Führen als Beruf. Boris Kaehler

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Führen als Beruf - Boris Kaehler

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sind nachdrücklich angehalten, Selbstführung zu ermöglichen.

      Bedingungslose Selbstführung funktioniert leider nicht.

      Wie aber ist mit Selbstführungsdefiziten umzugehen? Neben dem Primat der Selbstführung sieht das Modell der Komplementären Führung ergänzende komplementäre Akteure vor – u. a. daher der Name. Dies geht auf den Theorieansatz der Geteilten Führung (engl. „shared leadership“) zurück, der die eigentlich selbstverständliche Tatsache ins Bewusstsein ruft, dass Führung nicht nur Führungskräften obliegt, sondern mehrere Führende zusammenwirken31. Führung ist de facto immer ein kollektives Geschehen. Entsprechend sind auch die 24 Führungsaufgaben nicht etwa nur durch die Führungskraft oder nur durch den Mitarbeiter zu erfüllen. Vielmehr wirken an jeder Aufgabe i. d. R. mehrere Akteure mit. Abbildung 5 gibt einen Überblick über das Kernmodell der Komplementären Führung und verdeutlicht den Zusammenhang: Die beiden Führungsfunktionen der Ordnung und Unterstützung konkretisieren sich in acht Kategorien von Führungsaufgaben, an denen mehrere komplementäre Führungsakteure beteiligt sind.

      Niemand führt allein.

      Als Linienmanager sind Sie einer von diesen Akteuren, und wenn man die Grundidee der Geteilten Führung um den oben diskutierten Aufgabenbezug und ein kompensatorisches Mandat erweitert, konkretisiert sich die Rolle der wirksamen Führungskraft. Sie besteht darin, Defizite in der Selbstführung jedes einzelnen Mitarbeiters zu kompensieren. Dies ist sogar der wesentliche Grund dafür, dass es die Position der Führungskraft überhaupt gibt und geben muss. Nur sie kann situativ abschätzen, welche Führungsaufgaben nicht durch den Mitarbeiter erfüllt werden und geeignete Maßnahmen ergreifen. Dort, wo Selbstführung funktioniert, muss sie sich zurückhalten. Aber sie funktioniert nicht immer. Um mit Robert Greenleaf zu sprechen: „Perfekte Leute könnte jeder führen – wenn es sie gäbe“32. Es gibt sie nicht, und jemand muss das ausgleichen. Sie als Führungskraft sollen mitbekommen, welche der 24 Führungsaufgaben ein Mitarbeiter wann nicht selbst übernimmt und dann – aber nur dann – eingreifen. Manchen Führungskräften fällt die Zurückhaltung schwer, anderen die Intervention, aber der Führungsjob erfordert eben beides. Schließt ein Mitarbeiter z. B. seine Qualifikationslücken selbst und löst seine Konflikte allein, soll die Führungskraft nicht intervenieren, sondern bestenfalls bestärken. Tut er dies aber nicht, so muss sie intervenieren, und zwar mit der vollen Autorität ihrer Position. Gegen Positionsmacht wird gern polemisiert, aber aber es gibt sie und hier zeigt sich, wozu sie gut ist. Persönliche und moralische Autorität auszustrahlen ist eine schöne Sache, reicht aber leider nicht aus.

      Führungskräfte kompensieren Selbstführungsdefizite.

      Wie Tabelle 3 aufzeigt, hat die Führungskraft bei ihrer kompensierenden Intervention unterschiedliche Optionen. Eine davon besteht darin, die Einflussnahme zu delegieren, denn natürlich können auch Kollegen des Mitarbeiters Führungsaufgaben übernehmen. So finden z. B. sehr viel Qualifizierung und Konfliktlösung in kollegialer Runde am Arbeitsplatz statt. Dies kann, muss aber nicht zwingend auf die Führungskraft zurückgehen. Oft genug übernehmen auch Kollegen Führungsaufgaben, aus eigenem Antrieb oder weil sie vom Betreffenden selbst dazu aufgefordert werden.

      Bliebe es dabei, so hätte das Theoriemodell eine fatale Schwachstelle: Auch Führungskräfte sind nicht perfekt. Den meisten rutscht immer wieder einmal ein Selbstführungsdefizit des Mitarbeiters durch. Unter dutzenden Führungskräften sind außerdem, wie jeder Personaler weiß, immer auch einige, die ganz grundsätzlich nicht willens oder in der Lage sind, ihrer kompensatorischen Rolle gerecht zu werden. Dies stellt zwar eine Missachtung ihrer eigenen Dienstpflichten dar (sofern sie entsprechend konkretisiert sind).

