DIE ZÜRCHER ACHSE. Eveline Keller

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DIE ZÜRCHER ACHSE - Eveline Keller

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      „Keine Sorge, ich werde Sie nicht verpetzen, wenn Sie dafür die Honeymoon-Suite mit uns tauschen. Deal?“

      „Einverstanden. Aber Sie müssen das Rauchen aufgeben. Mit jeder Zigarette füttern Sie ihr Baby mit Arsen und Quecksilber! Wissen Sie das?“

      Jessica seufzte. „Ist ja gut. Hören Sie bloß auf mit der ollen Leier. Sind Sie unterzuckert, dass Sie so aggressiv sind?“ Sie warf die Zigarette weg und trollte sich. Amber atmete auf. Mit dem Kabinenwechsel musste sie wenigstens nicht mehr befürchten, von Raul belästigt zu werden.

      Sie blieb noch einen Moment, legte den Kopf zurück, ließ die warme Luft über ihre Wangen streichen und sah eine Sternschnuppe durch die Nacht fliegen. Schnell kniff sie die Augen zu und schickte ihren Wunsch ins All.

      Eine Nacht wie diese wäre ideal, um sich küssen zu lassen. Da spürte sie den Hauch einer Berührung auf ihren Lippen. Überrascht schlug sie die Augen auf.

      Doch sie war allein.

      7.

      David stand um 6: 15 Uhr in der Küche seiner, an bester Lage in Zürich gelegenen Wohnung, und machte sich einen Kaffee. Nach Motivation suchend, starrte er auf den Granit der verlängerten Arbeitsfläche, die als Ess-Bar diente. Die Küchenkombination war in mattem Weinrot gehalten. Das Spiegelglas an der Rückwand gab dem Ganzen mehr Tiefe. Sie war ausgerüstet mit Induktionsherd, Backofen-Mikrowellen-Kombi, Kühlschrank und Geschirrspüler, nur das Teuerste war für Jessica gut genug. Die Sonne sandte ihre Strahlen durch das Fenster über der Spüle und tauchte alles in ein warmes Licht, für das er heute keinen Blick hatte. Er stocherte ohne Appetit in seinem Müsli, kippte es schließlich weg und beeilte sich, auf die Baustelle zu kommen.

      Um Viertel vor sieben betrat er sein Büro, schaltete den Computer ein, las sich durch die Mailbox und vertiefte sich in die Arbeit. Der halbe Morgen war bereits um, als ihn seine Assistentin störte: „Kommissarin Glättli ist da, wegen des Toten.“

      Er zog die Stirn kraus. „Ich kann jetzt nicht, hab bald einen Termin, soll ein anderes Mal kommen.“ Sein Blick klebte auf der Abrechnung des Architekten, die, wie oft er auch nachrechnete, nicht dasselbe Resultat wie geschrieben ergab. Er wählte eben dessen Nummer, als er sich energisch klappernde Absätze nähern hörte, und legte seufzend auf.

      „Tut mir leid, wenn ich ungelegen komme, Herr Maler, aber die Ermittlungen können nicht warten.“ Amber marschierte herein und baute sich vor ihm auf.

      Seine Hand verharrte noch immer über dem Telefon, dann hob er sie grinsend zum indianischen Gruß. „Hough!“, scherzte er. „Amber, richtig?“, und nach genauer Betrachtung: „Bemerkenswert.“

      Ihre Haare waren kunstvoll gestylt wie vom Sturm zerrupft, über die Augen zog sich ein Balken aus schwarzviolettem Lidschatten, der von der linken Schläfe bis zur rechten reichte, darunter kalkiges Make-up und ein blutorangeroter Mund.

      „Ja, die heutige Mode - chic!“, schnalzte er. „Da fühlt man sich gleich uralt, wenn man auf rosa Lippen und Bambi-Augen steht.“

      Konventioneller war ihr Outfit, sie trug Jeans, eine peppige Jacke und Gamaschen-Sandalen.

      „Mensch, was für eine Kreuzfahrt! Was haben wir durchgemacht, hm…“, deutete er an.

      Sie reagierte nicht.

      „Du warst da schon immer so still.“

      Verschmitzt lächelnd hob er den Zeigefinger. „Und dann die verrückte Nacht in Nairobi!“

      Amber zuckte mit keiner Wimper.

