Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
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Ihre Knie wurden weich.
Mit Macht krallte sich die Angst um ihr Herz. Ihre Glieder wurden so schwach, dass sie sich an eine Hauswand lehnen musste. Heiß stieg es ihr zu Kopfe, und ein Brausen erfüllte ihr Innerstes. Ganz mechanisch suchten ihre Hände weiter, aber sie kamen leer zum Vorschein. Blicklos sah sie vor sich hin. Eben noch so glücklich, traf dieser Schicksalsschlag sie unbarmherzig. Fieberhaft überlegte sie den ganzen Hergang. Irgendwo musste doch die Geldbörse sein. Sie konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! An diese Hoffnung sich klammernd, rannte Anja den ganzen Weg zurück. Sie keuchte und fühlte Schmerzen in ihrer Brust. Dort war schon das erste Geschäft. Aber man schüttelte nur bedauernd den Kopf. Man hatte nichts gefunden und liegengeblieben sei auch nichts. Diese Antwort bekam sie überall.
Taumelnd verließ sie das letzte Geschäft, bleich und verstört. Was soll ich nur machen, was soll ich nur machen? Bei jedem Schritt sagte sie dasselbe.
Das junge Mädchen fühlte sich rein kopflos. Doch es half alles nichts, sie musste jetzt endlich nach Hause.
Ganz mechanisch gingen ihre Füße diesen Weg. Sie hatte einfach aufgehört zu denken. Wie ein kalter Klumpen lag die Angst in ihrem Magen.
Was sollte sie Werner sagen?
Dort war ihre Straße. Sie überquerte sie, betrat das Haus, stieg in den Fahrstuhl und ließ sich bis zum 6. Stock fahren. Hier war ihre kleine Wohnung. Fast zögernd schloss sie die Wohnungstür auf. Aber alles war noch still und dunkel. Werner war also noch nicht zu Hause. Eine kleine Gnadenfrist.
Unruhig ging sie auf und ab.
Vierhundertfünfzig Mark waren in der Geldbörse gewesen. Werner hatte sie ihr am Morgen gegeben. Fünfzig Mark für den Haushalt, bald war ja der Erste. Und die vierhundert Mark sollte sie bei der Post einzahlen. Für die Möbel. Sie schluchzte leise auf. Nein, sie konnte ihrem Mann nichts von diesem Verlust erzählen. Sie konnte es einfach nicht. Er schuftete sich so ab, versuchte ihr alles recht zu machen, und sie verlor das sauer verdiente Geld.
Vor einem Jahr hatten sie geheiratet, als sie einundzwanzig wurde. Werner war schon dreißig und viel reifer, und das liebte sie ja so an ihm. Er war Vertreter für Büroartikel und musste sich erst seinen Bezirk aufbauen. Hier oben im Hochhaus hatten sie ihr kleines Nest aufgeschlagen, geschmackvoll und nett. Aber beide hatten kein Geld gehabt. Sie mussten alles auf Raten kaufen, die Möbel, Teppiche und das Auto. Werner brauchte es nötig. Sie mussten sehr sparsam leben und konnten sich nicht viel leisten. Er sprach immer davon, wenn alles bezahlt sei, würde alles anders werden. Jetzt ging das noch nicht.
Werner war in diesen Dingen so gewissenhaft. Und nun hatte sie das Geld verloren. Unmöglich, ihm das mitzuteilen!
Sie saß auf dem Küchenstuhl und grübelte nach. Plötzlich klingelte das Telefon. Anja schrak mächtig zusammen. Langsam ging sie in den Flur und nahm den Hörer ab.
»Ja, hier bei Renner!«
»Anja, bist du es?«
»Ja!«
»Hier ist Werner, hast du schon auf mich gewartet?«
Ihre Stimme kam ihr selbst fremd und kalt vor. Sie erkannte sich selbst nicht wieder.
»Ich bin gerade erst nach Hause gekommen, musste fürs Abendbrot noch etwas einkaufen. Wo bist du?«
»Liebling, ich rufe an, weil ich heute nicht nach Hause kommen kann. Ich habe hier noch eine Besprechung, und morgen muss ich noch weiter in den Süden. Ich komme erst übermorgen nach Hause. Bist du mir sehr böse, dass ich dich so lange allein lasse?«
Das kam schon öfter mal vor, und sie hatte sich auch schon daran gewöhnt.
»Nein, ganz bestimmt nicht, wirklich nicht, Werner!«
Der Mann schwieg eine Sekunde.
»Du, deine Stimme klingt so seltsam. Ist was?«
»Nichts, Werner, was soll denn sein. Ich halte dir die Daumen, dass du gute Geschäfte machst!«
»Danke, Liebling, das kann ich gut gebrauchen. Heute ist aber auch alles schiefgegangen, darum bleibe ich auch hier und spare die Benzinkosten. Du bist mir doch wirklich nicht böse?«
»Nein, wirklich nicht!«
»Ich weiß nicht, du bist so anders. Aber vielleicht macht das auch nur die Entfernung. Durch das Telefon ist die Stimme so fremd. Was wirst du machen, wenn ich nicht da bin?«
»Ach«, sagte sie, »irgendetwas. Ich gehe dann eben früh zu Bett.«
»Liebling, ich muss jetzt auflegen. Bis übermorgen also?«
»Tschüss, Werner!« Langsam ließ sie den Hörer auf die Gabel gleiten. Sie hatte noch eine kleine Frist. Zwei Tage, zwei erbärmliche Tage. Aber wie sollte sie in dieser Zeit an vierhundertfünfzig Mark kommen?
Sie überlegte. Werner kam nicht, so konnte sie für zwei Tage das Essen einsparen. Sie würde nur ganz wenig essen, so ersparte sie vielleicht die fünfzig Mark. Aber die vierhundert waren damit noch nicht herbeigezaubert.
»Was mache ich nur, um Gottes willen, was mache ich nur?«
Sie sah Werners kühles Gesicht vor sich. Ob er Verständnis für sie haben würde? Ob er begreifen konnte, dass einem so etwas passieren kann? Vierhundert Mark, wieviel hätte sie sich dafür kaufen können!
Da ging die Türklingel. Anja überlegte, wer das wohl sei. Sie hatten so wenig Bekannte in der Stadt. Die Eltern waren schon tot. Praktisch waren sie ganz allein, sie und Werner. Es schellte abermals. Sie stand auf und öffnete. Vor ihr stand die Nachbarin, nicht viel älter als sie.
Sybille Prinz, ein kapriziöses Ding, immer nach der neuesten Mode gekleidet. Sie hatte kupferbraune Haare und einen üppigen Busen. So etwas lieben ja die Männer. Heute trug sie einen giftgrünen Pullover und einen engen, braunen Lederrock. Anja kam sich richtig schulmädchenhaft ihr gegenüber vor. Sie trug nur eine weiße Bluse und einen schlichten blauen Rock.
»Ach, Frau Renner, hübsch, dass ich Sie antreffe. Darf ich für einen Sprung hereinkommen, oder ist Ihr Mann schon zu Hause?«
»Nein, er kommt heute gar nicht nach Hause.«
Sybille lachte leise auf.
»Na, da sind Sie ja auch mal wieder eine grüne Witwe.«
Anja war nicht zum Spaßen aufgelegt. Sie ging voran in die Küche, und die Nachbarin kam ihr nach. Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl und holte ihre Zigaretten hervor.
»Sie rauchen ja nicht, oder haben Sie es sich inzwischen angewöhnt?«
»Nein!«
»Ach, Frau Renner,