Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

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sich langsam im Raum. Die kleinen Augen des kräftigeren Ungarn richten sich auf die kunstvoll geschnitzten, exotischen Früchte. „Eine sehr schöne Zusammenstellung haben Sie hier“, sagt er und grinst mich an. Der Kellner schenkt ihm nach. „Beinahe so atemberaubend wie die junge Gastgeberin.“ Mir wird keine Gelegenheit gegeben, etwas zu erwidern.

      Achim bedeutet dem Angestellten, den Stuhl hervorzuziehen und erhebt sich. Bietet mir seine Hand an. Sacht hebe ich eine Braue. „Dürfte ich dich für ein paar Minuten entführen?“, fragt Achim mich sanft. Ich kämpfe meine Überraschung nieder und setze das gleiche, charmante Lächeln auf wie immer. Tue so, als wäre es nichts Ungewöhnliches, dass mein Verlobter mich bei einem offiziellen Essen darum bittet, mit ihm gemeinsam den Raum zu verlassen, scheinbar ohne sich darum zu scheren, was die Anwesenden über unser Verschwinden denken könnten. Wenn die Öffentlichkeit hiervon erfährt, wird das Tuscheln kein Ende nehmen. Wir verstoßen gegen jede Etikette. Achim tut das. Weil er sich um mich sorgt? „Natürlich.“ Meine Antwort ist dem Kellner Befehl. Fast lautlos wird mein Stuhl zurückgezogen. Ich stehe auf und lege meine Hand in Achims. Mutter nickt uns knapp zu, während Achim und ich den Saal verlassen, unzählige Blicke im Rücken.

      Schweigend gehen wir ein paar Meter bis zu der verglasten Rückwand des Korridors. Dort angekommen, blickt Achim sinnierend auf die Straßen unter uns. Menschen wuseln wild umher, eine graue Mischung aus bedeutungsleerem Leben. Ampeln schalten um, Läden werden betreten und verlassen, oft beladen mit Tüten.

      „Du standest heute Nacht völlig neben dir“, stellt Achim nach einigen schweigsamen Minuten fest. Er lässt meine Hand nicht für eine Sekunde los. Seine Berührung schenkt mir mehr Kraft, als ich mir eingestehen möchte. „Ich habe mich ernsthaft um dich gesorgt.“ Ich schlucke. Diese intime Form der Gefühle hat er nicht einmal zu unserer Verlobung geäußert. Ein kurzer Kuss, der die Presse erfreut und zeitweiliges Händchenhalten, aber mehr nicht. Überschwängliche Nähe würde sich nicht gehören. Umso mehr schockiert mich Achims Wortwahl, die an den zweiten Gefühlsausbruch binnen von Minuten grenzt. Sorge?

      „Mir ist selbst nicht ganz begreiflich, was letzte Nacht geschehen ist.“ Achim nickt und streicht mir schweigend eine der Locken aus dem Nacken. „Den Eindruck hast du auf mich gemacht, ja.“ Kurz zögert er. „Mich beschäftigt in erster Linie: Hat man dir mutwillig wehgetan?“

      Männerhände scheinen für einen Moment an meinem Kleid zu reißen und den Mantel von meinen Schultern zu ziehen. Sie stoßen mich vor sich her, heben mich hoch und tragen mich wie Vieh über den Schultern, behandeln mich wie Abschaum. Der Mann, der das Stroh vor meinen Füßen anzündete, lächelte. Die Erinnerungen haben sich fest in meinen Kopf gebrannt, dabei ist nichts davon je geschehen. Darf nicht geschehen sein. Wäre es anders, würde es bedeuten, dass ich den Verstand verlöre und obendrein auch noch mit einem triftigen Grund. Dem Grund, dass ich durch Zeit und Raum gereist bin. Ich muss die Person finden, die mir das angetan hat, bevor sie ein weiteres Mal zuschlagen kann und mich in eine verschleierte, mittelalterliche Welt schickt, die schon lange nicht mehr so existiert.

      „Ich weiß nicht, ob man handgreiflich wurde“, wispere ich und klammere mich fester an Achim. Meine Hände wirken winzig auf dem schwarzen Stoff seines Jacketts. Winzig und blass. „Alles, woran ich mich erinnere, ist nicht wahr.“ Flehend sehe ich zu ihm auf, suche Bestätigung. „Es ist nur eine kranke Einbildung. Jemand muss mich unter Drogen gesetzt haben und…“ Ich halte inne, höre selbst wie erbärmlich ich klinge. „Bitte sage ihnen nichts davon. Meine Eltern würden umkommen vor Sorge.“ Was geschieht mit den Anlagen in meine eigene Modekette? Wenn die Gründerin instabil wirkt, wäre das ein gefundenes Fressen für sinkende Kurse. Wie ernst kann man die Gesellschaft meiner Familie noch nehmen, wenn die Tochter auf psychiatrische Behandlung angewiesen ist? Verhandlungspartner würden wegfallen und Investitionsriesen nicht länger auf unsere Unterstützung pochen. Ich kann es mir schlichtweg nicht leisten, dass Details meiner Zweifel an die Öffentlichkeit geraten.

