Führen als Beruf. Boris Kaehler
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Berufe werden über Aufgaben definiert.
Aufgabenmodelle der Führung gibt es in der Literatur viele. Schon Fayol (1916), Barnard (1938), Drucker (1973), Mintzberg (1975), Kouzes/Posner (1987) und Malik (2000) haben diesen Weg beschritten25. Entscheidend ist dabei, das Führungsgeschehen über normative Aufgabenpakete prägen zu wollen. Die genaue Ausgestaltung des Katalogs ist hingegen teilweise Geschmackssache, denn natürlich lassen sich die einzelnen Führungsaufgaben nach Belieben differenzieren und kategorisieren. Auch liegt nicht alles jedem Autor gleichermaßen am Herzen. Jede Führungsaufgabe besteht zudem aus diversen Elementaraufgaben, die nicht führungsspezifisch sind. Handlungsziele zu definieren, Lob auszusprechen oder eine Ressource zuzuweisen sind solche Elementaraufgaben, die man in vielen Berufen zu erfüllen hat. Erst ihre führungsspezifische Zielstellung und Bündelung ergibt Führungsaufgaben.
Wenn ich größere Zuhörergruppen aber bitte, mit mir ein kleines Brainstorming zu Führungsaufgaben durchzuführen, kommen meist etwa zwei Drittel des in Tabelle 2 dargestellten Katalogs dabei heraus. Dies ist wenig verwunderlich, denn der ganze Aufgabenansatz folgt implizit einer bestimmten Prämisse. Diese ist ganz entscheidend für ein richtiges Verständnis von Führung, erschließt sich aber erst bei näherer Betrachtung. Unsere Personalführungsdefinition war ja verkürzt „Steuerungseinfluss auf Menschen in einer Organisationseinheit zum Zweck der Erzeugung von Arbeitsleistungen“. Entsprechend steht hinter dem Katalog der Führungsaufgaben die Frage, was ein Mensch benötigt, um nachhaltig produktive Arbeit zu leisten. Personalführung dient also der Herstellung dieser Leistungsbedingungen, und die Führungsaufgaben konkretisieren sie. Dies erklärt, warum die Brainstorming-Vorschläge berufserfahrener Menschen hier nicht sonderlich weit streuen. Ohne Auftragsverständnis, Qualifikation, Motivation etc. keine Arbeitsleistung – das weiß jeder, der schon einmal gearbeitet hat. Der hier propagierte Katalog soll ganzheitlicher und vollständiger sein als die herkömmlichen Entwürfe und wirklich alle Leistungsbedingungen abbilden. Unternehmen und Führungskräfte, die ihn in betriebliche Konzepte übersetzen, kategorisieren und benennen die Aufgaben für sich aber meist etwas anders, ihrem eigenen Sprachgebrauch entsprechend.
Führungsaufgaben sind Leistungsbedingungen.
In der Systematik der Komplementären Führung sind die Führungsaufgaben das vielleicht wichtigste Element, denn sie bilden den Bezugspunkt aller anderen Modellelemente. So konkretisieren sich in den Aufgaben u. a. die oben diskutierten Dienstleistungsfunktionen, also die Ordnungs- und die Unterstützungsfunktion der Führung. Dabei verwirklicht jede einzelne Aufgabe beide Funktionen gleichermaßen. Wenn Führende z. B. Leistungsfeedback geben oder einen Konflikt schlichten, so hat dies sowohl einen helfenden als auch einen disziplinierenden Aspekt. Diese stehen in einem je nach Anwendungssituation völlig unterschiedlichen Mischungsverhältnis. Immer aber trägt die Aufgabe Züge beider Aspekte.
Jede Führungsaufgabe verwirklicht beide Funktionen.
Die Leitidee des eigenverantwortlich handelnden Mitarbeiters
Wer mit dem Werk von Managementautor Reinhard Sprenger vertraut ist, wird eben beim Wort „Motivation“ kurz gezuckt haben. Man soll Mitarbeiter nicht motivieren, haben viele von ihm gelernt26. Und das stimmt natürlich, jedenfalls zumindest dem Grundsatz nach: Mitarbeiter sollen sich bitteschön selbst motivieren. Führungskräfte sollen diese Eigenmotivation in den Vordergrund stellen und nicht zerstören. Dies gilt aber nicht nur für Motivation, sondern für alle Führungsaufgaben. Wirklich professionelle Mitarbeiter suchen sich ihre eigenen Aufgaben, beurteilen und kontrollieren sich selbst, lösen ihre Konflikte eigenständig, schließen proaktiv ihre Qualifikationslücken etc. Genau diese Prämisse, Selbststeuerung vor Fremdsteuerung, ist der Dreh- und Angelpunkt guter Führungskonzepte. „Wer führt darf denen, die er führt, nicht im Wege stehen“ (Laotse27). Sie ist der Dreh- und Angelpunkt des Komplementären Führungsmodells und sollte auch der rote Faden Ihres Handelns als Führungskraft sein.