      Für eine Sekunde huschte ein Schatten über Davids Gesicht. Erinnerungen an Jessica, „The Rose of India“ und den wendigen Reber, und er allein zurückblieb. Amber war ohne ein Wort abgereist. Krass! Aber längst Geschichte. Er meinte jovial: „Wollte dich immer mal anrufen, aber du siehst selbst: Keine Chance, bei der Menge Arbeit.“

      Sein Charme perlte an ihr ab. Sie war schließlich nicht seinetwegen hier. Sie hatte einen Fall zu klären.

      „Die korrekte Anrede ist Kommissarin Amber Glättli. Die Schiffsreise…“, sie wollte nicht daran denken. „Das war mal…“.

      Ausgerechnet er musste das erwähnen, nach allem, was sie auf dem Schiff durchgemacht hatte, war sie nicht mehr, sie selbst gewesen. Sie hatte die Beruhigungs-Tabletten mit Sekt runtergespült. Das konnte er ihr sicher nicht nachtragen. Warum sagte sie ihm das nicht?

      „Kommen wir zur Sache!“

      Mit einem Anflug von Melancholie suchte David in ihrem Gesicht nach der Gefährtin, die mit ihm durch die Hölle gegangen war. Sie hatte die wogenden Haare abgeschnitten, ihr weicher Körper wirkte trainiert, und ihre warme Stimme, die einem im Bauch kribbelte, war laut wie die eines Ausbildungsoffiziers. Als wollte er nicht wahrhaben, was er sah, wanderte sein Blick wiederholt über ihr Antlitz.

      „‘Sie‘ ist etwas ungewöhnlich, nach allem was wir zusammen erlebt haben. Meinetwegen können wir uns in der Öffentlichkeit siezen, aber unter uns: No!“

      Er klatschte in die Hände. „Ach, Amber! Entschuldige meine schlechten Manieren. Darf ich dir einen Espresso anbieten, einen Cappuccino, oder hättest du lieber einen Saft?“ Gut gelaunt wies er auf die Sitzecke.

      „Nein danke, und Duzen, nur unter uns!“

      „Verstehe, beeilen wir uns.“ Er nahm seinen Kalender zur Hand und studierte ihn: „Mal sehen. Morgen gegen sechzehn Uhr, oder lieber nächsten Dienstag? Nein?“ Seine Mundwinkel blieben oben, obwohl seiner guten Laune die Luft ausging.

      Amber entnahm ihrer Handtasche ein Papier und hielt es ihm wortlos hin.

      Konsterniert las er: „Beschluss des Untersuchungsrichters … tadam… tadam… mit sofortiger Wirkung vorübergehend die Bautätigkeit einzustellen…! - Bist du von Sinnen!“, schrie er.

      „Bingo! Mit dieser Antwort sind Sie im Einklang mit 87,3 Prozent aller Betroffenen einer einstweiligen Verfügung“, teilte sie ihm freundlich mit, als hätte er einen Preis gewonnen. „Steht da vielleicht ‚von Sinnen‘ irgendwo unter dem Kleingedruckten?“, fragte sie gespielt.

      „Beantworte bitte folgende Fragen: …“

      Er unterbrach sie und hielt beide Hände zum Stoppzeichen hoch: „Dein Timing ist grottenschlecht, sorry.“ Er griff zum Telefon und bellte in den Hörer: „Kannst du den Carlson im Hotel abholen … danke dir!“ Gehetzt sah er sich um: „Ich muss dem Vorarbeiter Bescheid sagen und die Arbeiter umdisponieren, bevor alle weglaufen, sonst versinke ich im Frischbeton.“

      Er wählte erneut, während er sie musterte. ‚Wohl mit dem falschen Bein aufgestanden. Wieder so eine, die ihre Macht missbraucht, um ihr Selbstwertgefühl aufzurichten. Wollen mal sehen, wer hier der Boss ist!‘

      Amber trat an seinen Tisch, drückte auf die Gabel und unterbrach die Verbindung. „Wir müssen alle unseren Job erledigen, meiner ist es, Leute unvorbereitet zu befragen, ob es dir passt oder nicht“, stellte sie klar.

      „Das ist nicht das Thema. Ich muss die Handwerker orientieren“, drängte er.

      „Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen, beantworte meine Fragen, und sobald die Spurensicherung ihre Arbeit getan hat, sind wir weg.“

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