Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
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Draußen begann es schon zu tagen. Die Amseln zwitscherten in den Bäumen. Und ein paar Bäume gab es auch hier im Hof.
Sie öffnete das Fenster, ließ die frische morgendliche Luft herein und stand eine Weile da und blickte in den heller werdenden Himmel.
Die Stadt erwachte. Irgendwo klapperten Kannen. Woanders klappte ein Fenster. Und aus der Tiefe des Hauses drang leise Musik.
Irgendwo quietschte eine Straßenbahn um die Ecke, und von hier aus konnte Doris in den Hof einer Bäckerei schauen. Aus dem Kamin des Backhauses kräuselte Rauch.
Es hatte die Nacht geregnet, doch nun war der Regen vorbei. Der merkwürdige Duft von feuchter Erde und feuchtem Gemäuer drang Doris in die Nase.
Sie wandte sich wieder ihrem Patienten zu. Er schlief.
Doris dachte an sich und wollte sich Kaffee machen. Silke hatte ja welchen mitgebracht. Aber sie fand keinen Filter. Nichts dergleichen war im Schrank zu entdecken. Also brühte sie den Kaffee nach Großmutterart und ließ ihn sich setzen, schmierte sich in dieser Zeit eine Scheibe Weißbrot mit Butter und aß dann.
Sie überlegte, was sie ihrem Patienten bereiten sollte und entschloss sich, von den Weißbrotscheiben so etwas wie Toast zu machen. Und weil in dem Korb von Silke auch eine Flasche Milch war, wollte sie ein Glas davon erwärmen und ihm von dem Honig, den Silke ebenfalls mitgebracht hatte, ein paar Löffel hineintun. Das würde ihm sicherlich helfen.
Wenig später wurde er wach. Es war jetzt schon halb sieben, und sie überraschte ihn mit dem Frühstück.
Er verspürte offensichtlich wirklich Appetit, trank ein paar Schlucke von der heißen Milch mit Honig, knabberte an dem getoasteten Weißbrot mit Butter, aber das Essen ermüdete ihn rasch, und er nahm von allem nicht viel.
Die Wadenpackungen machte ihm Doris ab und sagte ihm, dass sie sein Bett machen müsse. Vorübergehend sollte er sich auf die eine Seite legen.
Gehorsam tat er alles, was sie verlangte, und als sie sein Bett gemacht hatte, ohne dass er deshalb aufstehen musste, breitete sich ein zufriedenes Lächeln in seinem Gesicht aus. Er nahm von selbst das Fieberthermometer und fragte: „Ist es sauber?“
„Natürlich. Ich mache es jedes Mal hinterher sauber. Sie können es auch in den Mund nehmen“, erklärte Doris.
Er tat es auch. Und das Fieber war nun konstant auf 38,8.
Doris war klar, dass es so schnell nicht sinken würde. Aber so erschien es ihr besser als noch gestern Nachmittag.
Er schien jetzt richtig wach zu sein und fühlte sich auch relativ wohl. Aber das Sprechen strengte ihn an, und oft musste er danach husten. Sie ermahnte ihn, lieber still zu sein und setzte sich zu ihm ans Bett.
„Erzählen Sie mir ... erzählen Sie mir von sich.“
„Da gibt es nicht viel zu erzählen“, erklärte sie. Aber sein bittender Blick ermunterte sie dann doch, ihm aus ihrer Kindheit zu erzählen. Und ohne das sie es selbst wollte oder darüber nachdachte, erzählte sie weiter und kam dann auf Dinge zu sprechen, von denen sie sich gar nicht bewusst wurde, dass sie die eigentlich gerade ihm niemals erzählen wollte. Aber sie tat es. Und er hörte zu. Als sie sich einmal unterbrach, hatte er wohl Angst, sie könnte aufhören. Seine Hand fasste wieder um ihr Handgelenk. Und er nahm sie auch nicht weg, als sie ihren Arm etwas anhob, sondern zog mit mehr Kraft, als sie ihm in seinem Zustand zugetraut hatte, ihren Arm wieder zurück.
Sie sträubte sich nicht dagegen, dass er sie so festhielt und erzählte weiter.
Es war ein eigenartiges Gefühl, seine Hand an ihrem Arm zu spüren. Ihr war, als liefe ein elektrischer Strom hindurch und als könnte sie seinen Puls spüren.
