Die neuen Reiter der Apokalypse. Michael Ghanem
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die neuen Reiter der Apokalypse - Michael Ghanem страница 25
Folgen relativer Armut in entwickelten Ländern
Politische Ungleichheit
Politische Gleichheit ist eine der Voraussetzungen für Demokratie: Jeder Bürger sollte im Idealfall die gleiche Stimme haben. Obwohl es für eine Regierung unmöglich ist, die Präferenz jedes Bürgers jederzeit zu berücksichtigen, sollte es aus demokratischer Sicht keine systematische Ungleichheit geben, wessen Stimme gehört wird. Eine Analyse von 25 europäischen Ländern zeigt jedoch, dass es kaum eine Gleichheit der Stimmen speziell bei der Frage der gesellschaftlichen Umverteilung bzw. des Wohlfahrtstaates gibt. Die Einstellung von Gruppen mit niedrigerem Einkommen ist in der Regel unterrepräsentiert, während Gruppen mit höherem Einkommen überrepräsentiert sind. Ferner stellte die Studie fest, dass diese unterschiedliche Repräsentation, gerade dann ausgeprägter ist, wenn die Vorlieben von Arm und Reich stärker voneinander abweichen. Wenn diese Präferenzen nicht übereinstimmen, tendieren die Regierungen dazu, den Präferenzen der Reichen mehr zu folgen als denen der Armen.
Nicht nur in wirtschaftlichen Fragen, sondern generell bei politischen Entscheidungen werden in Deutschland die Präferenzen von sozialen Gruppen unterschiedlich stark berücksichtigt laut eines Forschungsberichts von 2016 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Ausgewertet wurden dabei Daten aus der Zeit zwischen 1998 und 2015. Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang von politischen Entscheidungen zu den Einstellungen von Personen mit höherem Einkommen, aber keiner oder sogar ein negativer Zusammenhang für die Einkommensschwachen.
Psychische Gesundheit
In der Forschung gibt es unterschiedliche Modelle wie Armut und psychische Gesundheitsprobleme zusammenhängen. Die Hypothese der soziale Selektion geht davon aus, dass Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen aufgrund ihrer Psychopathologie und der Unfähigkeit, von ihnen erwartete Rollenverpflichtungen zu erfüllen, an sozioökonomischem Status verlieren. Umgekehrt besagt die Hypothese der soziale Kausalität, dass sozioökonomische Entbehrungen darauf folgende psychische Gesundheitsprobleme verursachen. Eine Übersichtsstudie verglich Untersuchungen zu dieser Frage bei Kindern und Heranwachsenden. Sechs Studien stützten dabei die Hypothese der sozialen Kausalität, zwei die der sozialen Selektion. Insgesamt deuteten die Ergebnisse auf einen engen Zusammenhang zwischen sozialen Ursachen und Selektionseffekten hin, wobei zunächst ein niedriger sozioökonomischer Status erheblich zum Auftreten von psychischen Problemen beiträgt. Das Nichterholen von diesen Problemen führt dann zu einem Rückgang des sozioökonomischer Status im Erwachsenenalter.
Konzepte zur Bekämpfung der Armut
Entwicklungspolitik
Unternehmerische Armutsbekämpfung
Das Konzept Base (oder Bottom) of the Pyramid (BoP) beschreibt in der Managementliteratur Geschäftsmodelle und Ansätze zur erfolgreichen Einbindung bisher weitgehend vernachlässigter Bevölkerungsschichten in unternehmerische Wertschöpfungsketten. Als „Base of the Pyramid“ wird dabei zunächst der unterste Teil der Welteinkommenspyramide beschrieben. Diese „Ärmsten der Welt“ sollen im Rahmen der handlungsleitenden Elemente des BoP-Konzeptes in die unternehmerische Wertschöpfung als Kunden, Lieferanten, Distributeure o. Ä. integriert werden. Grundgedanke ist, dass sich auf diese Weise die Verfolgung unternehmerischer Chancen zielgerecht mit dem Bemühen langfristiger Armutsbekämpfung verbinden lässt.
