiten hatte, eine Entscheidung zu fällen. Fiel es ihr doch sonst nicht so schwer! Für gewöhnlich wusste sie genau, was sie wollte und wie sie es erreichte. Und eigentlich war sie sich noch nie einer Sache so sicher gewesen, wie in diesem Moment. Sie wollte den Mörder ihres Mannes drankriegen! Wollte, dass er für das, was er getan hatte, zur Rechenschaft gezogen wurde. Koste es, was es wolle! Also, warum stand sie dann immer noch hier, mittlerweile völlig durchnässt – das lange dunkle Haar klebte an ihren Wangen – und starrte zu den Fenstern hinauf?
Schließlich setzte Abby sich dann doch in Bewegung, ging ins Gebäude und fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock hinauf. Sie hatte vorher im Foyer an der Tafel nachgesehen, in welche Etage sie musste. Vor der Tür mit der Aufschrift Privatdetektiv Mark Fallon blieb sie stehen. Sie klopfte zweimal, doch niemand reagierte. Sie stellte fest, dass die Tür offen war und spähte hinein. Sie erblickte ein kleines Vorzimmer, mit einem Schreibtisch