Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod.. Sarah Markowski
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Bis auf ihr äußeres Erscheinungsbild hat die Barbiepuppe bisher noch keinen bleibenden Eindruck bei Helena hinterlassen. Statt auf gegenseitigen Austausch setzt sie scheinbar lieber auf regelmäßige Schwächeanfälle in schauspielerischer Höchstleistung, verbunden mit Selbstmitleid und der Frage, wie sie ohne Smartphone ihre Abonnenten auf Social Media auf dem Laufenden halten soll.
„Zwanzigtausend“, jammert sie regelmäßig. Dann noch irgendetwas von Content und Kooperationen, doch an dieser Stelle driftet Helenas Aufmerksamkeit meistens ab. Die Barbie macht den Mund auf. Helena rechnet schon damit, dass sie sich ihr nun anschließen und auch ein paar verzweifelte Tränen vergießen wird, schließlich ist seit den letzten eine ganze Nacht vergangen. Allerdings verfällt die Barbie, entgegen ihrer Erwartung, nicht schon wieder in Selbstmitleid. Ihre Mundwinkel zucken.
Ist das etwa ein Lächeln?
„Du bist nicht allein“, flüstert die junge Frau kaum hörbar. Sie lächelt tatsächlich, doch in ihren Augen spiegelt sich Unsicherheit.
„Du meinst, immerhin vegetiere ich hier drinnen nicht völlig einsam vor mich hin“, spottet Helena.
Immerhin drehe ich nicht alleine durch, sondern bin in guter Gesellschaft.
„Nein, das meine ich nicht.“
Helena schaut sie fragend an. Die Barbie zieht ihr T-Shirt straff, deutet mit der Spitze ihres knallpink lackierten Fingernagels auf den aufgedruckten Schriftzug über der linken Brust – Dana. Helena trägt das gleiche Modell, mit dem Unterschied, dass ihr Shirt die Aufschrift Mia trägt.
„Lass mich raten“, sagt Helena, die allmählich versteht, worauf die Barbie hinauswill. Aus den Augenwinkeln sieht sie, dass die anderen im Raum dem Gespräch aufmerksam folgen. „Dein Name ist nicht Dana?“
Die vermeintliche Dana schüttelt den Kopf und hält ihr die Hand entgegen, als hätten sie gerade erst Bekanntschaft miteinander gemacht.
„Mein Name ist Sabrina Wirz, ich bin achtundzwanzig Jahre alt, gelernte Visagistin und leidenschaftliche Turnier-Reiterin. Freut mich, euch kennenzulernen.“
Samstag, 29.06.2019, 08: 38 Uhr
- Theo Oliver -
„Oliver.“
Er hört seine eigene Stimme wie aus weiter Ferne.
Habe ich das gerade gesagt?
Es scheint so, denn nun sind alle Augenpaare auf ihn gerichtet. Neugierige Blicke, Erstaunen, Verwirrung gemischt mit einem Gefühl von Erleichterung. Niemand hier ist allein, es gibt noch andere Personen, die dieses Schicksal teilen. Oliver möchte so viel sagen, fragen, doch ihm fehlen die Worte. Ein Wirrwarr aus Gedanken breitet sich hinter seiner Stirn aus, wie ein Wollknäuel, das immer größer wird und beinahe den gesamten Raum in seinem Kopf einnimmt.
Das Warum hängt unausgesprochen im Raum.
Warum ich? Warum wir?
Warum hier?
Warum überhaupt?
Helena ist die erste, die ihre Stimme wiederfindet. Unruhig zupft sie an den eingestickten Buchstaben auf ihrem T-Shirt herum.
„Sabrina, Oliver, …“
Sie dreht sich zu den anderen beiden herum, deren Denkapparate ebenfalls auf Hochtouren zu laufen scheinen. Niemand kann sich erklären, warum sie hier zusammen festsitzen, mit falschen Namen. Ob es sich wirklich um einen Irrtum handelt? Sollte an seiner Stelle eigentlich eine andere Person hier sitzen? Ein Theo?
