Führen als Beruf. Boris Kaehler
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Das Bedürfnis, einen Ratgeber zu schreiben, erwuchs im Kontext eines von mir entwickelten Führungskräfteentwicklungsprogramms1, das nach Begleitmaterial verlangte. Gedacht ist es als umfassende Grundausbildung in Sachen Führung. Ein solches Programm aus Seminaren und Coachings bietet natürlich mehr als ein Text: Verhalten wird geübt, Erfahrungen werden ausgetauscht und reales Führungshandeln reflektiert. Zum erfahrenen Führungsprofi reift man dann ohnehin erst durch ständige Anwendung in der Praxis. Entscheidend aber ist zunächst das richtige Führungsverständnis, und dieses kann man sich wunderbar anlesen. Langjährige Führungskräfte profitieren davon übrigens oft noch mehr als Nachwuchskräfte.
Ich danke herzlich meiner lieben Familie für ihre Geduld mit mir als Schreiberling, Eva Schnupping für das Lektorat, Oliver Maas von maasgestaltet für das Layout, dem Verlagsteam von Tredition für die Produktion, und den vielen Führungsprofis aus Wissenschaft und Praxis, die mich als Freunde und Netzwerkkontakte durch die Jahre begleiten, für ihre Hinweise und Tipps.
Führen ist, wie uns Management-Vordenker Peter F. Drucker mit auf den Weg gab, vor allem eins: Arbeit. Diese nimmt Ihnen kein Buch ab. Es kann aber vieles vermitteln, was Ihre Führungsarbeit verständlicher, leichter und wirksamer macht, und genau das wünsche ich Ihnen.
Berlin im September 2019
Boris Kaehler
„Manager sind Diener. […] Ihre vorrangige Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Institution – ob Wirtschaftsunternehmen, Krankenhaus, Schule oder Universität – die Funktion erfüllt und den Beitrag leistet, um derentwillen sie existiert.“
(Peter F. Drucker, Management-Vordenker2)
I Wie die meisten Autorinnen und Autoren, ringe ich in diesem Buch um eine sowohl geschlechtersensible als auch gut lesbare Sprache. Meine Lösung besteht darin, möglichst häufig eine Kombination der weiblichen und männlichen Form sowie neutrale Formulierungen wie „Führungskraft“ und „Mitarbeitende“ zu verwenden; ansonsten nutze ich das generische Maskulinum, in der Hoffnung, dass sich damit alle Lesenden angesprochen fühlen.
II Aus Gründen der Lesbarkeit – dies ist kein wissenschaftliches Werk – sind nicht alle Selbstzitate explizit als solche gekennzeichnet. Andere Autoren werden aber natürlich nach bestem Wissen und Gewissen zitiert.
Einleitung
Ein besonderer Beruf
Backen ist für Bäcker ein Beruf, Unterrichten für Lehrer, Programmieren für Programmierer. Mit dem Führen in Organisationen steht es nicht anders: Es handelt sich um Arbeit, und diese Arbeit konstituiert einen Beruf: den Beruf der FührungskraftIII. Er enthält Anteile von Sachtätigkeiten, die sich je nach Branche und Fachgebiet sehr unterscheiden. Im Wesentlichen aber beinhaltet er Personalführung – z. B. die Führung von Bäckern, Lehrern oder Programmierern –, und diese folgt überall den gleichen Prinzipien. Um einen Beruf erfolgreich ausüben zu können, muss man wissen, worum es dabei überhaupt geht. Man muss seine Aufgaben kennen, verstehen, welche Ziele man verfolgt und mit den Hilfsmitteln vertraut sein, die es zu nutzen gilt. Man braucht ein professionelles Selbstverständnis, eine klare Vorstellung davon, wofür man zuständig ist und wofür nicht. Man muss wissen, was gute berufliche Leistungen ausmacht und wie man sie erzielt. All dies ist eigentlich Gegenstand unzähliger Managementratgeber, wird an den Universitäten seit Jahrzehnten aufwendig beforscht und von den Organisationen mit Millionenbudgets adressiert. Seltsamerweise können trotzdem bis heute die wenigsten Führungskräfte präzise beantworten, worin denn ihr Job besteht. Nach der Lektüre dieses Buches wissen Sie es.
Führungsprofis wissen, was sie tun und warum.
