Führen als Beruf. Boris Kaehler

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Führen als Beruf - Boris Kaehler

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Begriffsfassungen auf12. Unsere folgende Definition13 liegt ziemlich im Mainstream, kaum ein Experte dürfte widersprechen: Führung i. S. v. Personalführung ist ein von multiplen organisationalen Akteuren ausgeübter Steuerungseinfluss auf Menschen in einer Organisation und ihren Einheiten zum Zweck der Erreichung der Ziele der Einheit durch Erzeugung von Arbeitsleistungen und Erfüllung sonstiger Anforderungen. Diese nüchterne Zielorientierung mag manchen befremden, immerhin haben wir es hier mit unseren Mitmenschen zu tun. In der Tat ist die menschliche Perspektive eine berechtigte und wichtige, wir kommen in Kapitel 3 im Zusammenhang mit den ethischen Aspekten der Führung noch darauf zurück. Personalführung ist aber nun einmal von Nutzenerwägungen geprägh

      Personalführung ist eine zielgerichtete Einflussnahme auf Mitarbeitende.

      Seit etwa hundert Jahren macht man sich Gedanken über spezifische Konzepte organisationaler Führung. Schon Taylors „Scientific Management“ (1911) sowie Webers Ausführungen über Bürokratie und Charisma (1922) lassen sich so verstehen. Spätestens seit Roetlisberger (1939) und Lewin (1939) werden solche Ansätze auch empirisch untersucht14. Die Beschäftigung mit Führung als Einflussphänomen ist aber natürlich viel älter und war sicher schon Thema im alten Ägypten und antiken Griechenland, wenn nicht gar in den Höhlen der ersten Menschen. In den letzten Jahrzehnten ist eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und Modelle entstanden, die alle zum Ziel haben, das Führen von Mitarbeitern in Organisationen zu beschreiben und zu optimieren. Ein detaillierter Überblick würde hier den Rahmen sprengen, Sie finden ihn anderswo15. Meine Erkenntnis bei der Sichtung aller verfügbaren Ansätze lässt sich so zusammenfassen, dass etliche Modelle interessante Ansatzpunkte bieten. Kein einziges aber beschreibt Führung auch nur ansatzweise so, dass Organisationen oder Führungskräfte daraus ein umfassendes und wirklich alltagstaugliches Führungsverständnis ableiten könnten. Aus diesem Grunde habe ich das Theoriemodell der Komplementären Führung entwickelt, das brauchbare Aspekte diverser anderer Ansätze aufgreift und mit weiteren Elementen zu einem integrativen Gesamtmodell neuer Art verknüpft.

      Führungskräfte betreiben also sowohl Unternehmens- als auch Personalführung. Wie aber hängt das eine mit dem anderen zusammen? Einer erstaunlich populären und wohl zu Unrecht Mary Parker Follett zugeschriebenen Definition zufolge ist Management „the art of getting things done through people“ – also die Kunst, Dinge durch Menschen zu erledigen. Dies aber wäre nun höchst erstaunlich, denn es würde Management gleich Personalmanagement setzen. Das überzeugt nun wirklich nicht. Wenn aber Personalführung doch nur eine Teilmenge von Management ist, was bitte ist die Restmenge? Diese Frage wird in der Literatur nirgends sinnvoll beantwortet, und sie ist auch viel vertrackter, als sie auf den ersten Blick aussieht. Personaler sprechen traditionell von „Human Resources“VII. Personal ist aber keine gewöhnliche Ressource, sondern – wie Abbildung 2 verdeutlicht – ein Medium, das alle anderen betrieblichen Ressourcen und Funktionen steuert. Wenn ich es vortrage, erschließt sich dieses Argument manchen sofort, anderen hingegen gar nicht. „Finanzmittel werden ja auch überall gebraucht“, heißt es dann. Geld schießt aber, wie wir wissen, keine Tore16, und es erbringt auch keine Arbeitsleistungen in allen Bereichen des Geschäftsbetriebs. Das tun nur Menschen, und diesen Aspekt bringt „the art of getting things done through people“ immerhin gut zum Ausdruck. Aus diesem Grunde wird Personalmanagement in den meisten BWL-Lehrbüchern – anders als Produktion, Marketing, Finanzierung etc. – als Teil der Unternehmensführung auf geführt. Personalführung ist eben kein Teil des Geschäftsbetriebs, sondern Teil der Steuerungsfunktion (Abbildung 2).

      Personal ist das Medium der operativen Betriebssteuerung.

      Unter theoretischen Gesichtspunkten ergibt all dies freilich nur Sinn, wenn man das Prinzip der Selbstführung und der verschachtelten Organisationseinheiten verstanden hat. Ein Bauarbeiter, der die von ihm selbst ausgehobene Grube kontrolliert, betreibt damit Management seiner eigenen Stelle und damit seiner eigenen Ausführungsarbeit. Sein Vorarbeiter managt den Bautrupp, indem er diese Selbstführung seiner Mitarbeiter komplementär absichert. Nur so wird ein Schuh daraus, anders ist der Grundgedanke einer steuernden Querschnittsfunktion nicht aufrechtzuerhalten.