„Und wie heißt ihr?“, fragt Oliver an die beiden Männer gewandt, die sich bisher noch gar nicht zum Thema geäußert haben.
„Julius.“
„Und du?“
Der ältere von beiden schaut augenblicklich an sich hinunter. „Deinen echten Namen möchte ich wissen.“
Der Mann läuft rot an und lächelt gequält.
„Ja?“
„Franz“, nuschelt er in seinen kaum vorhandenen Bart. Oliver zieht die Augenbrauen kraus. Er weiß nicht, was an dem Namen so schlimm sein soll. „Franz Brand“, fügt der Mann hinzu, als hätte er seine Gedanken lesen können. „Ihr dürft jetzt lachen, ist schon in Ordnung.“
Tatsächlich muss Oliver schmunzeln, doch zum Glück schafft er es, sein amüsiertes Grinsen noch rechtzeitig zu verbergen.
„Waren deine Eltern Alkoholiker?“
Dieses Mal ist es Julius, offensichtlich der jüngste im Bunde, der sich zu Wort meldet. Franz setzt gerade zu einer Antwort an, doch Oliver schneidet ihm das Wort ab. Er weist den Jungen mit einer unmissverständlichen Geste und einer je nach Sichtweise angemessenen oder unangemessenen Wortwahl zurecht und wendet sich dann wieder Franz zu.
„Sollen wir lieber bei Manni bleiben?“
Zuerst hebt er nur die Schultern und seufzt, doch als er merkt, dass Oliver seine Frage wirklich ernst meint, streicht er langsam mit der linken Hand über den Schriftzug auf seinem Oberteil.
„Das wäre schön.“
Er blickt in die Runde und lächelt glücklich. „Ich bin Manfred, kurz: Manni, zweiundfünfzig Jahre alt und habe das Glück, mein Leben hier an der wunderschönen Nordsee verbringen zu dürfen.“
Samstag, 29.06.2019, 11: 14 Uhr
- Helena -
Helena sitzt auf ihrem Bett und spielt an den Knöpfen ihres Bettbezuges herum. Sie ist so in Gedanken, in Fragen und vielleicht mögliche oder doch eher unmögliche Antworten darauf vertieft, dass sie das markante Surren des Speiseaufzuges völlig überhört. Die anderen wundern sich darüber, denn um diese Zeit wurde der Lift noch nie geschickt. Mittagessen gibt es erst in einer Stunde. Während Helena immer noch ihren Gedanken nachgeht, stehen sie vor dem Aufzug und warten ungeduldig und gleichzeitig mit einem mulmigen Gefühl darauf, dass sich die Türen endlich öffnen. Julius ist der erste, der auf das altbekannte Pling reagiert. Während die anderen drei gespannt danebenstehen, greift er nach dem hellbraunen DIN-A4 Umschlag, der soeben mit dem Lift geschickt wurde.
„Mia“, liest Oliver vor, noch bevor Julius die krakelige Schrift entziffern kann. „Also Helena“, fügt er überflüssiger Weise hinzu, denn mittlerweile hat jeder der Anwesenden die wahren Namen der jeweils anderen verinnerlicht. Sabrina nickt. Sie dreht sich zu Helena herum, doch diese bekommt von alldem nichts mit. Deshalb erschrickt sie auch zu Tode, als Julius völlig unerwartet mit dem Umschlag vor ihrem Gesicht herumfuchtelt.
„Was soll das?“, fährt sie ihn wütend an. „Kannst du mich nicht vorwarnen?“
„Wozu? Dass ich dir in drei Sekunden einen Brief übergebe? Wie unnötig.“
Julius verdreht die Augen. „Aber gut. Achtung Helena, in exakt zwei Komma vier Sekunden wedle ich mit