Dieses Prinzip der Selbstführung ist gerade wieder aktuell, man liest viel davon. Das ist durchaus zu begrüßen. Eigentlich handelt es sich aber um ein zeitloses Thema und eines der Grundmotive wirksamer Führung überhaupt. So merkte Mary Parker Follett schon 1930 an: „Aufgabe der Höher gestellten ist nicht, Entscheidungen für ihre Untergebenen zu treffen, sondern ihnen beizubringen, wie sie ihre Probleme selbst bewältigen und ihre eigenen Entscheidungen treffen“28. 1954 stellte Peter F. Drucker seine Technik „Management by Objectives and Self-control“ vor und bezeichnete sie als Managementphilosophie der Freiheit29. In den 1960/70er Jahren löste das sog. „Harzburger Modell“30 in der deutschen Wirtschaft eine Revolution von oben aus. Das damals verbreitete autoritär-patriarchalische Führungsverhalten sollte durch ein betrieblich verankertes System der Delegation von Entscheidungsfreiheiten abgelöst werden. Dies war großflächig erfolgreich und in hohem Maße prägend für die hiesige Führungskultur (auch wenn es mancherorts noch immer autoritärpatriarchalisch zugeht)XII. Der in praktisch allen deutschen Unternehmen genutzte Begriff „Mitarbeiter“ stammt von dort und zeigt, wie weit dieser Führungsansatz, der im Übrigen besser ist als sein Ruf, noch immer verbreitet ist. Selbstführung ist also kein neues, sondern ein hoch etabliertes Konzept.
Wenn Mitarbeiter (da ist das Wort wieder) sich weitgehend selbst führen, hat dies viele Vorteile. Die meisten Menschen besitzen eine ausgeprägte Aversion gegen Fremdsteuerung und erleben Handlungsspielräume als anregend, selbstwertsteigernd und motivierend. Überlegen Sie doch einfach einmal, was Sie selbst leistungsfähiger macht: Möchten Sie gern eigenverantwortlich handeln oder auf Schritt und Tritt Anweisungen bekommen? Eben, und Ihren Mitarbeitern geht es sicher nicht anders. Unter dem Gesichtspunkt der Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit – dass Modewort „Agilität“ vermeide ich hier bewusst – ist Eigenverantwortung ebenfalls unabdingbar. Diejenigen, die den Sachverhalt, den Kunden, die Maschine etc. aus eigener Anschauung kennen, können in der Regel auch schnellere und angemessenere Entscheidungen treffen. Bei Zusammenbrechen der Kommunikationswege oder Ausfall des Chefs ist Selbstführung sogar die Voraussetzung dafür, überhaupt noch handlungsfähig zu sein. Darüber hinaus wird die Ressource Führungskraft geschont: Wer Mitarbeiter nicht rundum bemuttert, kann mehr von ihnen führen oder sich um Sachaufgaben kümmern. Jede Menge Vorteile also. Aus einer rein theoretischen Perspektive ist ein gewisses Maß an Selbstführung ohnehin unvermeidlich, weil totale Fremdsteuerung in der Realität gar nicht vorkommt. Daraus folgt: Führung ist nie alleinige Aufgabe der Führungskraft, sondern de facto immer zum Teil Selbstführung. Diesen Teil gilt es auszubauen.
Selbststeuerung ist ein superiores Führungsprinzip.
So populär die Idee der Selbstführung auch ist, so wenig hilfreich sind die Ausführungen, die man allenthalben darüber findet. Dies liegt zum einen daran, dass fast immer unklar bleibt, was überhaupt konkret darunter zu verstehen ist. Unsere obige Definition – Steuerungseinfluss zum Zwecke der Erzeugung von Arbeitsleistungen – lässt sich auch auf die Selbstführung anwenden und geht damit weiter als die meisten Quellen, ist aber natürlich auch noch nicht konkret genug. Zum anderen wird Selbstführung oft mit bedingungsloser Selbstbestimmung gleichgesetzt. Diese aber gibt es ebenso wenig wie totale Fremdsteuerung. Organisationen funktionieren arbeitsteilig, und damit geht immer auch eine gewisse Einflussnahme von außen einher. Komischerweise sagt Ihnen keiner der Texte, die Sie bei einer Literaturrecherche zum Thema finden, welche Grenzen dem Ganzen zu setzen sind und was bei versagender Selbstführung zu tun ist. Das ist aber ja genau der Knackpunkt, denn niemand von uns ist in der Lage, sich immer, in jeder Hinsicht und vollumfänglich selbst zu führen. Auch kennen wir alle Mitarbeitende mit massiven Selbstführungsdefiziten. Der Ansatz der Komplementären Führung löst diese Frage, indem Führung auf die Führungsaufgaben heruntergebrochen wird – wir kommen gleich noch darauf zurück. Selbstführung bedeutet also, möglichst viele Führungsaufgaben