Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

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zu sein“, seufzt mein Kindermädchen. „Ich hatte das Gefühl, er könnte mir bis auf den Grund meiner Seele blicken.“

      Die einzige Person, die in mir lesen kann, wie in einem offenen Buch, müsste vor wenigen Minuten in London gelandet sein. Ein bitterböses Geschöpf stiehlt sich brennend in mein Herz.

      „Er ist verheiratet.“ Der Blick der Angestellten schießt nach oben, ehe sie ihn viel zu schnell niederschlägt. „Das hat er nicht erwähnt.“ „Wäre er ein Gentleman”, erwidere ich kühl, „hätte er über seinen Beziehungsstatus nicht geschwiegen.“ Das Mädchen verfällt in Schweigen. Gut so.

      „Bist du fertig?“, frage ich. Das Mädchen schlingt den Haargummi um das Ende des Zopfes und erhebt sich hastig. „Ja, Miss.“ Ich muss sie nicht entlassen, sie entfernt sich selbstständig, noch immer mit brennenden Wangen. Schimmern Tränen in ihren Augen? Wegen dieses Möchtegern-Aktionärs? Schnaubend lege ich mir den Morgenmantel um die Schultern und setze mich auf die Fensterbank meines Schlafzimmers.

      Jede Wolke ist verschwunden, Sterne funkeln silbrig neben dem atemberaubenden Mond. Ich bin versucht, mich in seinem Anblick zu verlieren. Wäre Achim hier, er hätte den Arm um meine Schultern gelegt und würde mich küssen. So nah waren wir der Möglichkeit, dass wir eine gesamte, luxuriöse Woche gemeinsam verbringen dürfen. Jetzt sitze ich allein und warte darauf, dass der Tag ein Ende nimmt.

      Ich müsste mich über den Neuanlagen der letzten Tage informieren. Der Ordner liegt auf meinem Schminktisch, direkt neben der Haarbürste und einer kleinen Auswahl meines Nagellacks. Es wären nur wenige Schritte dorthin. Stattdessen ziehe ich den seidigen Stoff des Morgenmantels enger um meine Schultern und lehne den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe.

      Nie zu vor habe ich Achim so bitterlich vermisst. Ich möchte zu ihm, raus hier. Erneut überkommt mich das überwältigende Bedürfnis, frische Luft zu schnappen. Dieses Mal kämpfe ich es nieder und lasse die Finger über das Glas wandern. Es fühlt sich an, als könnte ich die Sterne berühren und mit ihnen wachsen. Betrachtet Achim sie auch? Sacht schüttle ich über mich selbst den Kopf. Viel eher wird er mit wichtigen Herren um einen Tisch versammelt sitzen, an dem Champagner nippen und Papiere wälzen. Ich sollte an seiner Seite sein. Frustriert schließe ich die Augen und atme tief durch, greife nach der warmen Decke neben mir und fasse in pure Eiseskälte.

      Erschrocken fahre ich zusammen. Ist das Schnee? Schnee. Er rieselt vom Himmel, während ich auf offener Straße in meinem schimmernden Pyjama sitze, den dünnen Seidenmantel eng um meine Schultern geschlungen. In der Ferne läutet eine Turmuhr die Nachtruhe ein. Die Eiskristalle beißen in meine nackten Fußsohlen. Keuchend stehe ich auf. Weiße Wölkchen puffen über mir in die Luft. Das kann unmöglich real sein. Bin ich eingeschlafen? Wann hat Gioseppe mir heute Halluzinogene in das Glas getan? Die ganze Zeit über war der Tisch voll besetzt und Gioseppe an dem anderen Ende davon.

      In der Ferne ertönt ein Ruf. Alkoholisiert? Zornig? Beinahe fühle ich, wie die gestrige Nacht sich wiederholt. Stolpernd komme ich auf die Beine und wickle mich tiefer in meinen Seidenmantel. Dunkel hängen die Wolken über mir, nur beschienen von dem beißenden Schnee. Eine grölende Meute, die ich noch nicht sehen kann, treibt mich vorwärts, weg von der gepflasterten, zu Teilen vereisten Straße.

      Brenn, brenn, brenn. Eyne Hex! Diese furchtbaren, erbärmlichen Schreie und die Brandmale an meinem eigenen Körper. Ist es möglich sich diesen Moment einzubilden? Nie zuvor habe ich gefroren. Wenn ich zu frösteln begann, wurde mir ein Mantel gereicht.