Der Friedensnobelpreisträger und Ökonom Muhammad Yunus schlägt des Weiteren vor, neben rein den Profit (exakter: die Eigenkapitalrendite) maximierenden Unternehmen auch soziale Unternehmen einzuführen, deren Ziel es nicht ist, Profit zu erwirtschaften, sondern die Welt positiv zu verändern. Investoren in diese Firmen bekämen später ihr Geld zurück, jedoch ohne Dividende. Stiftungsaktivitäten von bestehenden Firmen könnten so in diese Richtung gelenkt werden. Nach Yunus wäre das eine Lösung im Kampf gegen die Armut, die nach ihm den Weltfrieden bedroht.
Konzepte zur Unterstützung armer Bevölkerungsgruppen in reichen Ländern
Selbsthilfe der Betroffenen
Die Art von Selbsthilfe gegen materielle Armut, die Betroffenen möglich ist, hängt von den persönlichen Kompetenzen und der Lebenssituation ab.
Bob Holman weist darauf hin, dass so genannte Nachbarschaftsgruppen (neighbourhood groups) eine wichtige Form der Selbsthilfe armer Menschen sind. Beispiele dafür wären von Armen betriebene Jugendclubs oder von Armen betriebene Kreditinstitute, die Armen Geld leihen. Eine Selbsthilfegruppe armer Migranten, die ihren Kindern Deutsch beibringen, ist HIPPY.
Diese Art der Armutsbekämpfung bietet den Vorteil, dass sie von den Armen selbst ausgeht. Sie kann die Teilnehmer stärken, ihnen Selbstwertgefühl verleihen und die Auswirkungen der Armut lindern.
Zu den Möglichkeiten der Selbsthilfe zählt die Suche nach zusätzlichem Einkommen – etwa das Bemühen um einen Arbeitsplatz beziehungsweise eine Beförderung, dem Aufbau einer selbständigen Tätigkeit oder die Aufnahme einer Nebentätigkeit. In Deutschland stieg laut der Bundesagentur für Arbeit die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit zusätzlicher geringfügiger Beschäftigung von 2003 bis 2007 bundesweit um zwei Drittel auf 2,1 Millionen; ein Großteil von ihnen benötige das Geld für den täglichen Lebensunterhalt.
Zu den Möglichkeiten zählt anderseits auch äußerste Sparsamkeit, etwa Verzicht auf alles Entbehrliche, evtl. auf Privatauto und teure technische Geräte im Allgemeinen, das Inkaufnehmen von Zeitaufwand anstelle von Kosten (beispielsweise Do it yourself anstelle von Handwerkerdiensten), eine auf Sparsamkeit ausgerichtete AuswahlvonEinkaufsmöglichkeiten, etwa Discounter, Secondhandläden und Kindersachenflohmärkte, sowie Teilnahme an Nachbarschaftshilfe oder Tauschringen.
Auch die Wahrnehmung von Beratungsangeboten – Einzelfallhilfe wie gegebenenfalls Schuldnerberatung oder andere Formen der Sozialberatung – kann ein Schritt zur Selbsthilfe sein. Langfristige Selbsthilfe geschieht auch durch die Erweiterung persönlicher Kompetenz, insbesondere durch Bildung bzw. Weiterbildung.
Die Hilfe zur Selbsthilfe wird als wichtiges Element sozialer Unterstützung hervorgehoben, so auch im § 1 Absatz 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch:
„Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.“
Politische Strategien
Strategien zur Bekämpfung der Armut hängen entscheidend davon ab, was man als die Ursache der Armut annimmt. Folgende sind die häufigsten Strategien um die Armut zu bekämpfen:
• Armutsbekämpfung durch finanzielle Zuwendungen
Ein in vielen Ländern verwendetes Mittel sind Sozialversicherungen, die in Notsituationen eingreifen.