Henkersmahl. Bärbel Böcker

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Henkersmahl - Bärbel Böcker

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habe dich an niemanden verpfiffen, wirklich nicht.« Tims Stimme klang erstickt. Er wusste weiterhin nicht, wovon Alex sprach, aber er bemerkte, dass er ihn etwas verunsichert hatte.

      »Wir sind doch Freunde«, sagte er rasch. Alex blies hörbar Luft durch die Nase und schwieg. »Hast du eigentlich noch was von dem Zeug, dass ich dir neulich gebracht habe?«, fragte Tim vorsichtig.

      Alex lachte verächtlich. »Glaubst du, du kommst aus der Nummer mit ’ner milden Gabe raus? Das Zeug war zwar nicht schlecht, aber so gut nun auch wieder nicht.«

      »Hast du noch was davon?«

      »Leider nicht. Du darfst mir also noch was bringen. Aber wenn du tatsächlich hinter der Sache mit dem Journalisten stecken solltest, wird dir das leider trotzdem nichts nützen, da kannst du Gift drauf nehmen.«

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte Alex Weyer sich um und ging.

      8

      Diese rasenden Kopfschmerzen.

      Normalerweise bekam er so etwas nur sonntags, nach einer durchzechten Nacht, aber nicht am frühen Montagabend. Bereits vor einer halben Stunde hatte er zwei Kopfschmerztabletten geschluckt, aber eine Wirkung war nicht zu spüren. Im Gegenteil. Er presste beide Hände gegen die Schläfen, als könne das helfen. Der Schmerz hämmerte in kurzen Intervallen direkt über der Nasenwurzel und zog nach hinten.

      Ein Tiger, der seine Kopfhaut zerfetzte. Ihm seine Krallen ins Hirn trieb. Ihn daran hinderte, zu denken.

      Ein lautes Stöhnen kam über seine Lippen. Er musste stehen bleiben, sich an die Wand lehnen. Kalte Wand. Das grelle Weiß der Kacheln tat ihm weh, er musste die Augen wieder schließen, sich vor dem Weiß schützen, unbedingt. Gleichzeitig spürte er, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.

      Diese rasenden Kopfschmerzen. Taumelnd versuchte er, das Waschbecken zu erreichen. Kein Halt mehr, nirgends. Seine Füße fühlten sich taub an. Jeder Schritt eine Qual. Der Mund trocken wie Staub, die Zunge ein fremdes Tier. Wasser. Im Spiegel seine aufgerissenen Augen, die ihm entgegenblickten. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Krampfhaft hielt er sich am Waschbecken fest und sah hinunter auf die Hand, die da versuchte, den Wasserhahn aufzudrehen. War das seine? Dieses zittrige Etwas, einem Spinnenkörper gleich, den er nicht in der Gewalt hatte?

      Keine Kraft mehr. Der Schweiß tropfte von seiner Stirn, doch der Wasserhahn bewegte sich keinen Millimeter. Er röchelte. Die Konturen des Waschbeckens verschwammen. Er versuchte, sich am Rand festzuhalten, den drohenden Fall zu verhindern, aber vergeblich. Er sackte auf den Boden, unfähig, wieder hochzukommen.

      Nach Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen, drehte er den Kopf, denn er hatte ein Geräusch gehört. Jemand war hereingekommen. Endlich. Er atmete auf. Gekrümmt am Boden liegend, sah er auf ein paar dunkle Stiefel mit grünen Schnürsenkeln, die langsam auf ihn zukamen und dann kurz vor seinem Körper stoppten. Er lächelte. Die Schuhe seines Retters. Am liebsten hätte er sie geküsst. Gleich würde er ihm aufhelfen. Gleich würde alles gut. Er horchte, aber im Raum blieb es still. Totenstill. Nicht der Hauch einer Bewegung. Er versuchte, zu lächeln und seinen Kopf zu heben, denn er wollte sehen, wer vor ihm stand, aber er hatte keine Chance. Er konnte sich kaum rühren. Ehe er all seine Kraft sammeln und etwas sagen konnte, drehten die Schuhe um und entfernten sich. Das leichte Klacken der Tür verriet ihm, dass er erneut allein war. Schaum trat vor seinen Mund und erstickte den Schrei, der aus seiner Kehle nach oben drängte.

      Fauchend grub der Tiger seine Klauen tiefer in ihn hinein. Er stürzte sich auf ihn mit ganzem Gewicht.

      Enormer Druck. Kaum Luft zum Atmen. Seine Beine manövrierunfähig. Die Taubheit in seinem Körper kroch immer höher. Und jetzt auch noch diese Übelkeit.

      Der Tiger ließ einfach nicht los.