      Selbst die gestrige Kälte ist nichts gegen diese Temperaturen. Sie fressen mich auf und treiben mir die Tränen in die Augen. Es ist dermaßen kalt, dass meine Haut sich unter dem rieselnden Schnee aufzulösen scheint. Nie zuvor kam er mir so weiß vor. Nicht eine Nuance Grau oder Braun versteckt sich darin. Trüge ich mehr als nur meinen Schlafanzug, es wäre ein Winterwunderland.

      Meine Zehen sind binnen von Sekunden taub und bläulich. Diese Veränderung meines Körpers macht mir Angst.

      Fühlt sich so das Erfrieren an? Ich will es nicht erfahren.

      Es erfordert mehr Mut, als sich den pikanten Fragen hunderter Journalisten zu stellen, an die zerbrechlich wirkende Tür des erstbesten Hauses neben mir zu klopfen. Das Dach hängt durch und scheint jeden Moment unter den Eismassen ächzend nachgeben zu wollen. Die Fassade wurde wohl vor Jahrzehnten ansatzweise befestigt. Nie zuvor habe ich ein ähnlich erbärmliches, ähnlich winziges Gebäude gesehen. Nicht einmal Stufen führen hin zu der Tür!

      Es ist die Angst um mein Leben, die mich voran ins Ungewisse treibt und mich gegen knarzendes Holz klopfen lassen.

      Das harsche Geräusch hallt durch die stiebende Kälte und das zweifelsohne bescheidene Zimmer hinter der verschlossenen Tür. Egal was sich dort verbirgt, ich würde alles hinnehmen. Nichts kann schmerzhafter sein als dieses eisige Frösteln, das mich bei lebendigem Körper gefrieren zu lassen scheint.

      Das beißende Brennen treibt mir die Tränen in die Augen. Verzweifelt nach Wärme suchend, schlinge ich die Arme um meinen Körper. Der Morgenmantel rutscht mir von den Schultern. Ich bin zu steif, um mich danach zu bücken.

      Es muss doch jemand dort wohnen!

      Ich würde ihm meine Ohrringe geben, die Kette, von mir aus auch den Ring. Er soll mich nur einlassen. Es ist so kalt.

      Nichts anderes hat mehr Platz in meinem Kopf. Nur diese Eiseskälte und das Gefühl bei lebendigem Leibe zu gefrieren. Die Fingerspitzen sind blau und ich wage es nicht, auf meine Füße zu sehen.

      Schnee stiebt hinab und hält sich in meinem Zopf.

      Ich klopfe noch einmal, noch einmal, bis ich das Gefühl habe, die Tür einzuschlagen. Mein Verhalten hat nichts mehr mit Benehmen zu tun und die Umstände nichts mit Luxus oder Wirklichkeit.

      Ich sollte mich zusammenkauern und darauf warten, dass ich aufwache, auf meiner Fensterbank, die Wange an dem Glas ruhend. Ich will mich in den dumpfen Schlaf spülen lassen. Eine schreiende Angst treibt mich dazu, fester gegen das Holz zu schlagen. Was, wenn man mich nicht unter Drogen gesetzt hat? Was, wenn das hier, wider jeden Verstand, wirklich passiert? Wenn ich gerade jetzt erfriere? Hier? In einer fremden Zeit.

      „Machen Sie die Tür auf!“, rufe ich.

      Meine Stimme hallt durch die vereisten Straßen. Das Grölen hat sich gemeinsam mit dem Schlagen der Turmuhr ins Nichts verflüchtigt.

      Die ganze Welt scheint stehengeblieben.

      Kraftlos lehne ich mich gegen das kalte Holz. Mein Atem dampft stärker, wenn er auf die Eisblumen trifft, die sich die Fassade hinaufranken. Das kann alles nicht wahr sein. Ich stehe hier nicht. Ich sitze in meinem Zimmer.

      „Bitte! Machen Sie die Tür auf, ich flehe Sie an!“

      Schritte? Kommen sie von innen? Einbildung, Wirklichkeit? Jemand reißt die Tür auf und ich taumle ins Innere. Einen Temperaturunterschied spüre ich nicht. Der leichte Gestank von Schwefel und Säure liegt in der Luft. Der scharfe Geruch von Rauch. „Chrona? Himmel, was tust du hier?“

      Bin ich Zuhause? Desorientiert hebe ich den Blick. Der Bewohner ist mir fremd. Nie zuvor bin ich ihm begegnet. Seine braunen Augen sind warm. Warm wie das Holz einer Parkbank an Sommertagen.

      „Warte, ich hole dir eine Decke. Oder zwei. Bleib hier stehen.“

      Ich kann mich nicht bewegen. Verzweifelte Tränen brennen mir in den Augen. Mir ist so kalt. So kalt, dass ich das Gefühl habe, zu verbrennen. „Willst du einen Tee

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