Es waren Habichte in der Luft. Siegfried Lenz

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Es waren Habichte in der Luft - Siegfried Lenz

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gröhlte er, »lassen wir das. Wir brauchen einen Mann, der etwas von Blumen versteht … Du verstehst etwas, das sehe ich dir an deinem Kopf an … Was willst du haben … an Geld, meine ich?«

      Stenka erinnerte sich, was Roskow ihm geraten hatte, aber er beschloß, diesen Ratschlag nicht zu beherzigen und nur eine ausreichende Summe zu fordern.

      »120«, sagte er leise.

      »Was?« schrie Leo, »120? Dafür bekomme ich drei Männer! Lassen wir das. Nimm deinen komischen Karton und verschwinde. Los, los!«

      Als Stenka an der Tür stand, rief ihn Leo zurück.

      »Ich gebe dir hundert«, sagte er.

      »Gut.«

      »Na also! Du fängst morgen schon bei uns an. Wir stehen früh auf, aber man gewöhnt sich daran. Du wirst zu Erkki hinaufgehen und in seinem Zimmer wohnen. Er ist ein guter, fleißiger Junge. Ich glaube, daß du mit ihm gut auskommen wirst. Nebenan wohnt eine Frau, die euch nichts anzugehen hat.«

      Er zerrieb den Kopf der Waldtulpe zwischen den Händen und warf mit dem Rest nach dem Schatten einer Pfingstrose. Dann rief er so laut, daß über Stenkas Rücken eine Gänsehaut lief:

      »E-r-k-k-i!«

      Die Tür wurde aufgerissen, Erkki stand im Laden. Anscheinend hatte er draußen auf dem Gang gelauscht.

      »Wie heißt du eigentlich?« fragte Leo den Neuen.

      »Stenka.«

      »Gut. Du wirst ihm aus Kisten ein Bett machen, Erkki … Aber nicht jetzt … Er kann heute in deinem Bett schlafen … Du gehst ja fort … Du …«

      Seine Rede wurde unterbrochen. Es tönten kräftige Schläge an der Haustür. Ein geringschätziges Lächeln huschte über Leos Gesicht. Die Schläge wurden immer stärker. Bald mußte das Holz zersplittern.

      »Öffne die Tür.«

      Es klackte, als Erkki den Schlüssel umdrehte. Der Schlüssel war rostbraun und groß, man hätte ihn als Waffe verwenden können. Stenka hielt den Karton in der Hand und blickte auf die Türöffnung. Zugluft schoß herein. Der spitze Feuerschein der Kerze fuhr erschrocken zurück, begann aufgeregt und wild zu flackern und warf kleine, irre Reflexe auf Leos geöltes Haar. Erkki trat gegen die Wand des Ganges zurück. Aus der Dunkelheit tauchte ein Mann in der engen Uniform der Volksmiliz auf und trat zögernd, einen mattglänzenden Revolver in der Hand, in das unruhige Licht der Kerze. Hinter ihm bemerkte Stenka die Silhouetten von zwei anderen Männern, die vor der Türöffnung stehen blieben.

      Leos kleine, gerötete Augen funkelten den Angehörigen der Volksmiliz böse an, der den Revolver in eine knirschende Ledertasche schob, als er den Besitzer des Blumenladens erkannte.

      »Was gibt es?« schrie Leo mit seiner mächtigen Stimme.

      »Was wollt ihr hier? … Ihr hättet mir fast die Tür kaputtgeschlagen! Wer sollte das bezahlen … glaubst du, ihr könntet das mit jedem machen … wie? … Macht, was ihr wollt, – aber nicht in meinem Haus … Seitdem du Korporal bist, wirst du immer frecher.«

      Der Korporal umfaßte mit beiden Händen die blitzende Schnalle seines Hüftgürtels. Er sagte:

      »Ich habe Befehl, sämtliche Häuser in Pekö zu durchsuchen. Ich darf kein Haus auslassen. Wir haben Roskow die Tür eingeschlagen, weil er nicht öffnen wollte. Er stand am Fenster und rief: Es ist schon geschlossen, es gibt nichts mehr zu trinken. Er wollte nicht glauben, daß wir zu einem anderen Zweck zu ihm kamen.«

      »Also«, sagte Leo gereizt, »was gibt es? Wollt ihr mich etwa verhaften?« Er lachte dröhnend.

