Führen als Beruf. Boris Kaehler
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1 Personalführung im Kontext der Unternehmensführung
Das Konstrukt Management: Geführt wird nicht allein
Wer den Beruf der Führungskraft verstehen will, muss zunächst das Konstrukt Führung verstehen. Bücher über Führung füllen halbe Bibliotheken, und eine Internetrecherche mit diesem Suchbegriff ergibt unzählige Quellen. Bei der Lektüre wird freilich deutlich, wie unterschiedlich und unpräzise Führung allgemein beschrieben wird. Auch überrascht, wie viele Autoren und Experten es gar nicht erst für nötig erachten, den Gegenstand ihrer Ausführungen konkret zu definieren. Entsprechend viel Unsinn wird über Führung geschrieben – ohne klares Verständnis eines Konstrukts lassen sich eben auch keine überzeugenden Entwürfe dazu liefern.
Um die Sache aufzuklären, sollten wir uns zunächst mit dem Begriff „Management“ i. S. v. Unternehmensführung auseinandersetzen. Die etablierte Literatur erweist sich dabei leider als wenig hilfreich. In Lehrbüchern hat die Definition von Management nämlich fast immer zwei Komponenten: Die Erreichung von Organisationszielen mit Hilfe von Ressourcen und den darauf bezogenen Steuerungszyklus aus Planen, Organisieren, Beauftragen und Kontrollieren. Beides hilft nicht weiter. Die fünf Aufgabenkategorien, die übrigens 100 Jahre alt sind und auf Fayol (1916) zurückgehen, sind viel zu breit und generisch, um das Konzept Unternehmensführung zu beschreiben. Sie treffen auf das Kochen eines Eintopfes ebenso zu wie auf das Lernen von Schulstoff. Die Nutzung von Ressourcen wiederum ist nur ein Teil des tatsächlichen Geschäftsbetriebs. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Management eine steuernde Querschnittsfunktion darstellt (Abbildung 2). Zwei Punkte müssen unbedingt ergänzt werden, kommen aber in der Mainstream-Literatur nicht vor. Der erste Punkt ist, dass der Bezugspunkt dieses Management-Einflusses die Organisationseinheit sein muss (und nicht etwa die Führenden oder Geführten sind). Der zweite Punkt ist, dass Management von multiplen organisationalen Akteuren ausgeübt wird. Beides ist für die Führungspraxis sehr bedeutsam und wird in den folgenden Abschnitten noch genauer ausgeführt. Zusammenfassend ergibt sich die folgende, hinten in Teil IV noch einmal um ein wichtiges Element zu ergänzende Definition9: Führung i. S. v. Management (als Kurzform von engl. „corporate management“ = Unternehmensführung) ist ein von multiplen organisationalen Akteuren ausgeübter, an Personal- oder Sachaspekten ansetzender Steuerungseinfluss auf den markt-, produktions- und ressourcenbezogenen Geschäftsbetrieb in einer Organisation und ihren Einheiten zum Zweck der Erreichung der Ziele der Einheit. Führung und Leitung sind Synonyme.
Managen bedeutet, eine Organisationseinheit zu steuern.
Führung ist also niemals das Werk eines einzelnen Managers, sondern immer ein kollektiver Einfluss multipler Akteure10. Dies ergibt sich schon aus Tatsache, dass das Führen einer Einheit auch das Führen ihrer Untereinheiten beinhaltet und dass diese Untereinheiten i. d. R. weiteren Führungskräften unterstellt sind. Außerdem wird Management eben oft auch partizipativ praktiziert, was nichts anderes bedeutet, als dass neben der Führungskraft auch die Mitarbeiter mitentscheiden und in einem gewissen Maße Einfluss nehmen. Totale Fremdsteuerung ist schlechterdings unrealistisch, sodass Management als Konstrukt überhaupt nur Sinn ergibt, wenn dieser Steuerungseinfluss jedenfalls prinzipiell auch als Selbststeuerung ausgeübt werden kann. Führungseinfluss auf Organisationseinheiten üben zudem in fast allen größeren Organisationen auch Vertreter von Zentralabteilungen aus, z. B. Produkt- oder Personalspezialisten. Weitere Akteure kommen durch die sog. laterale Führung ins Spiel, also den Managementeinfluss Gleichgestellter. Die Führungskraft ist also Kapitän eines Bootes, bestimmt dessen Kurs und Betrieb aber nie ganz allein – das wäre weder möglich noch überhaupt praktikabel.
