Führen als Beruf. Boris Kaehler

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Führen als Beruf - Boris Kaehler

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im Interesse der eigenen Karriereentwicklung als auch im Interesse der zu lösenden Sachfragen. Auch wenn man es sich wünschen mag: Es geht eben nicht nur um gute Führungsarbeit und untadeliges Verhalten, sondern auch um innerbetriebliche Konflikt- und Konkurrenzsituationen. Das beste Führungskonzept nützt Ihnen gar nichts, wenn man Ihnen mit Ihrem Job auch die Möglichkeit nimmt, es umzusetzen. Ohne mikropolitische Strategien hält sich niemand lange in einer Führungsposition. Machtsicherung und Mikropolitik sind also untrennbar mit jeder Führungsposition verbunden und beanspruchen nicht unerheblich viel Zeit und Energie der Führungskräfte. Es ist ein klassischer Fehler von Teilzeitführenden und privat stark belasteten, sich wegen der begrenzten Arbeitszeit nur noch um inhaltliche Dinge zu kümmern. Sie gehören aber zwingend dazu. Fast jede Führungskraft hat daher schon entsprechende Ratgeber gelesen, seien es klassische Werke z. B. von Sun Tzu, Machiavelli und Carnegie oder moderne Managementbücher von Kotter und Greene. Nicht wenige lassen sich diesbezüglich auch systematisch coachen und beraten. Praxistipps für die mikropolitische Arena finden Sie in Tabelle 4. Als Führungskraft müssen Sie die üblichen Spielchen kennen und selbst beherrschen. Vergessen Sie aber nicht: Mikropolitik ist nicht Ihr Hauptjob, sondern nur die Voraussetzung dafür, dass Sie ihn machen können.

      Mikropolitisches Geschick ist unabdingbar.

      Mikropolitik ist aber auch eine Aufgabe der Mitarbeiterführung. Dies zum einen deshalb, weil das Management der Beziehungen und Konflikte eine Führungsaufgabe ist, bei der die übergeordneten Instanzen in der kompensatorischen Verantwortung stehen (Kapitel 10). Statt eine Laissez-faire-Linie zu verfolgen, müssen Sie für die Bündelung der Energien auf gemeinsame Ziele sorgen und unfaire mikropolitische Spielchen unterbinden. Zum anderen ist machtpolitisches Vorgehen umso erforderlicher, je weniger Gewissheiten, d. h. je weniger organisatorische Regelungen bestehen38. In solchen Fällen vervielfachen sich die mikropolitischen Aktivitäten der Beteiligten. Es ist daher an der Führungskraft, auf klare Aufgabenzuordnungen, wohldefinierte Prozesse und explizite Verhaltensregeln sowie Eskalationswege für Konflikte zu dringen. Ansonsten füllen Machtkämpfe das Vakuum und die Mitarbeiter verbringen früher oder später einen Großteil ihrer Zeit damit, sich gegen Angriffe abzusichern, mögliche Gegner zu neutralisieren und ihrerseits bewusste Übergriffe auf fremde Territorien zu unternehmen. Auch wenn selbst bei optimaler Organisation immer ein Restbedarf an Mikropolitik besteht: Ohne Regeln und Schiedsrichter wird aus jedem Spielfeld ein Kampfplatz.

      Der Beruf der Führungskraft kann stressig sein, oft über weite Strecken. Dabei verstehe ich unter Stress einen negativen Spannungszustand, der mit Kontrollverlust assoziiert ist39. Zum einen entspricht dies dem normalen Sprachgebrauch, denn wer über positiven Stress redet, sagt dies fast immer dazu. Zum anderen beinhaltet dieses Begriffsverständnis bereits die entscheidende Gegenmaßnahme: Kontrolle zurückgewinnen. Stress kann zum einen aus schierer Überlastung resultieren. Die Übernahme einer chaotischen Abteilung oder einer sehr herausfordernden Belegschaft bedeuten zu Beginn meist sehr viel Arbeit. Eigentlich sollten Organisationen so flexibel sein, solche Phasen mit Zusatzressourcen zu unterstützen. Beispielsweise können externe Berater Teilprojekte übernehmen oder erfahrene Mitarbeiter anderer Bereiche das Team und seine Leitung zeitweilig unterstützen. Da aber die wenigsten Organisationen eine klare Vorstellung davon haben, was die Führungstätigkeit genau beinhaltet und sie daher auch die erforderlichen Zeitressourcen nicht präzise abschätzen können, wird das Problem in aller Regel individualisiert. Mit anderen Worten: Die Führungskraft puffert den Zusatzaufwand durch Arbeitszeitverdichtung und –verlängerung ab. Man rennt den ganzen Tag von einer Baustelle zur nächsten, wird von Anfragen überschüttet und rückt ad hoc aus, um Brände zu löschen. Dies füllt den Tag, und so kommt man erst am Abend oder am Wochenende dazu, die neuen Strukturen zu entwickeln, die solchen Zuständen auf die Dauer vorbeugen. Gutes Zeitmanagement hilft ein wenig, löst das Problem aber nicht wirklich. Ideal ist das nicht, und es besteht die große Gefahr, Netzwerk- und Strategiearbeit darüber zu vernachlässigen. Mitunter aber geht es nicht anders. Am besten lässt sich die Kontrolle zurückgewinnen, indem man sich auf eine Zeit der Mehrbelastung einrichtet und durch Grundlagenarbeit dafür sorgt, dass solche Phasen nicht zur Regel werden. Der Beruf der Führungskraft weist hier zwar eine gewisse Besonderheit auf, das Thema Überlastung und Balance ist indes ein allgemeines, auf das wir in Kapitel 11 im Kontext der Aufgabenkategorie „Fürsorge“ zurückkommen.