      Dem Korporal waren die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammengewachsen, er hatte sehr lange Arme und glich in mancher Hinsicht einem Affen. Aus seinen Augen sprach eine gewisse Klugheit und Brutalität.

      »Uns ist einer entwischt«, grinste er und zeigte dabei große gelbe Zähne. »Ein Lehrer, wir hatten ihn schon eingesperrt. Weiß der Teufel, wie er das fertigbrachte. Ich glaube, er hat sich zwischen den Gittern hindurchgezwängt. Er muß schmalbrüstig sein und außerdem Kraft haben. Wenn wir ihn einfangen, hängt er.«

      Erkki, noch immer auf dem halbdunklen Gang stehend, blickte auf Stenka. Sein Gedächtnis funktionierte plötzlich. Als der Korporal das Wort »Lehrer« genannt hatte, war ihm klar geworden, daß es Stenka nur einmal gab und daß er sich richtig erinnert hatte, diesem Mann vor einigen Jahren begegnet zu sein.

      »So«, grunzte Leo den Korporal an und schlug mit seiner riesigen Hand nach einem Käfer, der klirrend zu Boden fiel, »und ihr glaubt, daß der Lehrer noch hier ist … hier in Pekö?«

      »Das ist eigentlich unwahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen. Er wird vielleicht annehmen, daß er hier weniger gesucht wird, als an einem anderen Ort.«

      »War er aus Pekö?«

      »Nein. Sie hatten ihn in Kalaa eingesperrt. Von dort ist er auch entwichen.«

      »Wißt ihr denn, wie er aussieht?«

      »Nein, das heißt, ungefähr wissen wir es schon. Er soll klein sein, ist schmal, hat …«, sein Blick fiel auf Stenka, »da – so wie der da, so stelle ich ihn mir vor, genau so. Etwas klüger mag er allerdings aussehen.«

      Leo trat auf Stenka zu und legte ihm die schwere Hand auf die Schulter.

      »Der hier versteht etwas von Blumen … er arbeitet bei mir … früher hat er in einem Sägewerk die Löhne ausgerechnet.«

      »Na ja«, sagte der Korporal grinsend, »so war es auch nicht gemeint. Aber ich muß das Haus durchsuchen. Ihm hier …«, er deutete mit einer Kopfbewegung auf Stenka, »ist wohl etwas bange geworden?«

      Leo kniff seine zerklüfteten Brauen zusammen. Erkki wußte, daß gleich ein Wutausbruch erfolgen würde.

      »Wer wohnt noch in diesem Haus?«

      »Ich«, schrie Leo plötzlich, »ich. Und wenn ihr Angorabullen nicht sofort verschwindet, dann – werde ich mit dem Bürgermeister sprechen … So weit sind wir noch nicht … so weit nicht …« Er fuchtelte mit seinen fleischigen Händen in der Luft herum, ergriff unvermutet die Kerze und schleuderte sie gegen die Wand.

      »Verschwindet! Ich bin noch ganz bei Sinnen … Ich weiß noch ganz genau, wer und was sich in meinem Hause aufhält.«

      In der Dunkelheit tastete er sich an den Korporal heran, erfaßte diesen an seinem ledernen Hüftriemen und drängte und zog ihn zur Tür. Der Korporal wußte, daß ein großes Lamentieren bei Leo keinen Zweck hatte: Der Bürgermeister war sein Freund, und außerdem fanden die theoretischen Schulungen in des Blumenhändlers neuer Scheune statt. Er ließ sich daher ohne Widerstand hinausschleppen, und als er das metallische Klacken des braunen Schlüssels hinter sich hörte, lächelte er höhnisch und verlegen.

      Einen Augenblick blieb Leo, mit dem Rücken gegen die Haustür gelehnt, stehen. Stenka und Erkki hörten auf seinen gewaltigen Atem.

      »Lassen wir das«, röchelte der Riese etwas erschöpft und zündete eine neue Kerze an, die vor dem grünlichen, mißtrauischen Spiegel stand.

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