Führung ist immer ein kollektives Geschehen.
Führung einer Organisationseinheit
In aller Regel wird einer Führungskraft nicht ausschließlich Personal anvertraut, sondern die Verantwortung für eine ganze Einheit einschließlich ihrer Belegschaft. Dies kann eine Gesamtorganisation sein, eine Abteilung, ein Team oder (als kleinste Einheit) eine Stelle. In klassisch organisierten Unternehmen und Behörden werden diese Organisationseinheiten über Berichtslinien verbunden und einander auf diese Weise über- bzw. untergeordnet. Entscheidend dabei ist, dass die Einheiten ineinander verschachtelt werden, wie die berühmten Matrjoschka-Puppen, nur dass jede Figur mehrere kleinere Figuren statt einer einzigen enthält (Abbildung 1). Das mag sich selbstverständlich anhören, ist aber kein Standardwissen und wird in Lehrbüchern ebenso ignoriert wie in der Praxis. Zwar wird in Literatur und Praxis gern nach „Unternehmen führen“, „Teams führen“, „Mitarbeiter führen“ und „sich selbst führen“ unterschieden. Hierbei werden mit den vier Ebenen aber regelmäßig unterschiedliche Managementinhalte verbunden, was konzeptionell und praktisch in die Irre führt.
Richtig verstanden bedeutet das Konzept, dass das Führen einer Organisationseinheit immer auch das Führen aller Untereinheiten beinhaltet. Alles, was nur auf der übergeordneten Ebene geschieht, muss scheitern, wenn es nicht auch in alle untergeordneten Einheiten heruntergebrochen bzw. aus diesen heraus hochaggregiert wird. Themen wie Governance oder Kultur lassen sich nicht sinnvoll auf die Gesamtentität beschränken, wie es allzu häufig geschieht11. Der Vierklang „Unternehmen führen – Teams führen – Mitarbeiterstellen führen – die eigene Stelle führen“ ergibt also zumindest insofern Sinn, als er aufzeigt, welche Ebenen gleichzeitig zu managen sind.
Dieses System der verschachtelten Organisationseinheiten nennt man übrigens Hierarchie, und sie ist in größeren Organisationen unverzichtbar. Zwar predigen vermeintliche Experten seit Jahrzehnten ihre Abschaffung, meinen damit aber fast immer etwas völlig anderes, nämlich Statusgehabe und fehlende Mitsprache. Diejenigen, die wirklich die Hierarchie als solches abschaffen wollen, sagen selten klar, dass dieses die Gleichordnung aller Stellen bedeutet und andere, viel aufwendigere Koordinationsformen erfordert. Auch geht ihr Hauptvorwurf, die Hierarchie sei starr, innovationsfeindlich und vernetzungshinderlich, völlig fehl. Sie ist schließlich nichts weiter als ein Merkmal der sog. Aufbauorganisation und als solches nur eine sehr begrenzte Perspektive auf die Organisation insgesamt. Deren Flexibilisierung und Relativierung erfolgt ganz zwangsläufig durch ergänzende Organisationsmerkmale wie die Prozess- und Projektorganisation, persönliche und institutionelle Netzwerke, Festlegungen zur Entscheidungsverteilung, informelle Organisationsroutinen und organisationskulturelle Muster. Und diese sind nicht zu verwechseln mit den operativen Interaktionen der Organisationsmitglieder, die den eigentlichen Zweck und die Daseinsberechtigung des Unternehmens oder der Behörde bilden. Die Hierarchie steht als Konstrukt überhaupt nicht in Konkurrenz zu diesen Aspekten, sondern bietet ihnen den Rahmen. Die Suppe schmeckt aber nicht besser, wenn man sie ohne Teller serviert.
Die klassische Hierarchie bleibt ein sinnvolles Organisationsprinzip.
Was ist Personalführung?
Führung i.S.v. Unternehmensführung (Management) hatten wir eingangs als zielgerichtete Einflussnahme auf den Geschäftsbetrieb einer Organisationseinheit charakterisiert. Personalführung wird in Lehrbüchern und wissenschaftlichen Artikeln ganz ähnlich definiert: Mitarbeiterführung (engl. „leadership“ oder „people management“) ist zielbezogene Einflussnahme auf Menschen. So jedenfalls lautet der Kern fast aller Definitionen. Um diesen Kern werden dann je nach