Henkersmahl. Bärbel Böcker
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»Wie auch immer, fest steht, dass uns die Gäste aus der Politik abgesprungen sind. Das Problem haben wir in jedem Fall und die Chancen, so kurzfristig hochkarätigen Ersatz zu bekommen, stehen schlecht. Die haben uns nur Mitarbeiter aus dem Mittelbau anzubieten.«
Florian und Max sahen sich an. Die beiden anderen Redakteure sagten keinen Ton.
Schließlich unternahm Max einen letzten Versuch. »Vielleicht lässt sich ja doch noch was machen. Persönliche Kontakte ins Ministerium gibt es doch, oder?« Er wandte sich fragend an Florian.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Meine Mutter hat Drähte dorthin. Aber wir könnten auch schlicht und ergreifend eine ganz offizielle Anfrage an den Direktor der Uniklinik richten, der wäre als Talkgast auch gut geeignet.«
»Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert«, versetzte Max und sah seine Chefin erwartungsvoll an. »Wir sollten nicht so schnell aufgeben.«
Es entstand eine kurze Pause. Die anderen beiden Redakteure, Katja und Curt, schwiegen nach wie vor. Regine rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und schlug die Beine übereinander. Florian bemerkte, dass sie mit ihrem linken Fuß auf und ab wippte. Sie sah einen Moment lang Barrick an, wie um in seinen Gesichtszügen nach Anzeichen für einen eventuellen Meinungsumschwung zu suchen und zündete sich eine weitere Zigarette an, bevor sie abschließend sagte: »Danke für das Angebot. Dennoch, es bleibt dabei, wir machen die Sendung zum Thema Jugendbanden.«
»Frau Liebermann und ich sind einer Meinung.« Hermann Barrick legte in einer entschiedenen Geste seinen Stift, den er in der Hand gehalten hatte, weit vor sich auf den Tisch. Florian kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass dies das Zeichen dafür war, dass die Debatte nun beendet sei.
Max rang um Selbstbeherrschung. Er hatte sich vom Stuhl erhoben und beugte sich vor: »Vermutlich hätten Sie zwischen den Talks zur Bandenkriminalität in Nordrhein-Westfalen gern etwas Militärmusik zur Auflockerung, oder?«
Barrick erwiderte trocken: »Gar keine schlechte Idee, sollten Sie sich direkt drum kümmern.«
»Zu kurzfristig«, sagte Max knapp.
»Und mit Kontakten zur Big Band der Bundeswehr kann ich leider nicht dienen«, ergänzte Florian.
»Dann bemühen Sie sich darum. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse.« Barrick sah Max und Florian an, griff seine Aktentasche, verabschiedete sich knapp von Regine und verließ mit steifen Schritten das Zimmer.
6
Während Florian und Max nach der Redaktionskonferenz nur widerwillig an ihre Schreibtische am Hansaring in Köln zurückkehrten, hatte Burkhard Weidner den seinen in der Stiftsstraße in Mainz gerade verlassen. Derzeit lief er, die Hände tief in den Taschen seines dunklen Trenchcoats vergraben, stumm neben seinem Sohn am Kölner Konrad-Adenauer-Ufer entlang. Gerade hatte er für die Strecke Mainz–Köln auf der A3 nur knapp zwei Stunden gebraucht, er war gerast, und die längere Abwesenheit von seinem Schreibtisch erschien ihm mit Blick auf Tims Treiben absolut gerechtfertigt. Die Hohenzollernbrücke im Rücken glitt Burkhard Weidners Blick über den Rhein, den er so liebte, er hoffte, dass der Strom in diesem Jahr nicht wieder zu einem Höchststand von mehr als zehn Metern anschwoll. Rhein-Hochwasser stellte für einen Großteil der Bevölkerung eine echte Katastrophe dar, und wenn er daran dachte, war Burkhard Weidner froh, nicht mehr in Köln, sondern in Mainz zu wohnen. 1995 hatte es sie in ihrer Wohnung in der Kölner Altstadt ganz schön erwischt. Er und seine Frau waren vor einigen Jahren aus beruflichen Gründen umgezogen, aber Tim, ihr Sohn, war in Köln geblieben. Mit prüfendem Blick erkannte Burkhard Weidner, dass der Rhein wegen der Regenfälle der vergangenen Tage schon wieder einen erhöhten Wasserpegel erreicht hatte, aber noch sah alles recht harmlos aus.
