Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas страница 16

Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

Скачать книгу

barocken Deutschland gelandet wäre.

      Beides wäre unmöglich genug, um mir diese Male zuzufügen. Wunden, die die Mädchen mühsam und feinsäuberlich überdeckt haben. Nur einen Unterschied sehe ich zwischen den beiden grauenvollen Möglichkeiten der letzten Nacht: letzteres ist schlichtweg unmöglich. Eine Reise durch Zeit und Raum darf nicht Teil der Wirklichkeit sein. Ich lebe in einer aufgeklärten, hochwissenschaftlichen Welt und selbst wenn zahlreiche Meinungen rund um Mögliches und Unmögliches vertreten werden, sind sich Wissenschaftler doch einig bezüglich dieses Aspekts, dass Zeitreisen in einen Fantasyroman gehört. Nicht in das alltägliche Leben eines Mädchens, das im Fokus der Öffentlichkeit lebt.

      6

      Man erwartet uns an gedeckten Tafeln. Die weißen Tischtücher flattern in einem sanften Luftzug, als wir den Raum betreten. Uns werden die Mäntel abgenommen und an die Garderobe gehangen. Jeder scheint mich anzustarren. Als wüssten sie alle, unter welchen Umständen ich die Nacht verbracht habe. Was ich durchstehen musste. Die italienische Familie Riva mit ihrem äußerst verdächtigen Sohn Gioseppe sitzt am Tisch und betreibt leichte Konversation mit meinen Eltern. Der spanische Monarch, die schwarzen Haare glatt gegelt, schweigt angelegentlich und nippt an seinem Sektglas, während die ungarischen Oligarchen uns mit einem zu herzlichen Lächeln empfangen.

      Achim steuert geradewegs auf unsere Gäste zu und ich folge ihm stumm, momentan nicht fähig eine Entscheidung zu treffen. Ich stehe unsicher auf den Beinen, obwohl der Absatz meiner Schuhe nicht höher als gewohnt ist. Die Knopfleiste des Kleides reibt an der Brandwunde über meiner Wirbelsäule und die Haut an meinem Unterschenkel dehnt sich schmerzhaft bei jedem Schritt. „Úr Gabarscek.“ Achim verneigt sich nicht vor dem dicklichen Ungarn. Achim gibt ihm die Chance, zuerst die Hand zu reichen. Unser Gast nimmt die Ehre an. „Mr. Jameson, es ist mir eine Freude“, sagt Mister Gabarscek mit schwerem Akzent. Der ungarische Oligarch sollte sich erheben, stattdessen nippt er an seinem Glas und lehnt sich entspannt zurück. Achims Nachname klingt seltsam aus seinem Mund, zu gerollt und kantig zugleich. Mein Verlobter zuckt bei Mr. Gabarsceks Verfehlung nicht mit der Wimper.

      Ich lasse mich von Achim zu den Plätzen gegenüber von meinen Eltern führen. Mutter schenkt mir ein warmes Lächeln, Vater ist vertieft in das Gespräch mit einem mir unbekannten Mann, der die Ärmel seines Hemdes nach oben gerollt hat, anstatt sie ordnungsgemäß mit Manschettenknöpfen zu schließen. Gioseppe Riva grinst mich an, als hätte ich ihm nie verdeutlicht, dass seine Anwesenheit unerwünscht ist. Ich widme Gioseppe nicht einmal ein Nicken. Sollte er derjenige sein, der für die gestrige Nacht verantwortlich war, werde ich nie wieder ein Wort mit ihm wechseln müssen. Vorwurfsvoll drehe ich mich um. Ein Kellner zieht meinen Stuhl hervor und ich lasse mich darauf sinken. Die Knöpfe seiner Jacke glänzen, das Stofftuch über seinem Arm ist blütenweiß. „Wünscht die Dame Sekt oder Saft?“, fragt er mich. Kein Alkohol und Säfte sind schlecht für meine Figur. „Ein Wasser, bitte.“ Der junge Mann, dessen Uniform ein wenig an der zu schmalen Gestalt schlackert, verneigt sich vor mir und eilt davon, um meinem Wunsch nachzukommen. Derweil wird Achim sein Sekt eingeschenkt. Anstatt einen Schluck zu nehmen und zu probieren, lässt er ihn unberührt und wendet sich dem ungarischen Oligarchen zu.

      „Es war eine angenehme Überraschung zu erfahren, dass Sie Zeit fanden, zu diesem Essen zu erscheinen, Úr Gabarscek“, sagt Achim glatt und schenkt dem reichen Ungarn das einstudierte Lächeln, das Achims Augen charmant zur Geltung bringt. Der Ungar prostet ihm zu. „Hier geht es um Geschäfte und Essen. Ich liebe beides.“ Das sieht man. Konzentriert halte ich mein Gesicht unbewegt. Noch einen Zentimeter mehr und das Jackett lässt sich nicht mehr schließen. Die Knöpfe spannen bereits besorgniserregend. Sein Kollege lacht gekünstelt. „Es ist uns eine große Freude, die junge Hölgy Clark kennenzulernen.“ Ich straffe leicht die Schultern. Hölgy bedeutet Dame. Ich sollte mich wie eine zu benehmen wissen und nicht weiter den Illusionen einer vergangenen Nacht hinterherhinken.

