DIE ZÜRCHER ACHSE. Eveline Keller

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DIE ZÜRCHER ACHSE - Eveline Keller

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kündigte, um dem Rausschmiss zuvorzukommen, wollte sich das falsche Mitleid ihrer Kollegen ersparen. Inzwischen wusste sie auch, dass sie sich der Riege von Davids schwangeren Ex-Freundinnen zugesellt hatte.

      Heute war sie mit Melanie aus dem Gröbsten raus. Und sie wusste: Sie würde sich kein weiteres Mal ihr sorgsam geregeltes Leben von ihm auf den Kopf stellen lassen.

      Amber rief sich zur Ordnung. Jeden Augenblick würden die Leute vom Fernsehen eintreffen, und sie sollte überlegen, was zum jetzigen Zeitpunkt gesagt werden durfte. Aber sie konnte unmöglich mit flatternder Stimme und Tränen in den Augen auftreten. Sie war doch längst nicht mehr das unsichere, junge Ding von damals.

      Was war schon dabei, wenn sie David verhören müsste? Wenn es der Fall erforderte, würde sie ihn vorladen und verhaften, wenn Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr bestand, genau wie andere Verdächtige auch. Ganz einfach!

      Ruhig hob sie den Locher und die Papiere wieder auf und legte alles auf seinen Platz zurück. „Ist was? Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört?“ Margrit, ihre Bürohilfe, streckte besorgt den Kopf zur Tür herein.

      Amber blickte ruhig an ihrem Schreibtisch sitzend auf. Nur eine schmale Kerbe darin erinnerte an ihren Gefühlsausbruch.

      „Die Leute vom Fernsehen sind da. Sie warten mit dem Pressesprecher im Sitzungszimmer.“

      „Danke.“

      Mit vor Spannung aufgeblasenen Backen kehrte Margrit auf ihren Bürostuhl zurück und hielt der vorbeigehenden Amber den Daumen hoch.

      Diese betrat den Besprechungsraum, begrüßte die bekannte TV-Moderatorin und ihren Kameramann und nickte ihrem Kollegen zu. Nach kurzer Absprache machte man sich zum Filmen bereit. Die Moderatorin stellte sich hin, verzog den perfekt geschminkten Mund zu einigen Lockerungsübungen und atmete tief durch. Ein letztes Mal kontrollierte sie ihr Make-up, zupfte eine Strähne zurecht und puderte sich die Nase.

      „Harry, hast du mich im Bild?“

      Er bejahte und sie zählte an: „Zwei, eins, null: Guten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer …“ Sie machte eine Einleitung, erzählte vom unbekannten Toten auf der Baustelle des Wellnesscenters und stellte den Pressesprecher der Polizei vor. Amber hielt sich im Hintergrund.

      „Weiß die Polizei schon mehr über den geheimnisvollen Toten auf der Baustelle?“

      „Der Mann trug keine Papiere bei sich. Er war stark alkoholisiert. Da die Baustelle abgelegen ist, geht die Polizei davon aus, dass er nicht alleine dahingekommen ist. Wir bitten deshalb um sachdienliche Hinweise. Wer kennt diesen Mann? Wer hat ihn gesehen, vielleicht sogar in der Nähe der Baustelle? Bitte wenden Sie sich an die Kriminalpolizei Zürich oder an die nächste Polizeidienststelle.“

      Die Kamera schwenkte zurück zur Moderatorin.

      Nach fünf Minuten war der Dreh fertig und sie blickte am Objektiv vorbei auf Harry:

      „Hast du alles im Kasten?“

      Der nickte. Die Aufnahme würde nach den Lokalnachrichten, zur besten Sendezeit, gezeigt werden.

      Die TV-Leute und der Polizeisprecher verabschiedeten sich. Amber ging in ihr Büro und suchte in ihrem Schreibtisch nach Schokolade, einer Lindorkugel oder einem Minörli, das hatte sie immer für alle Fälle vorrätig. Fündig geworden, ließ sie die Praline genüsslich auf ihrer Zunge zergehen und begann die Notizen mit den inzwischen übermittelten Fotos des Tatortes zu sortieren und sie einem möglichen Tatablauf zuzuordnen.