Da er sich nicht aufregen wollte, boten ihm die Gedanken an das Hochwasser eine willkommene Ablenkung. Denn was Tim, der seine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, ihm eben eröffnet hatte, hatte ihn regelrecht geschockt. Er musste den richtigen Ton finden. Wenn er anfing zu brüllen, würde das Verhältnis, das er so mühsam wieder einigermaßen hergestellt hatte, erneuten Schaden nehmen. Mit aller Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte, fragte er: »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Glaubst du, das würde irgendetwas bringen?«
Tim sah seinen Vater von der Seite an und antwortete, bereits aufbrausend. »Natürlich, sonst hätte ich es ja nicht gemacht.«
»Schrei nicht so.« Burkhard Weidner, der heute eine Baskenmütze aufgesetzt hatte, weil er sich bei den Temperaturen schnell eine Erkältung zuzog, packte seinen Sohn hart am Ärmel. »Wir sind nicht die Einzigen hier. Leiser, Mensch.« Nervös rückte er die Mütze zurecht, die schräg auf dem Kopf saß und seine spärlichen grauen Haare knapp bedeckte. Aber die zwei älteren Frauen, die einige Meter vor ihnen gingen, hatten sich nicht einmal umgeblickt. Etwas ruhiger sagte er nun: »Also noch einmal, was hast du dir dabei gedacht?«
Tim sah seinen Vater trotzig an und antwortete ausweichend: »Eine ganze Menge. Euer Zeug ist giftig, Mensch, kapier das doch endlich! Einige, die zu viel davon intus haben, liegen jetzt im Krankenhaus. Ein Typ ist wahrscheinlich sogar daran gestorben.«
»Deine Behauptung ist ungeheuerlich!« Burkhard Weidner verspürte den unmittelbaren Wunsch, sich zu setzen, aber die Parkbank, die er am Wegrand bemerkte, schien ihm meilenweit entfernt zu sein. Wortlos ging er neben seinem Sohn her, den Schritt unter der Schwere des soeben Gehörten unwillkürlich verlangsamend. Nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte, sagte er: »Selbst wenn du recht hast, ist das immer noch kein Grund, eine TV-Sendung verhindern zu wollen, indem du Redakteure einschüchterst.«
»Doch, es gibt Grund genug.« Tim sah seinen Vater von der Seite an, senkte den Blick jedoch sofort wieder und fuhr kleinlaut fort: »Ich habe es jemandem verkauft, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Wenn der herausfindet, dass man daran krepieren kann, werde ich auch nicht mehr lange leben.«
»Du meine Güte.« Burkhard Weidner brach der Schweiß aus und Tim erklärte: »Ein Redakteur von Diens-Talk verfolgt eine Spur, die direkt zu euch führt. Er scheint aber der Einzige zu sein, der davon weiß. Wenn ich den in seinen Recherchen stoppen kann, kommt vielleicht nie heraus, dass dieses dämliche Zeug an allem Schuld ist und Alex lässt mich in Ruhe. Und du hättest Zeit genug, alles, was existiert, zu vernichten und könntest damit eventuell Schlimmeres verhindern.«
Zielstrebig steuerte Burkhard Weidner die Parkbank an, die nun unmittelbar vor ihnen stand, und setzte sich schwerfällig. Tim nahm neben ihm Platz. Der Blick des Vaters wanderte zur Deutzer Brücke, die ihre Farbe wie vier weitere Brücken Konrad Adenauer zu verdanken hatte. Extra auf seinen Wunsch hin war das spezielle Patinagrün entwickelt worden, und es sah wirklich gut aus. Burkhard Weidner atmete tief durch. Am liebsten hätte er das Gespräch mit seinem Sohn jetzt nicht geführt. Wie gern würde er stattdessen unbeschwert über die Hohenzollernbrücke oder über die Südbrücke schlendern und die sogenannten Liebesschlösser in Augenschein nehmen, von denen er in der Zeitung gelesen hatte. Seit einiger Zeit hingen Tausende bunter Vorhängeschlösser am Zaun zwischen Bahngleisen und Fußgängerweg, und täglich wurden es mehr. Verliebte Paare schworen sich auf ihnen ewige Liebe, den Schlüssel für das Schloss warfen sie in den Rhein. Burkhard Weidner fand diesen neuen Brauch so sympathisch, dass er sich vornahm, die Schlösser unbedingt bei seinem nächsten Kölnbesuch anzusehen.
Seufzend wandte er sich seinem Sohn zu und sagte: »Also, du hast davon an diesen Bandenchef verkauft. Wem noch, und wo?«
»Das meiste auf dem Nippeser Wochenmarkt am Wilhelmplatz. Und dann hat so ein Schreiner ein bisschen was