Unter einer Führungskraft (engl. „manager“, „leader“, „lead“, „head“) verstehe ich eine Person, die beruflich disziplinarische Verantwortung für eine Organisationseinheit mit mindestens drei unterstellten Mitarbeitern im festen Arbeitsverhältnis trägt. Es ist eine große Unsitte, dass fast alle Studien und Meinungsumfragen auch reine Fachkräfte mit besonderer Verantwortung unter den Begriff einordnen. Das Führen von Mitarbeitern ist aber völlig anders gelagert als eine Fach- oder Projektaufgabe, mag sie noch so erfolgskritisch und kostenintensiv sein. Auch wer nur einen oder zwei Mitarbeiter führt, betreibt keine Personalführung im Hauptberuf und geht i. d. R. weniger professionell und ernsthaft an die Sache heran. Hier gibt es sicher Ausnahmen, z. B. wenn jemand sehr bewusst führt, weil er das Führungshandwerk erlernen will oder sehr schwierige Leute führt. Wenn Sie es so angehen, sind Sie eine Führungskraft. Keine Führungskraft im hier diskutierten Sinne sind hingegen alle, die Externe, Gleichgestellte oder sich selbst führen. Auch diejenigen, die sich in unstrukturierten Kontexten zu Anführern einer Gruppe von Menschen aufschwingen, bekleiden keine formale Führungsposition und sind keine Führungskräfte. Das eine oder andere hier mag für sie interessant sein, es ist aber nicht für sie und ihre Anforderungen geschrieben. Dieses Buch richtet sich also in erster Linie an Inhaberinnen und Inhaber klassischer Leitungsstellen.
Führungskräfte sind unverzichtbar. Diese Erfahrung hat man z. B. bei Google gemacht, wo Anfang der 2000er Jahre mit der Abschaffung von Managementfunktionen experimentiert wurde3. Sehr spürbar werden die Auswirkungen fehlender Führung auch im Rahmen von Kampagnen, bei denen Großkonzerne alle paar Jahre ihren Mittelbau schrumpfen, nur um die gestrichenen Leitungsstellen dann nach und nach alle wiederaufzubauen. Die Leichtfertigkeit, mit der dies geschieht, und die billigen Schlagworte, die zur Begründung dienen, zeugen immer wieder davon, wie wenig Konsens über die Funktion und die Beiträge von Führungskräften besteht. Tatsächlich haben viele Organisationen so verschwommene Vorstellungen davon, was Führung bedeutet, dass sich daraus unmöglich klare Stellendefinitionen und Auslastungspläne herleiten lassen. Führungskräften in kleineren Unternehmen geht es kaum besser, denn hier sind Führungspositionen ohnehin meist nicht das Ergebnis rationaler Festlegungen, sondern ergeben sich einfach irgendwie. Zu allem Überfluss wollen uns auch noch viele selbst ernannte Expertinnen und Experten weismachen, eine schöne neue Arbeitswelt mache klassische Führung obsolet und an ihre Stelle träten selbstgesteuerte Netzwerke. Dabei lässt sich das Erfordernis von Führungspositionen durchaus recht klar begründen. Erstens ist Selbstführung zwar ein gutes Führungsprinzip, funktioniert aber nicht bedingungslos, auch nicht in Netzwerken. Es bedarf also eines Korrektivs in Gestalt einer übergeordneten Instanz, die unterstützt und ordnet. Zweitens ergeben die Partikularinteressen von Teileinheiten in Summe nicht automatisch das Interesse der Gesamteinheit. Jemand muss Sachwalter des Kollektivs sein. Und drittens erfordert die Steuerung einer Organisationseinheit situative Einflussnahme. Es bedarf menschlicher Entscheidungskompetenz, um die jeweiligen Erfordernisse zu erkennen und eine situative Passung herzustellenIV. Zugegebenermaßen sind all dies noch recht abstrakte Erwägungen. Leitet man daraus aber konkrete Aufgabenstellungen und Aktivitäten ab, so lassen sich die im jeweiligen Einzelfall erforderlichen Führungskapazitäten recht klar bestimmen (Kapitel 4, „Arbeitszeit für Führung“).
Ohne Führungskräfte geht es nicht.
Begriff und Konzept der Komplementären Führung
Was ich