      Der Fremde war fünfundzwanzig Meter auf allen vieren gekrochen, das zeigten die Spuren am Boden. Reifenspuren eines Fahrzeugs, dessen Vorderrad links dünner war, ein Reserverad wahrscheinlich, hatten sie zu Beginn der Kriechspur gefunden. Daneben relativ gut erhaltene Abdrücke von spitzen Schuhen, wie etwa Cowboystiefeln, und von kleineren, vielleicht Damenschuhe. Beides war unübliches Schuhwerk auf einer Baustelle. Konnte auch von Besuchern stammen, oder …

      Betreten schaute sie auf die ineinander verschlungenen Blümchen und Herzchen, die sie auf ihre Notizen von Davids Aussage gemalt hatte. Gedankenverloren strich sie darüber. Was treibt David überhaupt? Wie viele uneheliche Kinder hatte er inzwischen? Er war doch damals abgehauen und in der Welt herumgereist. Warum war er zurückgekommen? Nahm er immer noch Drogen? Fragen ohne Ende stiegen in ihr wie aus dem Nichts auf.

      Deformation professionelle! Wie ferngesteuert flogen ihre Finger über die Tastatur, riefen seine Personaldaten ab, das Strafregister und die Einwohnermeldebestätigung. Plötzlich sprang sie auf, als hätte man sie mit den Fingern in der Schokoladencreme erwischt. Was tat sie da! War es wirklich notwendig, Maler zu überprüfen? Oder war sie in ihr altes Stalker-Verhalten zurückgefallen? Was für ein Gefühlschaos!

      Nein, sie musste ihn überprüfen. Vielleicht hatte er seine Hände in illegalen Geschäften. Vielleicht war es kein Zufall, dass sie sich ausgerechnet auf der Kreuzfahrt wieder begegnet waren.

      6.

      Vor über neun Monaten war Ambers größter Wunsch, eine Kreuzfahrt durch den Indischen Ozean zu machen, tatsächlich in Erfüllung gegangen. Und zu Beginn fühlte sich alles an wie ein Traum. Sie war gerade frisch verliebt. Noch nie war es mit einem Mann so lustig und abwechslungsreich im Bett gewesen. Raul, der ein echter Glückstreffer zu sein schien, hatte für sie beide gebucht. Sie wollte sich während der nächsten zwei Wochen, ausschließlich ihrem neuen Schatz widmen, und er sich nur ihr.

      Das Reiseprogramm versprach zudem einiges an Unterhaltung. Sie würden in Ägypten an Bord gehen, vom Roten Meer in den Golf von Aden fahren, am Horn von Afrika vorbei, nach Karachi und dann der Küste folgen, bis nach Bombay. Landgänge wurden geboten, sie konnten berühmte Hafenstädte besuchen, orientalische Basare leerkaufen und Museen besichtigen. Nach dreizehn Tagen würde die Reise in Bombay enden, und nach einer Übernachtung im Hotel, würden sie nach Hause fliegen.

      Hätte sie geahnt, welch folgenschwere Ereignisse sie erwarteten, wäre sie wohl nie an Bord gegangen.

      Am Morgen vor dem Flug brachte Amber eine aufgeregte Melanie mit ihrer kichernden Freundin Sara zum Bahnhof. Die beiden reisten in ein zweiwöchiges Kletterlager in den Bieler Jura.

      Dann fuhr sie direkt zum Flughafen, flog nach Kairo und von da aus nach Hurghada. Sonnenschein war hier garantiert, das war nach dem verregneten Sommer in der Schweiz genau das Richtige. Ein Taxi brachte sie an den Pier. Wo sie mit Freudentränen in den Augen vor dem strahlend weißen Schiff stand und ihr Glück kaum fassen konnte.

      Die MS Salander war kein Riesenschiff, dafür aber mit vielen Extras ausgestattet. Denn man legte ebenso Wert auf genügend Platz für die Passagiere wie auf einen tadellosen Service. Ihre Platzzahl war gewollt beschränkt, für luxusverwöhnte Gäste, die gerne Ferien unter ihresgleichen machten.

      Amber würde sich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen lassen. Faulenzen stand ganz oben auf ihrer Wunschliste; sich das herzhafte Lachen wieder zurückholen, das ihr im Alltag abhandengekommen war, gleich danach, und dazu würde sie sich eine knackige Bräune besorgen. In ihrem Liebesnest, der HoneymoonSuite, würde sie all das nachholen können, was sie bisher vermisste. Falls sie Abwechslung suchte, bot die Wellness-Oase alles, was das Herz begehrte. Massagen, wo sie sich in Honigcreme aalen, den schlaffen Körper in Heilschlamm beleben oder sich nach dem Dampfbad mit Mandelöl beträufeln lassen konnte. Stand ihr trotzdem der Sinn nach etwas Nervenkitzel, könnte sie sich im Spielcasino die Zeit vertreiben.

      Einziger Wermutstropfen war, dass Raul

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