Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
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„Hier haben Sie eine wunderbare Ente. Wälzen Sie sich etwas auf die Seite. Soll ich Ihnen dabei helfen?“
Er bekam einen roten Kopf. „Nein, danke. Ich ... ich kann das allein, bitte, bitte ...“
Sie wandte sich ab, trat ans Fenster und hoffte, dass er Kraft genug hatte, um das wirklich allein zu können.
Als er sich räusperte, wandte sie sich um. Sie nahm ihm die Flasche ab, und es schien ihm sehr peinlich zu sein. Sie ging zur Toilette und stellte bei der Gelegenheit fest, dass auch die nicht gerade ein Ausbund an Reinlichkeit war. War das Abortbecken selbst sauber, so entdeckte sie doch in den Winkeln des Raumes Schmutz. Und an der Decke sogar riesige Spinnweben. Vielleicht, überlegte sie, hat diese Frau Hofer tatsächlich schlechte Augen. Aber er hätte das doch ebenfalls sehen müssen. Vielleicht interessierte es ihn gar nicht.
Sie ging zu ihm zurück, und er vermied es, sie anzusehen.
„Warum stellen Sie sich so an“, sagte sie und legte ihre Hand auf seine Stirn. Sie tat es, um festzustellen, wie heiß die war. Aber ihm bedeutete das wohl mehr. Als sie die Hand wieder wegnahm, machte er ein erschrockenes Gesicht.
In diesem Augenblick ahnte sie, was in ihm vorging. Schon vorhin war ihr sein Erröten aufgefallen. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass es ihr selbst auch nicht so gleichgültig war, wie er vielleicht vermutete. Jedenfalls hatte sie durchaus andere Gefühle und Empfindungen, ihn zu behandeln als irgendeinen Fremden in der Klinik. Dabei versuchte sie sich selbst ständig einzureden, dass er im Grunde ebenso ein Patient war wie irgendein anderer. Und doch gab es dazu kaum Parallelen.
Sie legte ihre Hand wieder auf seine Stirn, und sein Gesicht, eben noch voller Erschrecken, entspannte sich. Er lächelte sogar.
Plötzlich ergriff er ihre Hand, nahm sie von der Stirn weg und führte sie an seinen Mund. Seine heißen Lippen pressten sich auf ihren Handrücken. Dann schaute er gespannt in ihre Richtung.
Sie entzog ihm die Hand und sah ihn streng an. Aber sie sprach kein Wort. Sie sah ihn nur an. Doch es war keinerlei Missbilligung in ihrem Blick. Im Grunde Besorgnis. Ahnte er etwas von ihren Gefühlen? Spürte er, wie sie von ihm dachte?
Aber plötzlich richtete sie selbst wieder diese Wand zwischen sich und alle anderen Menschen auf. Auch zwischen sich und ihn.
Sie erhob sich und sagte leise, aber doch eindringlich:
„Das sollten Sie nicht tun.“ Dann wandte sie sich ab und holte ihm noch einmal Tee. Dann zog sie eine Spritze mit Depot-Novadral auf, um es ihm intramuskulär zu geben. Sie hätte normalerweise die Spritze in seinen Po gejagt. Aber aus Gründen, die sie selbst nicht hätte erklären können, spritzte sie es ihm in den Oberarm.
Er knurrte, weil sie ihn nicht vorher gefragt hatte.
„Es ist Depot-Novadral“, sagte sie nur. „Und sie wissen selbst, dass Sie dieses Kreislaufmittel brauchen. Das Fieber geht etwas zurück, und jetzt ist Ihr Kreislauf gefährdet.“
Nach Mitternacht gab sie ihm noch einmal Tetracyclin, diese rote Ledermycin-Tablette. Er schluckte sie brav. Danach schlief er wieder.
Ohne dass er es bemerkte, maß sie ihm dann im After noch einmal Fieber. Er lag auf der Seite, und sein Atem war besser als noch am Abend.
Sein Fieber hatte sich mittlerweile auf 38,8 gesenkt. Doris war erleichtert.
