Es waren Habichte in der Luft. Siegfried Lenz

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Es waren Habichte in der Luft - Siegfried Lenz

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      »Ich wollte gerade gehen«, antwortete Erkki.

      »Gut. Und du, Stenka … Du kommst mit mir. Ich werde dir zeigen, wo du schlafen wirst … Bring deinen komischen Karton mit.«

      Erkki trat hinaus auf die Straße, einen Beutel mit Werkzeug in der Hand, die beiden anderen Männer stiegen die ächzende Treppe hinauf. Als sie oben standen, rief plötzlich eine Frauenstimme:

      »Wer ist da? Warten Sie einen Augenblick. Ich komme ja schon«, und gleich darauf erschien die Witwe in ihrem ärmellosen Kattunkittel.

      Leo glotzte sie mit aufgesperrtem Mund an und sagte:

      »Na? Das bin ich. Das hattest du wohl nicht erwartet? Gibt es etwas Neues? … Es ist Frühling geworden … hast du das schon gemerkt …? Jetzt wirst du endlich warme Füße kriegen.«

      Die Frau hörte ihm mit vor der Brust verschränkten Armen zu, wandte sich unerwartet um und verschwand in ihrem Zimmer. Ein gutmütig-verschlagenes Grinsen spielte um Leos breite Lippen, dann schob er den Russen mit undurchdringlichem Gesicht in Erkkis Kammer. Stenka hörte, wie er die Treppe hinunterstampfte.

      Das Fenster stand noch offen. Es war warm draußen.

      Im Garten, der einst Matowski gehört hatte, kniete der Mond. Stenka legte sich angekleidet auf das aus Kisten gezimmerte Bett und lauschte. Überall war der Schlaf, nur aus dem Nebenzimmer drang das heisere Weinen der Witwe. Mit den Händen betastete der Mann seinen schmalen Brustkasten. Einige Stellen schmerzten noch. Schließlich überrumpelte ihn lautlos der Schlaf.

      

      Zweites Kapitel Flugversuch

      Erkki ging nicht gleich zum See hinunter, wo der Bürgermeister auf ihn wartete. Der Mond schien hell, Erkki konnte, als er den Marktplatz überquerte, den Posten vor dem Gefängnis deutlich erkennen. Der Posten rauchte, um die Insekten fernzuhalten. Die Gefängnismauer warf schräge Schatten.

      Erkki ging langsam und dachte: ›Ich wußte gleich, daß er nicht Stenka heißt … ich wußte, daß er nie in einem Sägewerk gearbeitet hat … und auch niemals in seinem Leben in Rußland war … in Kalaa war er … an der Schule … ein Lehrer … Sprachen und Pflanzenkunde hat er uns beigebracht … er kam mir doch gleich bekannt vor … es ist ja schon einige Jahre her … aber als er die Ohrläppchen zwischen die Finger nahm … – Der Korporal ist ein Idiot … Ich werde aber nichts erzählen … Gott bewahre … eigentlich geht er mich gar nichts an … schließlich will er ja leben … von mir aus soll er leben … Der Korporal ist ein absoluter Idiot …‹

      Er blieb vor einer behäbigen Hütte stehen und starrte auf ein erleuchtetes Fenster. ›Was sie jetzt wohl tun wird? Vielleicht liest sie oder arbeitet noch? Man sollte sie überraschen, man sollte in ihr Zimmer treten, wenn sie es am wenigsten erwartet. Gut!‹ Er drückte die Klinke vorsichtig hinunter und stand vor ihrer Tür. Das Schlüsselloch war zugestopft, es drang kein Lichtschein auf den dunklen Gang. »Mach doch die Zimmertür auf«, sagte er zu sich selbst, »es kann dir doch nichts dabei passieren«, und er legte seine Hand auf den Drücker. Die Tür öffnete sich geräuschlos. Vor einem eisernen Waschtisch stand ein Mädchen: halb entkleidet, lange glatte Beine, runde Schultern, kurz geschnittenes Haar, über dem rechten Ohr lief eine breite Narbe. Einen Herzschlag lang wunderte sich Erkki, daß sie ihr Haar nicht länger werden ließ, damit es die Narbe bedecke. Sie hatte die Träger des Unterkleides von der Schulter gestreift und ein Tuch um ihre Hüften geschlungen. Mit geschlossenen Augen beugte sie den Kopf über eine Emailleschüssel, tauchte einen Schwamm in das Wasser, drückte ihn aus, ließ ihn sich wieder vollsaugen und netzte dann ihr Gesicht und ihren Hals. Erkki stand wenige Schritte hinter ihr, verwundert lächelnd, reglos. Er glaubte die Seife und die Schultern riechen zu können. Seine Augen starrten auf den Flaum in ihrem Nacken, und wenn sie den Schwamm ausdrückte, konnte er den kleinen Brustansatz sehen.