      Es kommt aber oft genug vor, und ein sinnvolles Führungsmodell braucht also auch hier ein Korrektiv. Dieses Korrektiv bilden der Personalbetreuer und die obere Führungskraft als weitere kompensatorische Instanzen (Abbildung 6). Auch sie müssen nach denselben Prinzipien agieren, also die Selbststeuerung der Führungskraft achten, wo sie funktioniert und eingreifen, wo die Führungskraft Selbstführungsdefizite des Mitarbeiters de facto nicht schließt. Beide haben dabei ähnliche Interventionsmöglichkeiten wie die in Tabelle 3 aufgezeigten. Für Sie als Führungskraft bedeutet dies: Sie können, wenn Ihre Organisation hier ordentlich aufgestellt ist, bei Interventionen auf die Hilfe Ihres Personalbetreuers und Ihrer eigenen Führungskraft zurückgreifen. Bei Bewerberinterviews und Kündigungsgesprächen ist dies in den meisten Unternehmen sogar das normale Prozedere; es funktioniert aber bei allen anderen Führungsaufgaben ganz genauso. Auf der anderen Seite sollten Sie sich nicht wundern, wenn Ihr Personalbetreuer Sie auf Missstände aufmerksam macht. Ohne dieses balancierte System von Kontrolle und Verantwortung (engl. „checks and balances“) kann Personalführung gar nicht flächendeckend funktionieren.

      Personaler und obere Führungskräfte sind ein zusätzliches Korrektiv.

      Bislang haben wir uns auf das Kernmodell der Komplementären Führung mit seinen drei Elementen konzentriert: Die komplementären Führungsakteure erfüllen gemeinsam die komplementären Führungsaufgaben, in denen sich die beiden komplementären Führungsfunktionen der Ordnung und Unterstützung konkretisieren. Das alles dürfte plausibel sein. Sie hätten aber Schwierigkeiten, es in der Praxis mit Leben zu füllen, denn das Ganze ist doch reichlich abstrakt. Es bedarf weiterer Modellelemente, um einen Beruf zu konstituieren, der sich tatsächlich praktizieren lässt: Die Umsetzungselemente. Erst durch sie wird Führung so konkret, dass Sie als Führungskraft darin Ihren Beruf wiedererkennen.XIII.

      Das erste dieser in Abbildung 7 dargestellten Umsetzungselemente bilden die Führungsroutinen, die nichts anderes sind als Aktivitäten. Man kommt sicher nicht ohne weiteres darauf, aber wenn ich Ihnen verrate, dass unsere 24 Führungsaufgaben eigentlich Aufgabenstellungen sind, werden Sie das leicht nachvollziehen können. Motivieren, qualifizieren, gesund erhalten etc. sind keine Aktivitäten, sie hören sich nur so an. In Wirklichkeit handelt es sich um angestrebte Ergebnisse, und wir brauchen zusätzlich einen Katalog von Führungsaktivitäten – z. B. regelmäßige Gespräche und Sitzungen – mittels derer wir sie verwirklichen. Außerdem brauchen wir einen Katalog von Führungsinstrumenten, unter denen ich formalisierte Hilfsmittel wie Formulare, Programme oder Systeme verstehe. Ferner müssen wir uns noch Gedanken über die erforderlichen Führungsressourcen Zeit, Information, Kompetenz und Feedback machen und schließlich den Führungsaufbau im Sinne der Gestaltung der beteiligten Organisationseinheiten berücksichtigen. Systematisch lässt sich der Zusammenhang der sieben Elemente dann folgendermaßen beschreiben: Führende verwirklichen die Dienstleistungsfunktionen (Ordnung und Unterstützung), indem sie Aufgaben (z. B. Leistungsfeedback) mittels Routinen (z. B. Gesprächen) erfüllen, wenden dabei Instrumente an (z. B. Arbeitszeitregelungen), benötigen dafür Ressourcen (z. B. Geschäftsinformationen) und tun dies alles auf Basis des Aufbaus (z. B. des Zuschnitts ihrer Stelle). All dies sei hier nur zur Vollständigkeit in Überblicksform skizziert. Wir gehen im Verlauf des Buches noch genauer auf die einzelnen Umsetzungselemente ein. Sie werden vielleicht eine Weile brauchen, bis Sie den Überblick haben. Diese reale Komplexität kann ich Ihnen aber nicht ersparen. Jeder andere Beruf – denken Sie z.B. einmal an Maurer, Richter oder Polizisten - ist de facto ähnlich vielschichtig.

      Vier Umsetzungselemente machen das Modell praktikabel.

      Führungsleistung ist das, was ein implizites oder explizites Führungsmodell als Führungsleistung definiert. Wenn Ihre Organisation es als Leistung ansieht, lange im Büro zu sitzen, dann ist dies eben der Maßstab. Wenn Bernd Stromberg aus der gleichnamigen Fernsehserie den Chef als „eine Art Büroanimateur“ definiert, so ist auch dies ein Maßstab. Hat eine Organisation oder eine Führungskraft gar keine konkrete Vorstellung vom Führen, so lässt sich natürlich

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