DIE ZÜRCHER ACHSE. Eveline Keller

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DIE ZÜRCHER ACHSE - Eveline Keller

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war Amber mit sich ganz zufrieden. Nur manchmal, wenn eine langbeinige Schönheit mit perfekten Wachstumsgenen vorbeiging, wurde sie neidisch und wünschte ihre Pölsterchen ins Pfefferland. Dieser Zustand dauerte meist nicht länger als zwei Sekunden. Alle paar Jahre quälte sie sich mit einer neuen Diät, die Letzte hatte den verlockenden Titel: Schlank werden im Schlaf. Irgendetwas musste sie falsch gemacht haben. Bei ihr klappte es leider nicht; obwohl sie nur säurefreie und salzlose Speisen zu sich nahm, verlor sie kein Pfund, dafür ihre gute Laune. Sie tröstete sich, dass es, mal abgesehen vom Modetrend mager zu sein, ihr an nichts fehlte und verwöhnte sich mit einer Schachtel Lindorkugeln.

      Doch das war bis gestern.

      Seit heute Morgen wirbelten längst vergessene Gefühle all ihre Professionalität himmelwärts und ihr sprang das Herz vor Aufregung fast aus der Brust. Der Morgen hatte nicht enden wollen. Die Ruhe, mit der sie gewöhnlich ihre Arbeit verrichtete, war weg, ihr Scharfsinn erlitt Kurzschluss, und sie improvisierte von Minute zu Minute. Gleich nachdem der Arzt den Totenschein ausgestellt und der Staatsanwalt sich verabschiedet hatte, übergab sie Assistent Serge die Leitung, und eilte unter dem Vorwand davon, das TV-Interview vorbereiten zu müssen.

      Das war sonst gar nicht ihre Art, sie war keine Einzelkämpferin und tauschte sich gerne im Team aus. Deshalb fürchtete sie auch, bald durchschaut zu werden. In ihrem Bemühen, Haltung zu wahren, verkrampfte sich jeder Muskel in ihrem Gesicht und fühlte sich an wie eine Gipsmaske, die unter der Spannung zerbröseln könnte.

      Wütend packte sie den Locher und warf ihn mit einem Schrei durch den Raum. Er knallte gegen ihr Pult und schepperte über den Boden. Als wäre ein Damm gebrochen, stürzte sie vorwärts und wischte mit beiden Händen die Unterlagen vom Tisch. Dann griff sie sich ins Gesicht und zog an der Haut, als könnte sie die Erinnerung wie eine Maske abstreifen.

      Vor mehr als sechzehn Jahren war sie David Maler zum ersten Mal begegnet, und das hatte ihr bis heute manche schlaflose Nacht bereitet.

      Es war eine Zeit, in der sich die Drogenszene in Zürich in einem erschreckenden Maße ausbreitete, die Bevölkerung fühlte sich bedroht, und die Ordnungshüter wurden von den Politikern aufgefordert, härter durchzugreifen. Dealer handelten offen auf der Straße, Passanten wurden in Hinterhöfen ausgeraubt und die Entzugskliniken waren überfüllt mit Junkies.

      Seit einigen Wochen lief eine verdeckte Ermittlung, um eine verdächtige Studenten-Wohngemeinschaft auszuheben, in der Drogenhandel in größerem Stil vermutet wurde. Amber machte den Lockvogel. Damit wollte sie, das Küken in der Einheit, beweisen, wie gerissen sie war, dass sie zwar blauäugig war, aber keine Vorzeigepuppe, mit ihrer rotgefärbten, dauergewellten Löwenmähne. Sie würde sich in die WG „einschleichen“, und dann würden die Kollegen auf ihr Zeichen plötzlich eine Hausdurchsuchung machen und die Dealer auf frischer Tat ertappen.

      Sie standen mitten im Eingang zur Disco als ihr Kollege Frank mit viel Effekt gespielt, ins Gesicht schlug. „Du dumme Gans!“ Damit wollten sie eine Situation provozieren und es klappte einwandfrei. David Maler eilte ihr zu Hilfe: „Permesso!“ Er langte Frank eine und wollte gerade nachsetzen, als ihm Amber in den Arm fiel. „Bitte, aufhören.“ Worauf sich Frank schnell davonmachte.

      „Entschuldigen Sie, dass ich mich einmische. Aber ich kann es nun mal nicht mit ansehen, wenn ein Mann seine Freundin schlägt.“ David zwinkerte ihr aufmunternd zu und Amber bekam weiche Knie. Er lud sie zu einem Drink ein, daraus wurden zwei. Sie unterhielten sich, sie tanzten ausgelassen, und der Abend verging wie im Fluge. Amber passte zwar nicht in sein übliches Beuteschema, etwas zu üppig und rot statt blond, aber ihr Lachen war so herrlich, er konnte nicht genug bekommen. So zog er alle Register und in ihrem Gesicht ging buchstäblich die Sonne auf. Auch anderen Gästen fiel das gutgelaunte Paar auf und sie schauten fasziniert zu. Es bildete sich eine Traube um sie an der Bar und Amber war, etwas ungewohnt, mittendrin. David hatte sie angenehm überrascht. Seinem Ruf nach war er ein oberflächlicher Playboy. Doch in der kurzen Zeit entdeckte sie an ihm, im Gegenteil, Tiefgang. Er zeigte sich verletzlich und nahm sich selber, aber auch das Leben nicht ganz so ernst. Als die Disco schloss, lud er sie zu sich nach Hause ein.

