Führen als Beruf. Boris Kaehler

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Führen als Beruf - Boris Kaehler

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Glauben an Vision und Inspiration, harte Resultatorientierung und eher rudimentäre arbeitsrechtliche Vorgaben geprägt. Anhänger dieser kulturellen Denkrichtungen werden mein Buch mit Skepsis lesen. Das Komplementäre Führungsmodell kommt ja eher nüchternsäkularisiert daher, betont den Wert der Selbststeuerung, aber auch der klassische Positionsmacht, und bildet die Wertentscheidungen des deutschen und europäischen Arbeitsrechts sowie der sozialen Marktwirtschaft ab. Es handelt sich also gewissermaßen um eine europäische Führungsphilosophie. Man muss auch immer schauen, welche Ziele mit Führung verbunden werden. Das betriebswirtschaftliche Ideal einer nachhaltigen Maximierung der Arbeitsleistungen und Stakeholder-Bedürfnisse wird sicher nicht von allen Organisationen und Führenden geteilt, und muss es ja auch nicht. Wenn aber gar nicht die Resultate, sondern z. B. die Versorgung von Positionsinhabern das Führungssystem legitimieren und prägen, bevorzugt man auch andere Konzepte. Grundsätzlich aber gilt: Komplementäre Führung ist in allen Branchen, zu allen Zeiten und in allen Ländern anwendbar, und zwar so, wie die Branche, die Zeit und das Land es erfordern.

      Komplementäre Führung lässt sich als europäischer Gegenentwurf verstehen.

      Apropos Zeit: Leben wir neuerdings wirklich, wie uns vermeintliche Expertinnen und Experten ständig versichern, in einer VUCA-Welt? Sind Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität tatsächlich so viel größer als früher? Natürlich bringt die digitale Transformation große Veränderungen der Wirtschaft und des Arbeitslebens mit sich. Ob diese Änderungen freilich so viel dramatischer sind als z. B. jene, die in vergangenen Epochen mit Kriegswirtschaft, Weltwirtschaftskrisen und Globalisierung einhergingen, lässt sich bezweifeln. Mehr als seine Kunden, sein Unternehmen und seinen Job kann man im Wirtschaftsleben nicht verlieren, und die jeweiligen historischen Gründe dafür dürften den Betroffenen herzlich egal sein. Natürlich geht die digitale Transformation – wie alle gesellschaftlichen Umwälzungen zuvor – mit besonderen Anforderungen einher. Neue Führungssysteme braucht man dafür allerdings nicht. Um sich für die neue Wirtschaftswelt zu rüsten, müssen Organisationen sich wettbewerbsfähig aufstellen, effizient und effektiv arbeiten, Absatz-, Produktions- und Ressourcenprozesse im Griff haben und Innovation, Kundennähe und Selbststeuerung zum Prinzip erheben. Nichts davon ist neu, alle wesentlichen Aspekte wurden in 100 Jahren Managementgeschichte eingehend thematisiert. Die Tatsache, dass viele Unternehmen, Behörden und Vereine sich mit den erforderlichen Umstellungen schwertun, hat wenig mit Technologie- und Wertewandel zu tun und viel mit Ignoranz gegenüber evidenten Grundsätzen der wirtschaftlichen Betriebsführung. Feedbackschleifen und Kreativität sind keine Erfindung des neuen Millenniums. Die Digitalisierung bewältigen auch nicht die am besten, die die meisten „Design Thinking“-Workshops veranstalten, Agile Coaches beschäftigen oder Hängeschaukeln aufhängen. Digitale Transformation erfordert kein wildes Herumexperimentieren, sondern durchdachte Managementstrukturen.

      Die Digitalisierung erfordert gute Führung, keine neue.

      Leider gibt es auf dem Marktplatz der Ideen auch sonst sehr viel ausgemachten Unsinn. Auf wenigen Gebieten wird so viel Pseudowissen verbreitet wie auf dem der Führung. Eine Generalabrechnung will ich Ihnen ersparen, aber einige Irrlehren müssen Sie kennen, um nicht vom nächsten Bestseller oder Managementtraining gleich wieder aus der Verständnisbahn geworfen zu werden. Diese haben nämlich die unerfreuliche Tendenz, die ewig gleichen Säue durchs Dorf zu treiben, sie aber immer hübsch neu zu verkleiden. Wer dies nicht durchschaut, fühlt sich schnell wie ein Ignorant, ganz wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Eine bewusst pointierte Verkürzung aus meiner Sicht wenig brauchbarer Führungslehren bietet Tabelle 1. Nicht überall ist der Kaiser splitternackt, aber so prächtig, wie man uns einreden will, kleiden ihn seine Unterhosen auch nicht.

