"ERKENNE DICH SELBST" - HEGELS THEORIE DER PERSÖNLICHKEIT. Peter Schöber
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Die Entwicklung des Geistes
Die beiden ersten Teile der Lehre vom Geist, also die Lehre vom subjektiven und vom objektiven Geist, beschäftigen sich, wie Hegel nach diesem Zusatz fortfährt, mit dem endlichen Geist.144 Der Geist sei die unendliche Idee, und die Endlichkeit habe hier die Bedeutung, dass die Realität dem Begriff nicht angemessen ist, und zwar mit der Bestimmung, dass die Realität das Scheinen145 innerhalb des Begriffs ist. Die Realität ist also, Hegel zufolge, ihrem Begriff nicht angemessen. Gleichwohl ist der Begriff (als Wesen) in der Realität als Schein anwesend, und sie wäre nicht ohne denselben, ebenso wenig wie der Begriff sich ohne die Formen seiner Realisierung entfalten könnte. So ist z. B. ein (historisch gewordenes) privatrechtliches Gesetzbuch als eine Realität dem Begriff der individuellen Freiheit nicht vollkommen angemessen, trotzdem wäre die Entwicklung des Begriffs der individuellen Freiheit ohne das bestehende Gesetzbuch als seine (vorläufige) Realität nicht möglich. Oder: Der Körper des Einzelnen zum Beispiel ist die Realität der Seele (des Begriffs). Ohne seinen Körper hätte seine Seele keine Realität, kein Dasein. Aber ebenso wenig hätte sein Körper Realität, ohne dass sich seine Seele (sein Wesen, sein Begriff) in seinem Körper als ein Schein zeigt und diesem, in Hegels Worten, “die Freude des Daseins gönnt“.146
Die Realität sei ein Schein, den sich der Geist an sich als eine Schranke setzen würde, um durch das Aufheben derselben für sich die Freiheit als sein Wesen zu haben und zu wissen, d. h. schlechthin manifestiert zu sein. Die verschiedenen Stufen dieser Tätigkeit, auf denen, jeweils als Schein, der endliche Geist verweilen, die er aber, seiner Bestimmung gemäß, auch durchlaufen müsse, seien Stufen seiner Befreiung. Die absolute Wahrheit in diesen Stufen sei das Vorfinden einer Welt als einer vorausgesetzten, das Erzeugen derselben als eines von ihm (dem Geist, d. Verf.) Gesetzten und die Befreiung von ihr und in ihr seien ein und dasselbe.147 Es sei eine Wahrheit, zu deren unendlicher Form der Schein als zum Wissen derselben sich reinigt.
Die Bestimmung der Endlichkeit werde vor allem vom Verstand148, bezogen auf den Geist und die Vernunft, festgesetzt. Es gelte dabei nicht nur für eine Sache des Verstandes, sondern auch für eine moralische und religiöse Angelegenheit, den Standpunkt der Endlichkeit als einem letzten festzuhalten. Es würde als eine Vermessenheit des Denkens angesehen, ja für eine Verrücktheit desselben, über ihn hinausgehen zu wollen. Es sei aber die schlechteste aller Tugenden, bei einer solchen Bescheidenheit des Denkens, die das Endliche zu einem schlechthin Festen, zu einem Absoluten macht, stehen zu bleiben und die oberflächlichste aller Erkenntnisse, bei dem zu verharren, was seinen Grund nicht in sich selbst hat.149 Die Bestimmung der Endlichkeit, die Hegel in seiner “Logik“150 behandelt, bestehe darin, dass das Endliche nicht ist, nicht das Wahre, sondern nur ein Prozess des Übergangs und des Über-sich-hinausgehens ist. Dieses Endliche der bisherigen Sphären sei die Dialektik, sein Vergehen durch ein Anderes und in einem Anderen zu haben; der Geist aber, der Begriff und das an sich Ewige, sei es selbst, dieses Vernichten des Nichtigen, das Vereiteln des Eitlen in sich selbst zu vollbringen. Die erwähnte Bescheidenheit bestehe darin, an diesem Eitlen, dem Endlichen, gegenüber dem Wahren festzuhalten und sei deshalb selbst ein Eitles. Diese Eitelkeit bedeute in der Entwicklung des Geistes, dass er sich auf das Äußerste in seine Subjektivität vertieft, er dem innersten Widerspruch anheimfällt und sich damit ein Wendepunkt, als das Böse, ergibt.