      Der Morgen dämmerte bereits, als sie immer noch redeten. Amber mochte nicht an Schlafen denken, es war viel wichtiger zu erfahren, was David dachte und fühlte. David wurde mit jeder Minute ernster und ehrlicher. Er erzählte atemlos von seiner Enttäuschung über seine erste große Liebe. Amber dagegen ließ kein gutes Haar an ihrem Ex-Freund und konnte sich nicht erklären, was sie an ihm einmal gefunden hatte. Mit fortschreitender Zeit tauchten ihre Blicke immer länger ineinander, und sie vergaßen darüber, was sie eigentlich sagen wollten. Bis sie ganz verstummten und sich alles andere mit den Lippen mitteilten. Es war bereits heller Tag, als sie erschöpft voneinander ließen und in glücklicher Umarmung einschliefen.

      Längst hatte Amber ihre Anweisung vergessen, und ihre Polizeikollegen wartete vergebens auf ihr Zeichen. Auf die alles verändernde Liebesnacht folgten Tage, an denen es für sie nur darum ging, Liebe zu geben und zu empfangen. Unter seiner zärtlichen Anleitung überwand sie ihre Hemmungen und erfuhr, wie sexy er sie fand. In Pausen dazwischen hatten sie sich viel mitzuteilen, vom fiesen Bruder und von der Trunksucht des Vaters. Sie träumten gemeinsam davon, im Sand zu liegen, nur sie, alleine auf einer Insel, wo ihre Herzen im Einklang mit den Wellen schlugen und sie vom Sternenhimmel zugedeckt wurden.

      Es war der dritte Tag, den sie der Liebe huldigten, als eine junge Frau ins Zimmer platzte. „Du Lump! Lässt dich am Telefon verleugnen, während du mich mit einer anderen betrügst.“ Mit verweinten Augen und roter Nase strich sich die Hochschwangere schützend über den Bauch.

      Amber erstarrte.

      „Was soll das?“, wollte David wissen und sprang auf. „Ich habe die Frau noch nie in meinem Leben gesehen. Ehrlich.“

      Amber raffte ihre Kleider zusammen und flüchtete ins Bad. Sie hatte es geahnt und glaubte ihm kein Wort: Alles hatte sich viel zu gut angefühlt, um wahr zu sein. Er würde es nicht ehrlich mit ihr meinen. Sie war auf seinen Tigerblick und seinen Charme hereingefallen. Und sie hatte den geplanten Polizeieinsatz verpatzt. Obendrein hatte sie, statt die Vorurteile der Kollegen zu widerlegen, dafür gesorgt, dass sie bestätigt wurden. Wütend über ihre Dummheit und von sich selbst enttäuscht, hockte sie schluchzend auf dem Klo und wusste nicht weiter.

      „Aufmachen, Polizei!“, polterte es an die Wohnungstür.

      Die Uniformierten überrannten beinahe den jungen Mann, der schließlich aufschloss, durchsuchten gründlich die Wohnung und fanden Kokain, Pillen und etwas Marihuana. Eine große Beute war das nicht, aber man nahm sie auch gleich mit. Sie hatte hinterher ihre liebe Not, ihrem Vorgesetzten zu erklären, wie sie da hineingerutscht war und warum sie kein Zeichen gegeben hatte. Auch so war ihr Gesicht „verbrannt“, wie es im Fachjargon genannt wurde. Man kannte sie nun in der Drogenszene, darum wurde sie zum Inneren Dienst versetzt.

      Ihre Sehnsucht nach David raubte ihr das letzte bisschen Verstand, nur so war ihr Verhalten erklärbar. Vielleicht wäre es auch anders gekommen, wenn ihr David wenigstens einmal zugehört hätte und sie ihm ihre Version der Drogenfalle hätte erklären dürfen. Aber nein! Auf ihre Briefe reagierte er nicht. Ja, sie verfasste Gedichte für ihn, auch die blieben ohne Reaktion. Viele Male hatte sie vor seiner Wohnung gestanden. Einmal hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und geklingelt, doch er schlug ihr die Tür vor der Nase zu.

      Von Eifersucht und Liebe getrieben, verfolgte sie ihn heimlich, fotografierte ihn bei der Arbeit, in der Kneipe mit Freunden oder beim Einkaufen und notierte säuberlich Zeit und Namen der Menschen, die er traf. Das Betrachten der Fotos gab ihr das tröstliche Gefühl, an seinem Leben teilzunehmen, doch in den einsamen Nächten weinte sie sich in den Schlaf.

      Eines Tages kam ihr Chef dahinter, als er in ihrem Schreibtisch einen leeren Umschlag suchte und stattdessen

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