      Er wusste, inzwischen hatte die Bestie auch seinen Rücken aufgerissen, denn eine ungeheuere Hitzewelle überkam ihn. Er bäumte sich auf. Konnte er sie abschütteln? Nach einer Weile hielt er die Luft an. Tatsächlich, der Schmerz war auf einmal verschwunden. Wie weggeblasen. Sanft wie die Samen einer Pusteblume. Auch der Rücken taub. Er stöhnte. Der Kopf schmerzte weiterhin. Er musste würgen, robbte Richtung Toilette, ruderte auf dem Boden mit den Armen. Der Gedanke, welch lächerliche Figur er abgab, steigerte den Brechreiz ins Unermessliche. Kam denn niemand, um ihm zu helfen? Plötzlich durchzuckte ihn ein Hoffnungsschimmer. Ja, so musste es sein: Der Stiefelträger holte Verstärkung. Alarmierte einen Krankenwagen und kam jeden Augenblick zurück. Er versuchte zu rufen, doch seine Stimme versagte. Er brachte nichts als ein jämmerliches Winseln heraus, das in den Schaumblasen vor seinem Mund verebbte. Jetzt verloren auch seine Arme an Kraft, sie ruderten immer schwächer. Und plötzlich: Auch hier kein Gefühl mehr. Taub wie alles andere. Seine Wange versuchte, sich an den Boden zu schmiegen. Die Augen hielt er geschlossen. Er wollte schlafen, einfach nur schlafen. So lag er eine Weile. Dann ließ ein tiefer, rasselnder Atemzug seinen Körper erzittern, und als er sich nach einigen Sekunden wieder entspannte, kam nur noch ein zarter Hauch über seine Lippen.

      Der Tiger hatte endlich losgelassen.

      9

      Es war bereits dunkel und Florian Halstaff fröstelte, als er auf den Treppenstufen vor dem Haus seiner Mutter im Rodenkirchener Auenviertel stand und zum zweiten Mal an der Haustür klingelte. Florian liebte Rodenkirchen, das 1975 eingemeindet worden war und sich am Westufer des Rheins im sogenannten Rheinbogen befand. Als er noch zu Hause wohnte, hatte Florian in kölntypisch schwülen Sommernächten oft mit Max im feinen Sand des Rheinstrandes gelegen, auf die vorbeifahrenden Schiffe geschaut und stundenlang geredet, über die große Liebe, die erste große Enttäuschung und über das, was sie erreichen wollten in ihrem Leben. Heute hatte er trotz des einsetzenden Nieselregens die Gelegenheit genutzt und einen Spaziergang gemacht, vorbei am Campingplatz hin zum Tennisklub, der einen knappen Kilometer südlich des Auenviertels mitten zwischen den Feldern lag. Florian war immer ein wenig wehmütig zumute, wenn er hier entlangging. In den letzten Jahren hatte er kaum Gelegenheit gefunden, den Schläger in die Hand zu nehmen und sich zu einem Match zu verabreden. Hinzu kam, dass die Tennispartner seiner Kindheit und Jugend mittlerweile in alle Winde verstreut waren. So waren auch die feucht-fröhlichen Runden nach dem Spiel auf der Terrasse oder im Klubhaus immer seltener geworden, und mittlerweile kam es ihm so vor, als ob er kaum noch ein Klubmitglied kenne.

      Er klingelte erneut und dachte daran, dass es jetzt doch zu spät geworden war, um fettarme Milch zu kaufen. Die meisten Läden hatten schon geschlossen.

      Seltsam, dass Anna nicht öffnete. Wahrscheinlich war wieder einmal Peter Alexander schuld. Anna hatte die komplette Sammlung. Sie hörte nichts anderes, und das immer in voller Lautstärke. Florian hatte sich schon oft gefragt, wie seine arme Mutter das aushielt.

      Endlich wurde die Tür schwungvoll geöffnet und vor ihm stand Anna. Kaum, dass sie ihn begrüßt hatte, machte sie schon wieder auf dem Absatz kehrt und war auf dem Weg zurück in die Küche. Florian sah perplex auf ihr weißes Schürzenband, das sich immer weiter von ihm entfernte und über ihrem Hinterteil zu einer ordentlichen Schleife gebunden war. Er dachte, dass ihr Elan offensichtlich völlig ungebrochen war. Soviel er von seiner Mutter wusste, führte sie den Haushalt wie eh und je in Dragonermanier. Jetzt brummte sie Florian über die Schulter an: »Es gibt dein Lieblingsgericht.«

      Florian rief ihr hinterher: »Doch nicht etwa rheinischen Sauerbraten?«

      Anna blieb stehen und knurrte: »Nein.«

      »Rievkoche?«

      »Nein.«

      Florian

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