      „Èn is.“ Die Ehre ist ganz meinerseits. Mehr gibt mein winziger ungarischer Wortschatz nicht her. „Von Ihnen darf man üblicherweise nur in den Nachrichten hören, Ùr Garbarscek.“ Der andere Bruder, der dickliche, lacht heiser und so herzlich, dass der Sekt in seinem Glas schwappt. „Meistens Schlechtes“, keucht er. Kleine Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn. Er sollte sie sich abtupfen lassen. Kokett lächelnd schüttle ich den Kopf. „Sie haben einen ausgezeichneten Ruf in den wichtigen Kreisen.“ Vor allem als jemand, der schnell und dubios Geld zusammenscheffelt, das ihm jeder kluge Mensch wieder abluchst. Meine Eltern treiben nur aus einem einzigen Grund Geschäfte mit den Brüdern: Weil sie eine zuverlässige Geldquelle sind.

      „Sie müssen mir wirklich nicht schmeicheln, Chrona“, keucht der dickliche Ungar. Ich würde mich an den Kräftigeren der Brüder halten. Er scheint weder Verstand, noch eine hohe Toleranzschwelle gegenüber Alkohol zu besitzen. „Bei ihrer Kompetenz handelt es sich um einen Fakt“, korrigiere ich Mister Garbarscek charmant und lehne mich zurück. Der Kellner schenkt mir das Wasser ein und ich führe das Glas zum Mund, lächle den Oligarchen darüber hinweg augenzwinkernd an. „Wäre es anders, säßen Sie kaum mit uns beim Brunch”, sage ich. „Haben Sie von den Austern probiert? Hier werden die vorzüglichsten serviert, die ich jemals zu mir nehmen durfte.“ Der Mann lacht grölend auf, so laut, dass ich leicht zusammenzucke. Achim legt mir unter dem Tisch eine Hand auf das Bein und drückt beruhigend meinen Oberschenkel. Ich sehe auf zu ihm. Achim ist so aufmerksam, so offen und mir zugeneigt. Weil er spürt, dass ich ihn so dringend brauche wie die Luft zum Atmen?

      Unwillkürlich verschränke ich meine Finger mit Achims. Nur noch wenige Wochen, dann können wir über dem Tischtuch Händchen halten. Ich träume mich dem Tag entgegen.

      „Sie sind die gefährlichste Hölgy, die ich je gesehen habe“, gluckst der dickliche Oligarch. Sein dünnerer Bruder lächelt schmal und zupft sich an dem Schnurrbart. „Sie ist und bleibt der Clark-Spross“, sagt er. Eine sanfte Warnung schwingt in seiner Stimme mit. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem winzigen Lächeln. Unstrittig.

      „Und wunderschön dazu.“ Der spanische Monarch betrachtet mich intensiv über sein Glas hinweg. „Sagen Sie, Chrona, ist das Gerücht wahr, dass Sie bereits vergeben sind, oder würde es sich für mich lohnen, Ihnen meinen Sohn vorzustellen.“ Seinen Sohn? Ich habe das vage Bild eines brünetten, jungen Mannes vor mir, der stolz die Orden auf der Brust trägt. Ein durchaus attraktiver Mann, der die Macht hortet und vermehrt. Würde ich Achim nicht seit vier Jahren kennen, sein Zusammenzucken würde ich nicht bemerken. Doch so ist der Schimmer von Unsicherheit derart offensichtlich, dass seine kleine Regung beinahe einer gänzlichen Entgleisung gleicht.

      Langsam legt Achim unsere verschränkten Hände auf den Tisch, so, dass man meinen glänzenden Verlobungsring erkennen kann. „Die Hochzeit ist auf den einundzwanzigsten Juni datiert“, sagt Achim glatt.

      Die Mundwinkel des Spaniers zucken leicht. „Dem entnehme ich, dass Sie der künftige Bräutigam sind.“ „So ist es.“ Achim drückt meine Hand noch einmal fest, ehe er sie loslässt und sich dem Kellner hinter sich zuwendet.

      „Er scheint erstaunlich eifersüchtig zu sein.“ Der Monarch schmunzelt. Mit ruhigen Händen zerlegt er seinen Fisch. „Sie scheinen eine Frau zu sein, für sie es sich zu kämpfen lohnt.“ Ich lächle schwach. „Haben Sie Gegenteiliges erwartet?“ Der König schweigt, bleibt mir eine Antwort schuldig und lädt sich stattdessen Kaviar auf den Teller. Innerlich zucke ich die Achseln und wende mich wieder den ungarischen Oligarchen zu. „Da haben Sie den Herrn aber gekränkt“, stellt der Schlankere von beiden fest. „Mit Sicherheit hat er Sie bereits neben seinem Sohn thronen sehen. Sein neues, glänzendes Kronjuwel.“ Ich verziehe leicht den Mund. Das ist nichts, was ich anstrebe. Lediglich schmückendes Beiwerk? Das vermag jedes Kind. Allerdings eine Frau zu sein, die hinter den Kulissen die Geschäfte lenkt, dafür braucht es Raffinesse, eine gute Erziehung und die gnadenlose Rücksichtslosigkeit, die man mir in die Wiege legte. „Dort, wo ich jetzt stehe, bin ich doch am glücklichsten“, antworte ich dem schlanken Oligarchen

Скачать книгу