      Stress gehört dazu, man muss ihn vertragen.

      Stress resultiert aber auch aus Reibung. Als Führungskraft steht man in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und kann es nicht immer allen recht machen. Konflikte gehören zum Geschäft. Solange es dabei halbwegs gesittet zugeht, das eigene Verhalten gerechtfertigt erscheint und die Führungsposition nicht in Frage gestellt wird, ist dies wenig problematisch. Mitunter gerät man aber – ob gewollt oder ungewollt – in Eskalationsspiralen, die sehr belastend sein können. Eine zu scharf formulierte E-Mail oder ein zu hartes Wort im Meeting lassen manchen nächtelang nicht schlafen. Nicht immer hat man solche Konflikte selbst zu verantworten. Es gibt genug Zeitgenossen, die gar nicht an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind, sondern im Betrieb schlicht ihre Neurosen und/oder Machtgelüste ausleben. Wer mit solchen Menschen zu tun hat und kein Duckmäuser ist, gerät fast zwangsläufig mit ihnen aneinander. Mit ein wenig Pech oder Ungeschicklichkeit können daraus multiple Konfliktherde entstehen, die in Summe die eigene Reputation und Position gefährden oder sich zumindest so anfühlen. Dies wiederum erhöht den psychischen Druck ungemein. In diesen Dingen die Kontrolle zu behalten, ist gar nicht so einfach. Wer nicht schon von Natur aus tiefenentspannt ist, lernt im Laufe der Führungsjahre, diesbezüglich eine gewisse Gelassenheit an den Tag zu legen. Oft kann man durch die eigene Kommunikation auch dazu beitragen, mittelfristig ein für alle besseres Betriebsklima zu schaffen. Dass es aber immer nett zugeht und bei der Arbeit keinerlei Beziehungsstress aufkommt, wäre eine eher unrealistische Erwartung.

      Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter nicht als Selbstzweck, sondern als „Human Resources“XVI, mittels derer sie ihre jeweiligen Leistungen für die Außenwelt erbringen. Nichts anderes gilt für Behörden und die meisten nichtkommerziellen Institutionen, wenn sie ihren Organisationszweck nicht verfehlen wollen. Dabei stehen zunächst einmal die betriebswirtschaftlichen Kategorien von Nutzen und Aufwand im Vordergrund. Auch die Belegschaftsinteressen haben aber ihren Platz: Erstens sind Organisationen und Führungskräfte gut beraten, ihre Mitarbeitenden als Stakeholder zu betrachten und deren Belange in die o. g. „sonstigen Ziele“ einfließen zu lassen. Menschen haben schließlich eine menschliche Würde und menschliche Bedürfnisse. Stärker als je zuvor fordern auch Kunden, Investoren etc. soziale Standards ein. Zweitens sind Führungskräfte zwar Arbeitgebervertreter, ihrem betriebswirtschaftlichen Streben sind aber äußere Grenzen gesetzt. So gleicht das deutsche Arbeitsrecht die strukturelle Überlegenheit des Arbeitgebers in vielen Punkten aus – es wird nicht umsonst als „Schutzrecht des Arbeitnehmers“ definiert. Auch bilden Gewerkschaften und Betriebsräte bzw. Personalräte als Arbeitnehmervertretungen einen schlagkräftigen Gegenpol. Zudem sorgt der Arbeitsmarkt, jedenfalls in guten Zeiten, für Konkurrenzangebote und eine starke individuelle Verhandlungsposition der Mitarbeiter. Es gibt natürlich Interessengegensätze zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung hält aber durchaus Mechanismen bereit, um sie zum Ausgleich zu bringen. Führungskräfte können und dürfen daher also keinen Manchesterkapitalismus betreiben. Drittens nähern sich die Interessen der Arbeitsvertragsparteien unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bei langfristiger Perspektive wieder an. Wer nicht nur in in den kommenden Monaten, sondern auf Jahre hinaus optimale Arbeitsleistungen erzeugen will, kommt aus reinem Eigeninteresse gar nicht umhin, sich Gedanken um Gesunderhaltung, Entwicklung und Bindung seiner Mitarbeiter zu machen und diese anständig zu behandeln. Fakt ist aber: Führungskräfte sind Arbeitgebervertreter. Faire und menschliche Arbeitsbedingungen entstehen aus den o. g. Nutzenerwägungen heraus sowie aus der regulierenden Einwirkung des Gesetzgebers, des Arbeitsmarktes und der gewählten Arbeitnehmervertretungen. Im Interesse der Menschen sollte unsere Gesellschaft diese Mechanismen pflegen und fortentwickeln. Führungskräfte

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