Sie sprach weiter. Und es kränkte sie auch nicht, als er wieder einschlief. Vorsichtig löste sie seine Hand von ihrem Arm und erhob sich. Sie fühlte sich selbst hundemüde, ließ sich wieder in den Sessel sinken und schlief ein.
Nach einer knappen Stunde war sie schon wieder wach. Ihr Patient schlief tief und fest, atmete viel gleichmäßiger als noch in der Nacht, und sie wollte ihn zur Einnahme seiner Medikamente nicht wecken.
Als er dann doch einmal erwachte, gab sie ihm eine erneute Kreislaufspritze und ließ ihn das Ledermycin schlucken. Danach schlief er wieder ein.
Er schläft sich gesund, dachte sie und betrachtete ihn, während sie vor seinem Bett stand.
In ihrem Gefühl war sie hin- und hergerissen zwischen ihren Vorsätzen und ihren inneren Wünschen.
Nun, da er es nicht merkte, versuchte sie, sich nicht zu verstellen. Sie mochte ihn ja. Und mehr als das. Er war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Und vielleicht hatte sie sich gerade deshalb ihm gegenüber so kratzbrüstig gezeigt aus Angst, es könnte wieder etwas werden und in einer Enttäuschung enden. Aber nun, da er so krank war, wurde ihre Zuneigung zu ihm nur noch stärker. Sie vermied es, in ihren Gedanken den Begriff Liebe zu gebrauchen. Und doch wusste sie, dass es so war.
Noch einmal bäumte sich alles in ihr dagegen auf. Und wenn ich ihn tausendmal liebe, dachte sie, es wird so enden, wie alles endet. Und dann ist da noch die Geschichte mit Heidi. Ich werde ihn nie danach fragen. Und doch werde ich den Gedanken an den Augenblick, als sie zu ihm in den Wagen stieg, nicht los. Ich habe kein Recht, ihn zu kritisieren. Er ist nicht mein Mann, der mir da etwas erklären müsste.
Sie hatte ihn angeblickt, aber ihn gar nicht mehr bewusst gesehen, während sie ihren Gedanken nachhing. So merkte sie nicht, dass er wach geworden war, sie anschaute, aber kein Wort sprach. Vielleicht spürte er in diesem Augenblick, was in ihr vorging.
Dann wurde ihr bewusst, dass er nicht mehr schlief. Sie erschrak, schien sehr überrascht und lächelte.
„Na, wie fühlen Sie sich? Möchten Sie etwas trinken? Oder etwas essen?“
Er lächelte schwach. „Nein“, murmelte er. „Nur ... ich brauche schon wieder die Flasche.“
Es schien ihm aber nicht mehr so schwerzufallen, das zu sagen. Und beide lachten sie, als sie ihm die Flasche brachte, sich abwandte, und sich die ganze Prozedur wiederholte, die sie schon kannte. Er räusperte sich, und sie brachte dann die Flasche weg.
Sie nutzte die Gelegenheit seines Wachseins, um ihn wieder abzuhören, seinen Blutdruck zu prüfen, seinen Puls, seine Temperatur zu messen. Alles sah besser aus. Erheblich besser. Doch nun am Nachmittag erwies sich das sogar als gutes Zeichen. Normalerweise hätte es wieder ansteigen müssen. Offenbar hatte er dank des Antibiotikums den kritischen Punkt bereits überwunden.
Aber er war noch sehr schwach. So schwach, dass er wenig später wieder einschlief.
Sie wusste aus Erfahrung, dass dieser Schlaf die Kräfte wenigstens in etwa erhielt. Patienten, die nicht schlafen konnten, waren da schlimmer dran.
Aber dann gegen Abend wurde er erneut wach, und sein Schlafbedürfnis schien endgültig gestillt zu sein. Er konnte sich sogar aufsetzen. Und sie hätte nichts dagegen, veranlasste ihn, ein paar Atemübungen zu machen, und da das Fenster des warmen Wetters wegen geöffnet war, sog er auch frische Luft in seine Lungen. Sie ließ ihn schnell einatmen und langsam ausatmen. Eigentlich hätte er das alles selbst wissen müssen. Und sie war sicher, dass er es wusste. Nur am eigenen Leib, da schien er das nicht in die Praxis umsetzen zu wollen und ließ