Sie hoffte, das er jetzt länger schlafen würde, und weil sie selbst müde wurde, streckte sie sich im Sessel aus, angezogen wie sie war, und versuchte ein Nickerchen zu machen.
Doris hätte nicht sagen können, wie lange sie geschlafen hatte, als sie vom Schellen des Telefons aufschreckte. Sie brauchte ein paar Sekunden, um überhaupt zu begreifen, wo sie sich befand. Sie war steif vom ungünstigen Liegen im Sessel, ächzte, als sie sich aufrichtete und warf sofort einen besorgten Blick auf ihren Patienten.
Aber der schlief noch immer.
Rasch stand sie auf und lief in den Korridor, damit die Klingelei des Telefons aufhörte. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor vier.
Welcher Wahnsinnige ruft so spät an?, dachte sie und hob ab.
Als sie sich nur mit „Hallo“, meldete, klang ihre Stimme vom Schlafen spröde und war noch dunkler als ohnehin.
„Willi bist du es? Hier ist Linda. Schatzi, ich habe solche Sehnsucht nach dir ...“
„Linda?“, fragte Doris, und ihre Stimme klang noch immer spröde und dunkel.
„Ja. Mein Gott, bist du verschlafen. So geht es doch nicht weiter. Schatzi, sei doch vernünftig und sei kein Frosch. Lass uns wieder zusammenziehen. Es ist alles ein Irrtum gewesen, ein Versehen. Es tut mir leid. Ich hab es dir schon so oft gesagt. Wenn du willst, komme ich sofort zu dir.“
„Wer, zum Teufel ist da?“, fragte Doris. Und jetzt, wo sie mehr als ein Wort gesprochen hatte, war es deutlich zu hören, dass sie eine Frau war.
„Ist da nicht Doktor Graf?“, hörte sie die Frauenstimme fragen.
„Nein. Was wollen Sie von Doktor Graf?“
„Wer sind Sie? Hallo, wer sind Sie denn?“
„Das geht Sie doch nichts an“, sagte Doris. „Und wer sind Sie?“
„Na hören Sie mal, ich bin die Frau von Doktor Graf.“
Jetzt fiel es Doris wie Schuppen von den Augen. Natürlich, sie hieß ja Linda Hüttner!
„Ach Sie, Frau Hüttner. Na wunderbar, leider können Sie Herrn Doktor Graf nicht sprechen. Versuchen Sie es doch mal übermorgen.“
„Hallo, wer sind Sie denn überhaupt? ...“
Doris legte auf und ging zu Wieland Graf zurück.
Als sie näher kam, sah sie, dass er wach war. Er blickte sie forschend an und fragte leise:
„Wer ... wer war das?“
„Frau Linda Hüttner, ihre geschiedene Frau. Morgens um vier. Ich habe ihr gesagt, dass Sie vor übermorgen nicht zu sprechen sind. Und jetzt sollten Sie weiterschlafen. Oder haben Sie Durst?“
„Ich brauche schon wieder die Flasche. Es tut mir sehr leid, aber ich kann doch aufstehen. Ich fühle mich besser. Ich ...“
„Reden Sie nicht so viel, sonst müssen Sie wieder husten. Legen Sie sich auf die Seite. Ich gebe Ihnen die Flasche.“
Es war ihm sehr peinlich. Und sie war schon drauf und dran, ihm dazu etwas zu sagen, ihn zu beruhigen, ihm zu erklären, dass er weiß Gott nicht der erste Patient war, dem sie eine Flasche zum Urinieren gab. Aber sie unterließ es. Nein, dachte sie, das würde ich ihm nicht sagen. Denn so gleichgültig, wie ich tue, ist es mir ja auch nicht. Überhaupt ist mir nichts gleichgültig hier. Was ist nur mit mir los? Ich mache mir Sorgen um ihn, viel mehr Sorgen, als ich das jemals bei einem Patienten täte. Ich ertappe mich dabei, dass ich ihn beobachte, wie er daliegt und schläft. Und dass es mir selbst wehtut, wenn ich ihm eine Spritze geben muss.