      Da spürte das Mädchen, daß es beobachtet wurde, und drehte sich blitzschnell um.

      »Erkki!?« rief sie, und aus dem Ruf war eine sanfte Empörung herauszuhören. »Was willst du … jetzt zu dieser Zeit?« Ihre braunen Augen blickten ungläubig staunend auf den Eindringling.

      »Ich will zu den Booten«, sagte Erkki langsam, »der Graue wartet auf mich, ich soll ihm das Werkzeug nachbringen. Bei dir brannte noch Licht – schämst du dich, Manja?«

      »Nein. Warum? Wir kennen uns doch?« Wassertropfen liefen an ihrer Wange herab, sammelten sich am Kinn und tropften auf den Boden.

      »Willst du lange bleiben, Erkki?«

      Der Junge schwieg und sah sie ernst an.

      »Ich bin nämlich sehr müde, weißt du. Ich habe in den letzten Tagen viel tun müssen.«

      »Ich bin überhaupt nicht müde«, sagte Erkki ironisch.

      »Leo erlaubte mir, fünf Tage und Nächte lang zu schlafen. Ich fühle mich wie ein Eichhörnchen bei seinem Erwachen im Frühling: etwas unsicher noch, aber prächtig ausgeruht.«

      Das Mädchen streifte sich einen Mantel über, setzte sich auf die Bettkante, legte die Hände in den Schoß und blickte zu ihm auf.

      »Willst du dich nicht setzen«, fragte sie.

      »Ich möchte dich nicht aufhalten«, sagte er.

      »Du hältst mich nicht auf«, sagte sie.

      »Das sieht man«, sagte er.

      »Spotte doch nicht!«

      »Dazu bin ich nicht hergekommen. Ich wollte sehen, wie es dir geht und was die Arbeit macht. Hast du immer noch soviel Freude daran?«

      »Natürlich«, sagte sie lakonisch und wippte mit den Beinen.

      »Bekomme ich einen Kuß?« fragte er.

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Und warum nicht?«

      »Weil du dich über mich lustig machst. Du weißt genau, wie ich meine Arbeit auffasse.«

      Erkkis Gesichtsausdruck veränderte sich. »Ich weiß«, sagte er, »wie du zu deiner Arbeit stehst. Ich habe es an mir erfahren. Wenn ich dich fragte: sehen wir uns morgen? sagtest du: übermorgen. Wenn ich dich bat, am Sonntag zu mir zu kommen, kamst du am Dienstag.«

      »Na und?«

      »Du findest nichts dabei. Um so schlimmer für dich. Soll ich dir sagen, was ich davon halte?«

      »Ich bitte darum, obwohl ich weiß, was du zu sagen hast.«

      »Jetzt spottest du über mich, Manja. Aber dieser Spott ist nicht angebracht.«

      »Warum nicht?«

      »Weil du keinen Grund dazu hast. Du machst dich lächerlich durch deinen Eifer für die neue Regierung. Sie haben dir etwas in den Kopf gesetzt, und du läßt dich ausnutzen. Du vergißt, daß es neben der Arbeit auch noch etwas anderes gibt.«

      »Was zum Beispiel?« fragte sie herausfordernd.

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