      Allerdings ist damit die Frage nach der rein sachbezogenen Restmenge noch nicht beantwortet. Wir benötigen dafür weitere Managementprämissen, die in Abbildung 2 mit dem Dreiklang „konstitutiv – strategisch – operativ“ bereits angedeutet sind. Wir kommen aber erst in Teil IV darauf zurück. Dort wird auch auf die verbreitete Fehleinschätzung eingegangen, Personalführung sei eine Art neutraler Hygienefaktor, der zwar in allen Betrieben notwendig, aber auch ähnlich sei. Das Gegenteil ist der Fall: Personalführung ist einer der wesentlichen Wettbewerbs- und Qualitätshebel, denn sie beeinflusst nicht nur die Kostenstruktur, sondern auch die Ergebnisse einer Organisation massiv. An dieser Stelle soll zunächst die Feststellung ausreichen, dass es sich bei der Personalführung um eine Teilmenge der Gesamtaufgabe der Unternehmensführung handelt. Diese Teilaufgabe könnte freilich bedeutsamer nicht sein, denn die zu führenden Mitarbeiter betreiben schließlich das eigentliche Geschäft der geführten Organisationseinheit.

      Führung ist im Kern – aber auch nur im Kern – ein zeitloses und universelles Phänomen17. Die grundlegenden Vorteile der Selbststeuerung gegenüber direktiver Fremdbestimmung wurden z. B. schon vor mehr als 100 Jahren diskutiert. Wer behauptet, im Kontext moderner Arbeitswelten sei völlig anders zu führen als in traditionell organisierten Betrieben, liegt damit – wissentlich oder aus Unkenntnis – völlig daneben. Natürlich sieht Führung ganz anders aus, wenn unterschiedliche Menschen sie in unterschiedlichen Kontexten ausüben. Die sieben Elemente der Komplementären Führung lassen sich aber in allen Branchen, in Organisationen unterschiedlichster Größe und in fremden Kulturen umsetzen.

      Komplementäre Führung ist zeitlos und kulturunabhängig.

      Das ist erstens deswegen möglich, weil es Spielraum bei ihrer Ausgestaltung gibt. Sie lassen sich in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedingungen, Erfordernissen und Gepflogenheiten anders gruppieren und benennen. So sollten Führungskräfte z. B. regelmäßige Arbeitsbesprechungen abhalten. In welchen Abständen diese stattfinden, ob andere Führungsaktivitäten daran gekoppelt sind und wie genau sie genannt werden, ist hingegen eine andere Sache. Solche Ausgestaltungsvarianten muss man im jeweiligen Unternehmen festlegen, es braucht dafür keine allgemeinen Empfehlungen. Zum zweiten, in der Einleitung war schon die Rede davon, darf man nicht anfangen, die situative und persönliche Umsetzung von Führungselementen zu standardisieren. Diese ist kultur-, personen- und kontextabhängig, und als Führungskraft müssen Sie mit schüchternen Intellektuellen im Video-Chat Berlin-Dubai anders umgehen als mit aufsässigen Vorarbeitern bei Betriebsversammlungen in Wuppertal. Ohnehin führt jeder und jede unterschiedlich, was an unseren verschiedenen Persönlichkeiten, Erfahrungen und Rahmenbedingungen liegt. Auch ist der Umgangston auf dem Bau rauer als in einer Privatbank und dort anders als in einem Start-up. Solche Variabilität betrifft aber nicht den Kern von Führung, sondern nur, wie diese praktiziert und gelebt wird. Dass vieles allgemeingültig ist, sich eine situative und persönliche Standardisierung aber verbietet, wurde ja in der Einleitung deutlich.

      Viele Führungsprinzipien sind universell, ihre Anwendung ist es nicht.

      Natürlich hat aber auch über den Kern von Führung nicht jeder die gleichen Vorstellungen, und es gibt Unternehmens- und Landeskulturen, die mit den Prinzipien der Komplementären Führung nichts anfangen können. Diese sind zwar überall anwendbar, aber nicht mit allem und allen kompatibel. Ein Team oder eine Organisation mit einer differierenden Kultur kann man sanft auf andere Bahnen lenken. Ist hingegen die gesamte Landeskultur so geprägt, wird man es schwer haben und bestenfalls eine Insel andersartiger Organisationsprinzipien schaffen. So wird Führung z. B. in vielen osteuropäischen und asiatischen Regionen als direktive Fremdbestimmung und Entscheidungszentralisation verstanden. Ein weiteres Beispiel ist die US-amerikanische

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