Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

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überrage. Verbindlich lächelnd blicke ich auf ihn hinab. Kurz scheint Gioseppe hin und her gerissen zwischen meiner herzlichen Begrüßung und meinem kühlen Auftreten, dann erhebt er sich und widmet mir eine knappe Verbeugung. Knapp zehn Zentimeter. Es sind knapp zehn Zentimeter, die er kleiner ist als ich. „Es ist mir eine Ehre, Miss Clark.“ Kurz schweigen wir und ginge es nach mir, würde die Höflichkeit an dieser Stelle ihr Ende finden. Gioseppe würde mit Sack und Pack diesen Raum verlassen und mir nie wieder unter die Augen treten.

      Vater wirft mir einen kurzen Blick zu. Ich habe das Gespräch in Gang zu halten. Vermutlich erhofft er sich Gioseppe als Verhandlungspartner, ich allerdings kann nicht genug Potenzial in Gioseppe finden, das meine Zeit rechtfertigen würde.

      „Wollen Sie mich auf den Balkon begleiten?”, frage ich. „Hier drin ist es recht warm.“ Ein rascher Blick seinerseits über mein kurzes Kleid, zeigt mir, dass Gioseppe mir kein Wort glaubt und nur der Höflichkeit halber zustimmt.

      Vater und Achim sind in eine leise Diskussion versunken, während meine Mutter sich mit dem Spanier über Oberflächlichkeiten zu unterhalten scheint, als einer der Angestellten uns die Türen zu dem weitläufigen Balkon öffnet. Eine kühle Brise weht uns entgegen, die mich erschaudern lässt und in die gestrige Nacht zurückkapituliert. Immerhin regnet es nicht.

      „Worüber wollen Sie mit mir sprechen, Miss Clark?“, fragt Gioseppe, sobald man die Tür hinter uns geschlossen hat. Die helle Jacke seines Jacketts zaubert seine schmalen Schultern breiter. Die dicke Goldkette um seinen Hals wirkt protzig. Im Gegensatz zur vergangenen Nacht scheint Gioseppe angespannt, wie er die Hände in den Taschen vergräbt und die Miene verkrampft. Die Haare stehen Gioseppe ab. Das Weiß der Schuhe harmoniert nicht mit dem der Hose. „Geschäftliches”, erwidere ich schlicht. „Sie sollten wissen, dass eine Frau wie ich nichts anderes im Sinn hat als den stetigen Gewinn.“

      Gioseppe stützt sich auf dem schmiedeeisernen Geländer ab und blickt hinab in die plärrende Tiefe. Nicht einer der Passanten beachtet uns. Eine unsichtbare Wand scheint zwischen ihnen und uns zu verlaufen. „Ich dachte, wir beide wären uns so weit im Klaren, dass es da nicht allzu viel zu bereden gibt”, sagt er. Die Kränkung steht ihm in das gewöhnliche Gesicht geschrieben. „Ich erfülle nicht Ihre Ansprüche und Sie bei Weitem nicht meine.“

      Pikiert hebe ich eine Braue. Die Prinzessin der Börse genügt den Ansprüchen des feinen Herrn nicht? Worauf hoffte er? Ein naives Mädchen, das ihm die Karten zuspielt? Eine ordinäre Lady, die nur für den Ruhm und den Skandal lebt? „Inwiefern genüge ich Ihnen nicht?”, spiele ich das Spiel, zu dem Vater mich verdammte. „Haben Sie sich höhere Chancen ausgemalt?“ „Absolut.“ Langsam betrachtet Gioseppe mich von Kopf bis Fuß. „Ich dachte, reiche Menschen wären freundlich. Aber Sie? Sie sind nur aalglatt und selbst das nicht mehr, wenn keine angemessene Entlohnung winkt oder keine Fotografen in der Nähe sind. Ich frage mich, ob sie überhaupt noch ein Mensch sind oder nicht irgendein Geld inhalierendes Monster.“

      Ich lache kokett auf, als hätte Gioseppe einen äußerst unterhaltsamen Witz gemacht und lehne mich neben ihm an die Brüstung.

      „Sie sind nicht besonders klug, so mit mir zu sprechen“, stelle ich fest. Gioseppe verdreht tatsächlich die Augen. „Was soll ich denn tun?” Verspottet er mich? Sacht lege ich den Kopf schief. „Was wäre denn in Ihren Augen angemessen, Miss Clark? Soll ich vor Ihnen in die Knie gehen und um Vergebung betteln?“

      Das wäre ein Anfang.

