Führen als Beruf. Boris Kaehler
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Führen als Beruf - Boris Kaehler страница 4
Komplementär zu führen, bedeutet für die Führungskraft, primär auf das Selbstmanagement der Mitarbeiter zu setzen, aber bei Bedarf kompensierend einzugreifen. Solchermaßen lassen sich die großen Vorteile der Selbststeuerung realisieren, ohne in naives Laissez-faire zu verfallen. Chef oder Chefin sind da, wenn sie gebraucht werden, aber verschwenden ihre Zeit nicht mit unnötigen Eingriffen, die zudem noch die Potenzialentfaltung ihrer Mitarbeiter behindern. Um sicherzustellen, dass alle Aufgabenstellungen der Führung umgesetzt werden – und zwar vorzugsweise von den Mitarbeitenden selbst –, müssen Führungskräfte bestimmte Führungsaktivitäten absolvieren. Diese Aktivitäten und Aufgaben konstituieren den Beruf der Führung. Dieses Führungskonzept ist gleichermaßen effektiv und effizient5. Effektiv deswegen, weil alle Führungsaufgaben und damit alle Leistungsbedingungen produktiver Arbeit wahrgenommen werden, und zwar auch bei Problemmitarbeitern. Solchermaßen erfüllt Führung ihren Zweck und bewirkt optimale Resultate einer Organisationseinheit. Unter Effektivität versteht man ja Wirksamkeit, also das Erreichen eines Ziels. Effizient deshalb, weil sparsam mit der „Ressource“ Führungskraft umgegangen wird und zugleich die großen Produktivitätsvorteile der Selbststeuerung genutzt werden. Unter Effizienz versteht man ja Wirtschaftlichkeit, d. h. ressourcenoptimierte Wegbewältigung. Was alles dahintersteckt, wird Ihnen im Verlauf des Buches noch klarer.
Komplementäre Führung ist effektive und effiziente Führung.
Wie Allgemeingültig können Führungsempfehlungen sein?
Management ist im Kern nichts anderes als die kluge Balance zwischen Regeln und Regelungsfreiräumen. Auf diese grundlegende Erkenntnis werden wir noch verschiedentlich zurückkommen. Regeln sind dauerhafte (nicht aber unveränderliche) Festlegungen. Vielen sind sie suspekt, und tatsächlich gibt es ja unendlich viele Beispiele dysfunktionaler und sinnloser Regelungen. Es gibt aber nichts Dümmeres, als betriebliche Regeln per se in Frage zu stellen, denn sie konstituieren den Betrieb überhaupt erst. Die Forderung nach ihrer Abschaffung wäre schon deshalb absurd, weil sie selbst eine Regel darstellte. Auch der Beruf des Führens lässt sich über Regelhaftigkeiten und Wirkprinzipien beschreiben. Organisationen geben ihren Führungskräften üblicherweise normative Vorgaben in Form von betrieblichen Führungsmodellen oder -grundsätzen an die Hand. Das ist auch wichtig, denn anders ist eine flächendeckend hohe Führungsqualität nicht zu erreichen. Der Ansatz der Komplementären Führung wurde gezielt als Strukturierungshilfe dafür entwickelt. Für Sie selbst als Anwenderin oder Anwender ist es aber letztlich egal, ob Sie Führungsregeln den Statuten Ihres Arbeitgebers oder einem Managementratgeber entnehmen, Hauptsache es sind die richtigen. Ohne Standards – ein anderes Wort für Regeln – geht es jedenfalls nicht, denn ein ständiges Wechseln von Führungsidee und -verhalten wäre für uns selbst ebenso unbefriedigend wie für unsere Mitmenschen im Betrieb. Es ist auch gar nicht nötig, denn natürlich lassen sich allgemeingültige Grundregeln für gute und wirksame Führung aufzeigen, die dauerhaft und situationsübergreifend gültig sind. „Mut zum Normativen“ wurde dies treffend genannt6, und aus dem Komplementären Führungsmodell lassen sich in der Tat normative Empfehlungen dieser Art ableiten.