      Besonders glattes Terrain betritt der Laie dort, wo von „Leadership“ die Rede ist. Zwar handelt es sich zunächst einmal nur um die wörtliche Übersetzung von Führung, mithin im Deutschen einen synonymen Anglizismus. Das Problem besteht indes darin, dass in beiden Sprachen auch das Wort „Management“ existiert, was dazu einlädt, sie mit unterschiedlichen Bedeutungen zu benutzen. Dabei wird dann Management gern als ein verwalterisches Führen verstanden, im Gegensatz zu Leadership als visionärem/begeisternden Führen18. Meist sollen Führungskräfte beides könnenVIII. Das überzeugt nicht, da es dem allgemeinen Sprachgebrauch der Führungswissenschaft und - praxis widerspricht, wo beide Termini ständig synonym oder jedenfalls mit großen Schnittmengen benutzt werden. Das Ganze entspricht dem Versuch eines Marmeladenfreundes, Orangen als unansehnliche Saftgeber und Apfelsinen als knackige Fruchtstückchen darzustellen. Mein Rat: Vergessen Sie es und betrachten Sie Führung, Management und Leadership als Synonyme.

      Leadership vs. Management ist eine unsinnige Differenzierung.

      Apropos Begriffshuberei: Der prototypische Führungsautor und - trainer scheint nicht ohne Akronyme, Wortspiele und Metaphern auszukommen. Auch pseudo-wissenschaftliche Vierfelder-Schemata dürfen nicht fehlen, wobei diese bei näherem Hinsehen fast immer reinen Unsinn enthalten (die meisten Sachverhalte haben sehr viele Dimensionen und lassen sich im Zweiachsendiagramm schlicht nicht darstellen). Abbildung 3 zeugt davon, wie plausibel reiner Stuss klingen kann, wenn er uns in ansprechender Form dargeboten wird. Ignorieren Sie solchen Budenzauber einfach und konzentrieren Sie sich darauf, ob irgendwelche umsetzungsrelevanten Erkenntnisse mitgeliefert werden. Und wo man Sie davon überzeugen will, auf evidenzbasierte Konzepte zu setzen, werden Sie erst recht misstrauisch. Trotz vieler Jahrzehnte weltweiter universitärer Forschung liegen leider sehr, sehr wenige praktisch brauchbare Resultate vorIX.

      Schauen sie sich einfach kritisch an, welche Evidenz genau herangezogen wird, und Sie werden fast immer enttäuscht sein. Vorsicht auch mit Studien von Beratungshäusern, die zu Marketingzwecken in Presse und sozialen Medien lanciert werden. Sie täuschen oft wissenschaftliche Erkenntnisse vor, sind methodisch aber i. d. R. ungenügend und bestehen meist zur Hälfte aus Worthülsen. Überhaupt wird viel geschwurbelt in der Führungsszene. Visionen und Inspiration verbreiten, Wandel anstoßen, Vertrauen aufbauen, Resultate erzielen, Loben, mitreden lassen, Vorbild sein – so wird uns Führung allenthalben vermittelt. Ein echtes Berufsverständnis entsteht aus solchen Versatzstücken aber nicht. Jede dieser Phrasen ist gleichzeitig richtig und falsch, wir knöpfen sie uns in diesem Buch noch einzeln vor. Auch käme niemand auf die Idee, den Beruf des Bäckers auf ein paar Schlagworte, pathetische Apelle und Binsenweisheiten zu reduzieren. Das Gute ist: All dies erschließt sich kritischem Denken; man muss die vermeintlichen Einsichten nur hinterfragen und mit eigenen beruflichen Erfahrungen abgleichen.

      Wortspiele und simple Schemata erklären keinen Beruf.

      Bevor es konstruktiver wird, muss an dieser Stelle noch kurz auf einen Parade-Irrweg eingegangen werden, und zwar die Verwechslung von organisationaler Personalführung und politischer Führung i. S. v. Anführertum. Insbesondere die US-amerikanische Leadership-LiteraturX hängt einem Führungsverständnis an, das der politischen Sphäre und anderen unstrukturierten Kontexten entlehnt ist. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Richtungsentscheidungen, der Erringung eines Führungsmandats und dem Erreichen von Zustimmung. Visionen und Ziele dienen hier als Mittel zum Aufbau personeller Gefolgschaft, und personelle Gefolgschaft dient als Mittel zur Bindung an die Ziele. Mit organisationaler Führung hat das alles nur am Rande zu tun. Dort liegt der Schwerpunkt auf Erzeugung von Arbeitsleistungen mit begrenzten Ressourcen im Kontext spezieller Aufbau- und Prozessstrukturen und rechtlicher Vorgaben. Die Geführten sind vertraglich gebunden und eine maximale Bindung an Führungspersonen ist aus Organisationssicht überhaupt nicht wünschenswert (z. B. wg. möglicher Abwanderung und kollektiver Verfehlungen). Aus ebendiesem Grunde sollten Sie sich als Führungskraft nicht übermäßig an Abraham Lincoln, Nelson Mandela oder Ernest Shackleton orientieren, deren historisches Wirken mit Ihrem eigenen Führungsjob herzlich wenig zu tun hat.

      Personalführung ist kein Anführertum.

      Zwischen

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