Der subjektive und der objektive Geist seien, wie Hegel hierzu in seinem Zusatz verdeutlicht, noch endlich.151 Wissen müsse man aber, welchen Sinn die Endlichkeit des Geistes hat. Gewöhnlich stelle man sich dieselbe als eine absolute Schranke, als eine feste Qualität vor, so dass der Geist aufhören würde, Geist zu sein, würde man diese Schranke wegnehmen. Man stelle sich die Endlichkeit des Geistes wie das Wesen der natürlichen Dinge vor, die an eine bestimmte Qualität gebunden seien. So könne z. B. das Gold nicht von seinem spezifischen Gewicht getrennt werden. In Wahrheit aber dürfe man die Endlichkeit des Geistes nicht als eine feste Bestimmtheit betrachten, sondern müsse sie als ein bloßes Moment erkennen. Denn der Geist sei, wie schon oben gesagt, wesentlich die Idee in der Form der Idealität (der Innerlichkeit, d. Verf.), d. h. in einer Form, in der das Endliche negiert ist. Das Endliche habe demnach im Geist nur die Bedeutung eines Aufgehobenen aber nicht die eines Seienden. Die eigentliche Qualität des Geistes sei daher die wahrhafte Unendlichkeit, d. h. diejenige Unendlichkeit, die dem Endlichen nicht einseitig gegenübersteht, sondern in sich selber das Endliche als ein Moment enthält. Es sei deshalb ein leerer Ausdruck, würde man sagen, es gebe endliche Geister. Der Geist als Geist sei nicht endlich, er habe die Endlichkeit zwar in sich, aber nur als eine aufzuhebende und aufgehobene Endlichkeit. Die echte Bestimmung der Endlichkeit, die hier nicht genauer erörtert werden könne, müsse in dem Sinne verstanden werden, dass das Endliche eine Realität ist, die ihrem Begriff nicht gemäß ist. So sei die Sonne ein Endliches, weil sie nicht ohne Anderes gedacht werden könne, weil zur Realität ihres Begriffs nicht nur sie selber, sondern das ganze Sonnensystem gehöre. Mehr noch, das ganze Sonnensystem sei ein Endliches, weil jeder Himmelskörper in ihm gegenüber dem anderen den Schein habe, selbständig zu sein. Folglich entspreche diese gesamte Realität ihrem Begriff noch nicht, stelle noch nicht dieselbe Idealität dar, die das Wesen des Begriffs ist.152 Erst die Realität des Geistes sei selber Idealität, erst im Geist finde die absolute Einheit des Begriffs und der Realität und somit die wahre Unendlichkeit statt.153 Bereits wenn wir von einer Schranke wissen, hätten wir den Beweis, dass wir über dieselbe hinaus sind, also für unsere Unbeschränktheit. Die natürlichen Dinge seien eben deshalb endlich, weil ihre Schranke nicht für sie selber, sondern nur für uns vorhanden sei, die wir die Dinge miteinander vergleichen. Zu einem Endlichen würden wir uns dadurch machen, dass wir ein Anderes (als Beispiel könnte man unsere “Natur“ oder unsere soziale Herkunft anführen, d. Verf.) in unser Bewusstsein aufnehmen. Aber, indem wir von diesem Anderen wissen, seien wir schon über diese Schranke hinausgegangen. Nur der Unwissende bleibe innerhalb seiner Schranke; weiß er doch nichts von ihr als einer Schranke seines Wissens. Wer dagegen von der Schranke weiß, der wisse von ihr nicht als eine Schranke seines Wissens, sondern als von einem Gewussten, als zu einem, was zu seinem Wissen gehört. Nur das, wovon wir nichts wissen, bilde eine Schranke des Wissens; die Schranke, von der wir wissen, sei dagegen keine Schranke des Wissens. Von unserer Schranke zu wissen, bedeute daher, von unserer Unbeschränktheit zu wissen. Werde aber der Geist für unbeschränkt, für wahrhaft unendlich erklärt, so soll damit nicht gesagt werden, dass die Schranke ganz und gar nicht im Geist vorkommt. Vielmehr müsse man erkennen, dass der Geist sich bestimmen, sich somit endlich machen, sich beschränken muss.154
Aber der Verstand habe eben darin Unrecht, diese Endlichkeit als eine starre zu betrachten, den Unterschied der Schranke und der Unendlichkeit als einen absolut festen zu betrachten und demgemäß zu behaupten, der Geist sei entweder beschränkt oder unbeschränkt. Die wahrhaft begriffene Endlichkeit sei in der Unendlichkeit, die Schranke im Unbeschränkten enthalten. Der Geist sei daher sowohl unendlich als auch endlich und weder nur das eine noch nur das andere. Er bleibe in seiner Endlichkeit unendlich; denn er hebe die Endlichkeit in sich auf. Nichts sei in ihm ein Festes, ein Seiendes, alles sei vielmehr nur ein Ideelles, ein nur Erscheinendes. So müsse Gott, weil er Geist sei, sich bestimmen, Endlichkeit in sich setzen, sonst wäre er nur eine tote, leere Abstraktion. Da aber die Realität, die er sich durch sein Selbstbestimmen gibt (indem er Mensch wird, d. Verf.), eine ihm vollkommen gemäße Realität sei, wird Gott durch diese nicht zu einem Endlichen. Die Schranke ist also nicht in Gott und im Geist, sondern sie werde vom Geist nur gesetzt, um aufgehoben zu werden. Nur momentan könne es scheinen, als ob der Geist in einer Endlichkeit verharrt. Durch seine