Viele Führungsregeln lassen sich generalisieren
…
Freilich lässt sich gute Führung nicht vollständig standardisieren. Dauerhaft festzulegen, wie genau Menschen zu sein und wie ihre Interaktionen abzulaufen haben, würde bedeuten, jedwede situative Flexibilität einzubüßen und sich in Widerspruch zur wechselvollen Realität zu setzen. Aus diesem Grunde trifft das Komplementäre Führungsmodell keine Aussagen zur genauen Aufgabenverteilung unter den Führungsakteuren, zu Situationsvariablen im Stil herkömmlicher Kontingenztheorien, zu persönlichen und kommunikativen Anforderungen jenseits eines Mindeststandards und zu Anwendungskonflikten oder Dilemmata. All dies liegt im Bereich der Anwendung, und diese lässt sich nicht standardisieren. Sehr zu recht warnte Management-Vordenker Peter F. Drucker davor, das Verhalten und die Einstellung von Führungskräften in den Mittelpunkt zu rücken; sie begännen dann nämlich, sich gegenüber ihren Mitarbeitern übermäßig zu kontrollieren und so krampfhaft zu versuchen, sich immer »richtig« zu verhalten, dass jede lockere Beziehung zu ihnen unmöglich werde: „Oh je, der Alte hat ein Buch gelesen. Früher wussten wir, was er von uns wollte. Jetzt müssen wir raten.“7 Wirksame Führungskräfte – auch dies wusste schon Drucker – sind und agieren sehr unterschiedlich. Ein jeder muss den für sich passenden persönlichen Kommunikationsstil und die situativ richtige T onlage treffen. Das lässt sich reflektieren, üben und über die Jahre erlernen. Man kann auch – wie es in diesem Buch geschieht – exemplarische Empfehlungen in Form von Verhaltensbausteinen anbieten. Generalisieren aber lassen sie sich nicht, immer ist die einzigartige Situation der Maßstab. Es käme schließlich auch niemand auf die Idee, einem Verkäufer den Wortlaut seines Akquisegesprächs oder einem Lehrer vier situationsabhängige Unterrichtsstile vorzuschreiben.
…, ihre situative und individuelle Umsetzung nicht.
Von der Komplexität des Kaffeekochens
Ich halte ständig Vorträge, berate Unternehmen und schreibe Texte sowie Weiterbildungskonzepte. Die Resonanz darauf fällt durchweg positiv aus, das Modell der Komplementären Führung ist offenbar für die allermeisten Führungskräfte nachvollziehbar und hilfreich. Kritische Rückmeldungen betreffen eigentlich immer nur seine Komplexität. Ich habe noch niemanden kennengelernt, der die sieben Elemente und ihre Anwendung selbst nicht verstanden hätte, aber schon sehr viele, die dennoch steif und fest behaupteten, sie seien im Betrieb nicht vermittelbar. Und in der Tat sind wir aus Theorie und Praxis andere, mundgerechtere Führungskonzepte gewohnt. Am liebsten soll alles schön simpel sein und ohne Vorwissen für jedermann verständlich. Gewünscht wird die ultimative Formel für Führungserfolg in fünf einfachen Schritten oder nach einem unschlagbaren GrundprinzipV.
Ich kontere dann immer mit der Frage, in wie vielen Aspekten einem Unkundigen Kaffeekochen zu beschreiben wäre, so, dass er es versteht und mit Aussicht auf Erfolg umsetzen kann. Wasser, Strom, Kaffeepulver mit und ohne Koffein unterschiedlichen Geschmacks, Milch und Sahne, Zucker oder Süßstoff, unterschiedliche Maschinen, Knöpfe, Mengen und Befüllungsgrade, Stromzufuhr, Dauer, Geschirr, und Vorsicht, Verbrühungsgefahr… Sie verstehen, worauf ich hinauswill: Führung ist diffiziler als Kaffeekochen. Als Phänomen und Tätigkeit ist sie erheblich vielschichtiger, als es gemeinhin dargestellt wird. Kein Mensch käme auf die Idee, den Beruf des Piloten, Kochs, Wertpapieranalysten oder Gärtners in einem Vierfelderschema oder mit fünf Leitwerten zu beschreiben. Brauchbare Theoriemodelle können sich also unmöglich auf einige wenige Aspekte beschränken, sondern müssen zumindest die wesentlichen handlungsrelevanten Elemente aufgreifen und integrieren. Führungskräften darf und muss man diese