Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker
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Lorant blieb stehen, ohne sich umzudrehen.
Ubbo Sluiter näherte sich von hinten. "Victor, der Typ mit den gefärbten Haaren..."
"Was ist mit dem?"
"Der ist Türsteher im X-Ray."
"Was soll das sein?" Lorant machte sich jetzt doch die Mühe, sich halb herumzudrehen.
"Ein Nachtclub. Liegt mitten auf der Wiese im Gewerbegebiet bei Aurich."
Lorant verzog spöttisch das Gesicht.
"Woher wissen SIE denn, wer im X-Ray Türsteher ist?", grinste er.
Ubbo Sluiters dünnlippiger Mund blieb gerade wie ein Strich. Auch während er sprach. Entsprechend verkrampft hörten sich seine Worte auch an. "Wir teilen offenbar nicht denselben Humor, Herr Lorant."
"Ist mir auch schon aufgefallen."
"Ich habe jetzt zu tun."
"Eine Frage hätte ich doch noch!"
"AUF WIEDERSEHEN, Lorant!"
Er betonte das AUF WIEDERSEHEN etwas eigentümlich, so als wollte er Lorants Hochdeutsch imitieren.
Lorant nahm es gelassen hin.
Ungerührt stellte er seine Frage.
"Was haben Sie für eine Erklärung dafür, dass sich im Boot bei der Leiche Ihres Vaters eine Boßel-Kugel befand?"
Ubbo runzelte die Stirn.
"Wie?" Er wirkte verwirrt.
"Sorry, ich kann nur Hochdeutsch."
"Worauf wollen Sie hinaus? Mein Vater war in einem Boßel-Verein. Ich übrigens auch. Meine Güte, fast jeder boßelt hier, das ist nichts Besonderes."
"Trotzdem ungewöhnlich, so ein 'Sportgerät' oder wie immer man das auch bezeichnen mag, mit ins Segelboot zu nehmen. Finden Sie nicht?"
"Was weiß ich!"
Er zuckte die Achseln.
Lorant holte den Artikel über den Toten in Oldenburg-Huntetal aus der Innentasche seines Jacketts und hielt ihn Ubbo hin. Ubbo nahm den Ausschnitt, las den Artikel durch. Lorant studierte dabei jede Regung im Gesicht seines Gegenübers. Manchmal waren Gesichter wie offene Bücher. Wie Fenster zur Seele. Aber das Gesicht von Ubbo Sluiter gehörte leider nicht dazu. Es blieb ziemlich ausdruckslos. Schließlich reichte Ubbo Lorant den Artikel zurück.
"Worauf wollen Sie hinaus?"
"Sehen Sie nicht die Parallele?"
"Die Boßel-Kugel bei der Leiche."
"So ist es."
"Meinen Sie, die beiden Fälle haben was miteinander zu tun?"
Lorant zuckte die Achseln und steckte das Zeitungsstück wieder ein. Er machte ein unbestimmtes Gesicht. "Weiß ich noch nicht!", meinte er. "Vielleicht kann man das beantworten, wenn die Identität des Opfers in Oldenburg bekannt wird."
"Dürfte nicht so leicht sein..."
"Das stimmt."
Ein Wagen fuhr indessen auf den Parkplatz vor dem Sluiter'schen Geschäft. Entweder handelte es sich um den zweiten Angestellten oder den ersten Kunden. Lorant humpelte hinaus. Hoffentlich kann ich überhaupt Auto fahren!, durchfuhr es ihn. Es war schon ein paar Jahre her, dass ihm der Ischias das letzte Mal Ärger gemacht hatte.
––––––––
15.
Als nächstes fuhr Lorant zur Praxis von Dr. Purwin in Moordorf.
Als Lorant der Sprechstundenhilfe in knappen Worten sein Problem schilderte, war die junge Frau noch sehr freundlich, auch wenn ihr sanftes Dauerlächeln etwas von der Verkrampftheit eines Stewardessen-Gesichts hatte. Noch ist sie jung, dachte Lorant. Noch kriegt sie keine Falten davon.
Aber in zwanzig Jahren würden sich die entsprechenden Lachfalten als harte Furchen in ihr Gesicht hineingemeißelt haben.
Zu Lorants Überraschung bekam das Gesicht der schönen Lächlerin schon viel früher eine Falte, und zwar mitten auf der Stirn. Sie erschien exakt in dem Moment, in dem Lorant ihr seine Chip-Karte der Barmer Ersatzkasse auf den Tresen legte.
"Eigentlich behandeln wir hier vorwiegend Privat-Patienten", sagte sie.
"Schön, dass Sie mich trotzdem dazwischen nehmen", erwiderte Lorant.
Ihr Blick, mit dem sie die Karte betrachtete, schien zu sagen: Wenigstens nicht AOK!
"Wenn Sie noch einen Moment im Wartezimmer Platz nehmen würden."
"Sicher."
Lorant wusste, was Arzthelferinnen unter 'einem Moment' verstanden. Der Vormittag war gelaufen.
Zu Lorants großer Überraschung dauerte seine Wartezeit tatsächlich nur einen Moment. Der Arzt war ein hagerer, etwas jungenhaft wirkender Mann von schwer zu schätzendem Alter. Jemand von der Sorte, die nach spät einsetzender und lang andauernder Pubertätsphase sogleich ins Seniorenalter übertritt. Die Phase dazwischen wird einfach ausgelassen. Typ Günter Jauch, dachte Lorant.
"Ja, dann wollen wir mal sehen", sagte Dr. Purwin, nachdem Lorant ihm seine Beschwerden geschildert hatte. Purwin rollte dabei mit seinem Bürostuhl herum, was Lorant irgendwie nervös machte. Mit ein paar sicher und gekonnt wirkenden Handgriffen hatte er Lorants Eigendiagnose bestätigt: Ischias. "Kommen Sie regelmäßig zur Reizstrombehandlung, bis es weg ist. Außerdem gebe ich Ihnen eine Spritze."
"Gut."
Nachdem Lorant seine Spritze bekommen hatte, drückte Purwin ihm noch immerhin so kräftig gegen den Oberkörper, dass der Detektiv aufschrie.
"Bauchprellung würde ich sagen. Haben Sie eine Schlägerei hinter sich?"
"Ich bin ein friedlicher Mensch."
"Ich habe ja auch nicht gesagt, dass SIE geschlagen haben, Herr..."
"Lorant."
"Ja, genau."
"Ich war nur etwas ungeschickt", meinte Lorant. Und irgendwie war das ja auch noch nicht einmal eine richtige Lüge.
"Naja, wie auch immer... Zur Reizstrombestrahlung können Sie kommen, wann Sie wollen. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, gibt es bei uns auf Grund guter Organisation kaum Wartezeiten..."
"Ja, das ist beachtlich."
"Auf Wiedersehen, Herr Lorant."
Schon