Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

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immer diese glühende Wärme durch meinen Körper schießt, gibt es nur eine Antwort darauf: Fassung. Ich straffe die Schultern und recke das Kinn in die Höhe. Wo ist Achim? Ich brauche ihn hier, neben mir, an meiner Seite. Oder einen Butler oder meinen Chauffeur, irgendwen, der sich zwischen mich und diese Meute stellen könnte. Betteln die Frauen? Der Mann vor mir und ich taxieren uns, beide angespannt schweigend, er noch immer mit dem Finger auf mich deutend.

      „Eyne Hex!“ Sein Ruf kommt plötzlich und hallt überlaut durch die Nacht. Ich zucke zusammen, während er sich aus seiner Starre löst und auf mich zukommt. Reflexartig mache ich einen Schritt zurück und bleibe mit dem centgroßen Absatz zwischen zwei Steinen hängen.

      Ich unterdrücke den Impuls, kopflos davonzulaufen. Ich habe keinen Grund, ihn zu fürchten. Er ist nichts weiter als ungehobeltes Pack. Er wird es nicht wagen, mich anzurühren. Und wenn doch, kostete es ihn seine Zukunft.

      Das Schreien, das Kreischen der Frauen will nicht verstummen. Schnelle Schritte nähern sich uns, während ich die Arme vor der Brust verschränke. „Halten Sie Abstand oder ich schalte meinen Anwalt ein.“ Der Mensch, der Mann, tritt in den Lichtkegel, der durch die Fenster auf die brüchige Straße fällt. Dreckige Schlieren ziehen sich über sein vernarbtes Gesicht. Seine Augen zucken unruhig. Nicht eine Sekunde fokussiert er sich. Die Turmuhr schlägt noch immer ihren Takt. Diese skurrile Situation senkt sich wie ein erstickendes Tuch über mich. Mein Kopf ist wie leergefegt. Achim? Mutter? Mein Sicherheitspersonal? „Eyne Hex“, wiederholt der Prolet und schaut an mir vorbei. Mein Kopf zuckt herum. Zwei weitere Männer. Ich will entsetzt aufschreien. Wo befinden sich die Sicherheitsleute, wenn man ein einziges Mal ihre Anwesenheit benötigt?

      Einer der zwei Schatten hinter mir kichert dunkel. Die Schreie der Frauen werden lauter, ihr Flehen, das ich größtenteils nicht verstehe. Sie sprechen keine Sprache, die mir geläufig ist. Fast könnte man meinen, es wäre Deutsch, aber ihre Aussprache klingt derart verzerrt und verfälscht, dass es ebenso gut jede andere Sprache oder Mundart sein könnte. „Brenn soll de Hex“, zischt er. „Teufelsbrut.“ Er macht Anstalten mich mit seinen dreckigen, schwieligen Fingern zu berühren. Die Nägel sind rissig und ihm fehlt die Hälfte seiner Zähne. Er ist das Abstoßendste, was mir jemals begegnet ist. Abschaum, ohne Frage. Abschaum, der sich vor mir aufbaut und mich in die Enge treibt.

      Angst erwacht lediglich, wenn ich Schwäche zulasse. Rücksichtslos schlage ich seine Hand weg. „Sollten Sie mich anrühren, werde ich Sie wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung verklagen.“ Der ungehobelte Angreifer scheint wenig beeindruckt. Versteht er mich überhaupt? Der erste Mann versucht sich ebenfalls an diesem Abklatsch des Deutschen, das mein Hauslehrer mir über Jahre versuchte nahezubringen. Was suchen Menschen wie diese beiden in New York City? Ein weiterer Schritt auf mich zu. Er umfasst meine Oberarme mit seinen schmierigen, stinkenden Fingern. Viel zu fest. Jedes Härchen auf meinem Körper stellt sich auf. „Lassen Sie mich los!“, befehle ich auf Deutsch. Nichts scheint zu dem Mann durchzudringen. Als wäre er in Watte gepackt und ich nicht mehr als ein Laiendarsteller, der in eine grausige Vorstellung gezogen wird. „Kleyne Hex“, murmelt er und berührt mein Gesicht. Ich schlage ihm auf die Finger. „Wagen Sie es nicht, mich anzurühren.” Der Puls rast. „Ich habe den besten Anwalt, den Sie sich ausmalen können, und er wird mit Sicherheit nicht zulassen, dass die Richter Gnade vor Recht ergehen lassen.“