      Achim schüttelt leicht den Kopf und schlingt beide Arme um mich. Jede Angst, jede Sorge rückt in den Hintergrund. Er umarmt mich in einem frei zugänglichen Korridor. Vergräbt das Gesicht in meinen Haaren. Das Herz springt mir aus der Brust, klopft so laut, dass er es hören muss. Jeden Moment könnte jemand um die Ecke biegen und uns sehen. Ganz genau so, wie wir hier eng umschlungen stehen.

      Diese Möglichkeit scheint Achim gleichgültig zu sein. Er hält mich fest, gleichzeitig behutsam und bestimmt, als wäre ich das Kostbarste, was er besitzt. „Ich wünschte, ich hätte dich begleitet“, flüstert Achim in mein Haar. „Dann hätte ich Hilfe holen können.“ Die Erinnerungen daran, wie sehr ich seine Nähe vermisste in diesem Trubel aus Chaos und Kälte, sind noch frisch und unbeschreiblich intensiv. Allein, dass Achim jetzt hier ist, mich hält, als würde er mich nie wieder loslassen wollen, schmälert diese Angst und die Schmerzen in meinem Herzen.

      Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Das nächste Mal werde ich für dich da sein“, verspricht er mir. Ein kurzes Zögern, das für ihn ebenso untypisch ist wie diese vielen Berührungen. „Wenn du mich jetzt brauchst, kann ich das Meeting absagen.“

      Pardon? Ruckartig löse ich mich von Achim und sehe ihm in die Augen. Ist er von Sinnen? Es könnte sich um einen gigantischen Deal handeln, der ihm entgeht. Ich taste sein ernstes Gesicht mit Blicken ab. Achim wirkt nicht, als würde er scherzen. Ich muss einige Male blinzeln, um nicht in Tränen auszubrechen und mir das sorgfältig aufgetragene Make-Up zu ruinieren. Das täte er? Für mich? Meine Eltern blieben nie Daheim, wenn ich krank war und irgendwo ein vielversprechender Dialog angesetzt war. Es gibt Kindermädchen, Angestellte. Jeder ist fähig, eine heiße Schokolade zu kochen und mich zuzudecken oder im schlimmsten Fall den Arzt zu rufen. Achims Angebot ist so viel mehr, als ich erwartet hätte. Für einen Moment spielt mein selbstsüchtiger Teil mit dem Gedanken, es anzunehmen. Dann erinnere ich mich daran, was auf dem Spiel steht.

      Worum es hier geht. Egoismus mag eine gute Eigenschaft sein, aber nicht in diesen Situationen.

      Es erfordert all meinen Willen, den Kopf zu schütteln. Das Gesicht vergrabe ich an Achims Brust. Sein Atem rauscht leise an meinem Ohr vorbei, begleitet von seinem beschleunigten Puls. Ich liebe den Geruch seines Aftershaves. Wüsste ich doch nur, wie es heißt, dann könnte ich mir etwas davon aufs Handgelenk sprühen, wenn ich nicht schlafen kann.

      Dass Achim diese Angewohnheit mit meinem Parfum hat, weiß ich seit beinahe einem ganzen Jahr. Er trug meinen Geruch bei einem wichtigen Meeting. Als ich Achim darauf ansprach, bekundete er achselzucke, dass ihn mein Duft beruhige. Das war der erste nahbare Wesenszug an ihm gewesen, den ich kennenlernte.

      Diese Bereitschaft aber für mich alles stehen und liegen zu lassen, berührt mich viel tiefer und intensiver.

      Achims Angebot zu bleiben, ist mehr wert als jeder Ring, den er mir zu unserer Hochzeit an den Finger stecken kann. Es schwört mir, dass ich nach unserem Eheversprechen niemals wieder allein sein werde. „Bist du dir sicher?“ Achim wirkt enttäuscht. „Es gibt weitaus wichtigere Dialoge, die ich suchen kann. So hätten wir eine Woche nur für uns.“

      Eine Woche? Das klingt wie Musik in meinen Ohren. Urlaub, wohlverdient und wunderschön. Wir könnten ausschlafen, gemeinsam in den Park gehen, uns auf das Gespräch mit Monsieur Depót vorbereiten, Seite an Seite. Mit Achim gemeinsam könnte ich die Einschreibungen für das College erledigen.

      „Du weißt, dass ich es am liebsten habe, wenn du bei mir bist.“ Unverwandt sehe ich Achim an. Die seichte Erschöpfung im Blick, lässt seine Augen heller strahlen denn je. „Wenn unsere Zweisamkeit allerdings einen Nachteil für dich birgt, dann…“ „Ich storniere den Flug“, unterbricht Achim mich. Er schüttelt den Kopf. „Ganz gleich, was letzte Nacht geschehen ist, du brauchst mich momentan dringender als ein europäischer Investmentmakler.“

      Mit Sicherheit handelt es sich nicht um irgendwen, sondern um jemanden mit

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