      „Wissen Sie, als meine Ehefrau mir sagte, Sie würden mit Sicherheit das kühlste und abweisendste Wesen sein, das existiert, da glaubte ich ihr nicht, weil wie ist es möglich, dass etwas so Schönes nicht bis in den hintersten Winkel des Seins rein ist?” Sein harsches Lachen hallt zu laut über die Straßen hinweg. Ich senke mein Kinn ein Stück, bereit für den perfekten Schnappschuss. „Aber offensichtlich sollte ich in dieser Hinsicht auf meine Frau hören. Sie weiß, woran man eine falsche Schlange erkennt.“ Es ist nicht in meinem Interesse meinen Atem weiterhin an Gioseppe Riva zu verschwenden. Aber jetzt gehen? Mich in einem schlechten Licht präsentieren lassen? Das wäre die größte Demütigung. Also entspanne ich mich und blicke Gioseppe tief in die langweiligen, beinahe stumpfsinnig braunen Augen. „Wäre es in Ihrem Interesse, Ihre Sorgen näher auszuführen?“

      Gioseppe schnaubt abfällig und stößt sich kraftvoll von dem Geländer ab. „Als meine Eltern den ersten großen Gewinn hatten, da dachte ich, jetzt geht das Leben los. Partys, schöne Mädchen, Überfluss. Irgendwann aber habe ich bemerkt, dass das Geld einen nicht befreit, es baut Käfige um einen herum. Und du, du benimmst dich wie ein dressiertes Äffchen.“

      Ich lächle ihn lieblich an und lasse den lauen Wind durch meine Haare streichen. „Es ist durchaus faszinierend”, erwidere ich langsam, „wie rasch ein kleiner Junge, Anstand mit Willenslosigkeit und gutes Benehmen mit Reichtum verwechselt. Man spürt, dass Sie in einer anderen Welt aufgewachsen sind.“ In meinen Kreisen wird rücksichtslos um jeden Cent gekämpft. Dann um die Millionen. Dann um Milliarden. Billionen. Bis die Zahlen zu Einsen und Nullen verschwimmen. „Ich befürchte, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem ein Kompromis unmöglich wird.” Seufzend streiche ich mir eine blonde, schimmernde Strähne aus dem makellosen Gesicht. „Wenn ich bitten darf.“ Ich deute zur Tür. Gioseppe zupft seine Ärmel zurecht, ehe er mir ein kühles Lächeln zuwirft.

      „Im Übrigen, Ihr Zimmermädchen war tatsächlich eine angenehmere Gesellschaft als Sie, Miss Clark. Hoffentlich werden sich unsere Geschäfte nicht mehr allzu oft kreuzen.“ „Dieser Wunsch beruht auf Gegenseitigkeit.“

      Der Mond scheint groß und gelb durch die Fenster meiner Räumlichkeiten. Der Tag war anstrengend und überflüssig. Der Brunch löste sich irgendwann ohne nennenswerte Ergebnisse auf und mein Vater veranlasste, dass Achim pünktlich in Europa landet. Ein Zimmermädchen könne sich ebenso gut um mich kümmern, wie jeder andere auch, argumentierte Vater. Für seine Verhältnisse hat Achim gekämpft, um bei mir bleiben zu dürfen, eine Geste, die mich zutiefst gerührt hat, selbst wenn sie letzten Endes nicht belohnt wurde.

      „Darf ich Euch einen Zopf flechten?“, bittet mein Kindermädchen und sieht mich aus großen Augen an, die ebenso langweilig sind wie Gioseppes. Es ist kein Wunder, dass die beiden einander verstanden haben. Plump und einfach gesellt sich gern.

      Der Wunsch nach menschlicher Nähe ist zu überwältigend, als dass ich das Angebot der Bediensteten ausschlagen könnte. „Wenn du auf mein Haar achtgibst.“

      Das Zimmermädchen strahlt wie ein kleines Kind, während es beginnt, die blonden Strähnen übereinanderzulegen. Zuvor kämmte sie meine sanften Wellen für Minuten. Ich kann ihr die Affinität zu meinem Haar nicht verübeln. Sie selbst hat derart dünne Flusen auf dem Kopf, es muss ein Segen sein mein dichtes, dickes in den Händen halten zu dürfen. „Benötigt Ihr etwas für Eure Wunden?“ Stillschweigen. „Nein. Ich wäre dir allerdings verbunden, wenn du meine Verletzungen nicht in den Mittelpunkt rücken würdest. Solange niemand den Ursprung dieser Schrammen geklärt hat, wird darüber kein Wort verloren.“

      Mein Kindermädchen nickt und fährt in seiner Arbeit fort. „Soll ich heute Nacht bei Euch bleiben?“

      Damit sie mich die ganze Zeit über anstarrt und darauf wartet, dass etwas Ungewöhnliches geschieht?

      „Ich hörte”, sage ich genüsslich, „du hättest dich bei meiner Geburtstagsfeier köstlich mit Gioseppe Riva amüsiert. Hat er mich in irgendeiner Weise erwähnt?“

      In meinem Spiegel erkenne ich, wie ihr die Röte in die Wangen steigt und sie hastig die Augen niederschlägt.

      „Nein. Er sagte lediglich, er verstände Euch nicht gänzlich.“ Das ist wohl die beschönigte Version davon,

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