      Der Mann, der mich zuerst entdeckte, gesellt sich zu dem Zweiten und berührt mit seinen kurzen Fingern den teuren Stoff meines Mantels. Wie die Geier. Wütend reiße ich mich von ihm los. Kämpfe gegen die Angst an, die mich zu überwältigen droht. Ich darf nicht einknicken. Die Konsequenzen wären markerschütternd. Diese Männer kennen weder Anstand noch Respekt. Lasse ich zu, dass Furcht mich überrollt, werden sie weit Schlimmeres tun, als mein Gesicht zu berühren. Warum nur bin ich nicht neben Achim in meinem Bett geblieben? Ich könnte gerade jetzt das Gesicht an seiner Halsbeuge vergraben. Stattdessen… Ja, was? Öde Nacht. Fremde Sprachen. Beißende Gerüche. Wüsste ich es nicht besser, ich würde behaupten, ich bin durch Zeit und Raum gereist. Ich zwinge mich, davon abzusehen, jeglichem Übernatürlichen Glauben zu schenken. Die daraus resultierende Wahrheit ist weit erschütternder als der dümmliche Gedanke, mich von jetzt auf gleich an einem anderen Ort zu befinden: Bei meinem großen Fest ist es jemandem gelungen, Rauschmittel unter den Champagner zu mischen. Mir bleibt nur zu hoffen, dass möglichst wenige der Anwesenden meine wirren Beschwerden durchleben müssen. Unter anderen Umständen wird es unmöglich den befürchteten Skandal zu umgehen. Die reißerischen Schlagzeilen und unangenehmen Interviews. Unsanft schlingt der Erste die Arme um meine Hüfte und hebt mich hoch. Ein erschrockener Schrei entfährt mir, ehe ich nach ihm schlage. Er wagt es mich zu heben! Nicht einmal Achim ist das erlaubt. „Lassen Sie mich auf der Stelle runter. Ich verlange, Einblick in Ihre Personalien zu erhalten!“

      Der Abschaum lacht dunkel, sagt kein Wort. Langsam kann ich die Angst, die sich durch meinen Körper windet, nicht mehr ignorieren. Mit Eisfingern greift sie in mein Herz und erschwert mir das Atmen. Sie schleifen mich in Richtung der schreienden Frauen. Was tun die Männer ihnen an? Ich bete dafür, dass ich es nie erfahren muss. Ich hoffe auf ein Wunder. Den vorfahrenden Jeep meiner Security. Achim, der hinter mir die Straße entlangeilt. Von mir aus auch auf eine Bande, die ihren Mut beweisen will. Nichts. Mir bleibt nur eine jämmerliche Hoffnung, dass die Männer von mir ablassen und sich all das hier als geschmackloser Scherz entpuppt.

      Durch die zähen Lichtverhältnisse, glaube ich Kleidung auf dem schmutzigen, besudelten Boden liegen zu sehen. Ich lasse den Blick über die Spur wandern. Ich atme ein, aber nicht wieder aus. Entsetzen schnürt mir die Kehle zu. Das ist unmöglich. Vor mir entsteht ein skurriles Bild. Frauen wurden gewaltsam an Holzscheite gebunden, die viel zu nah bei einander stehen. Stroh steckt zwischen den Stümpfen, an die man sie gekettet hat. Die Szene ist absurd. Wie aus einer anderen Zeit. Kein Rauschmittel der Welt sollte es entstehen lassen können. Nichts habe ich je gesehen, was hiermit vergleichbar wäre. Niemals könnte ich mir diese Schreie, dieses Flehen, dieses Leid ausmalen. „Brenn, brenn, brenn!“, skandiert die Meute, restlos betrunken, die vollen Krüge in die Luft stemmend. Einer der Männer versucht, mir den Mantel von den Schultern zu reißen. Ich trete nach ihm. „Wenn Sie es wagen, mich noch einmal anzufassen, werden Sie nie wieder das Tageslicht erblicken“, fauche ich. Der Kriminelle wirkt nicht ansatzweise beeindruckt. Stattdessen schlägt er mir mitten ins Gesicht. Stechender Schmerz schießt durch meinen Körper. Fassungslos und restlos empört schnappe ich nach Luft, während mein teurer Mantel sich zu den Lumpen auf dem Boden gesellt. Die Frauen auf dem Holz tragen nicht mehr als ein Unterkleid oder Unterwäsche. Manche von ihnen sind völlig nackt; über ihre Haut ziehen sich dunkle Striemen. Im schwachen Licht des Hauses kann ich gerötete Augen erkennen und aufgebrochene, verletzte Haut, ausgerissenes Haar und dunkle Flecken um ihre Hälse. Blut klebt wie Regen an dem Holz. Ich schüttle ruckartig den Kopf. Das kann nicht der Realität entsprechen. Das darf es nicht! „Brennt!“, grölt jemand, eindeutig auf Deutsch.

      Mir wird das Kleid vom Körper gerissen. Ich kreische auf, als der Stoff laut ratschend vor meinen Füßen zu Boden sinkt. Wieder trete ich nach den Männern, versuche mit dem Absatz ihre Haut oder ihre Weichteile zu treffen. Der Widerling mit den kurzen Fingern fängt mein Bein auf und wirft mich wie Vieh über seine Schulter. Sein Knochen bohrt sich gegen meine Rippen. Das Herz dröhnt mir in den Ohren. Er presst seine nach Fäkalien stinkenden Finger auf mein Gesicht. Wurde ihnen das erste Fingerglied abgetrennt? Mir dreht sich der Magen um und der feine Alkohol, versetzt mit unbekannten Drogen, steigt mir brennend in die Nase. Nie habe ich mich übergeben. Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Es ist ein ekelerregendes Gefühl, wie kratzende Säure sich den Weg hinauf durch die Speiseröhre kämpft, bitter schmeckend in der Mundhöhle verteilt und von da aus nach außen drängt.

      Der Mann schreit angewidert auf, als ich mich erbreche. Er stößt mich auf einen der Baumstümpfe und bindet meine Handgelenke fest, unflätig fluchend. Mein Erbrochenes tropft ihm die Nase hinunter. Achtlos wischt er sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Seil schneidet in meine weiche Haut. Ich trete erneut nach ihm. Die scharfen Absätze schrammen Millimeter an ihm vorbei. Er hat lediglich ein abfälliges Lachen

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