Henkersmahl. Bärbel Böcker
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Burkhard Weidner war inzwischen auf alles gefasst, und Tims Schweigen war Antwort genug. Er stöhnte leise und fragte sich, was er eigentlich von seinem Sohn erwartet hatte. Wenn Tim nur ahnen würde, was er ihm antat. In diesem Moment hasste er ihn mit jeder Faser, aber als er Tim kleinlaut sagen hörte: »Ich habe Schiss vor Alex, begreif das doch endlich«, mischte sich unwiderruflich das altbekannte Gefühl der Sorge unter den Groll und gewann schließlich, obwohl er sich dagegen sträubte, die Oberhand.
»Wenn Alex merkt, dass das Zeug nicht koscher ist, dann gnade mir Gott. Der fackelt nicht lange.«
Gedankenversunken betrachtete Burkhard Weidner einige Spatzen, die sich begeistert um trockene Brotkrümel scharten und eifrig darauf erpicht waren, keinen einzigen außer Acht zu lassen. Schließlich sagte er: »Überlass die Angelegenheit bitte mir. Da ist sie besser aufgehoben, und vor allem lass diesen Redakteur in Ruhe.« Mühsam erhob er sich von der Parkbank, stopfte den Schal tiefer in den Ausschnitt seines Mantels und setzte den Weg fort. Tim folgte ihm wortlos. Nachdem sie eine Weile nebeneinander hergegangen waren, fragte Burkhard Weidner: »Haben die in der Redaktion deine Nummer erkennen können?«
»Nein. Ich habe von einer Telefonzelle aus angerufen. Ich bin nicht blöd, auch wenn du immer meinst, ich wäre es«, sagte Tim verstockt. Angriffslustig fragte er nach: »Und? Was willst du tun? Wie ich dich kenne, füllst du erst mal 100 Anträge aus, stimmt doch, oder?« Tim kickte mit dem Fuß ein paar kleine Steinchen aus dem Weg.
Burkhard Weidner spürte, dass er sich sehr beherrschen musste: »Du bist unverschämt«, sagte er nur und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »In jedem Fall wende ich Mittel an, die klüger sind als deine.«
Inzwischen hatte er große Lust, das Gespräch mit seinem Sohn rasch zu beenden. Er wandte sich um und steuerte schweigend auf die schmalen, bunten Häuser der Kölner Altstadt mit ihren hohen Giebeln und Schieferdächern zu. Sie passierten Groß St. Martin und gingen, gedankenversunken, durch enge Gassen zur Tiefgarage am Dom, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Für die Schönheit der Häuser hatte er heute keinen Blick. »Halt dich da raus, ich sage es dir noch einmal. Verstanden?« Burkhard Weidners Ton klang scharf.
Tim schwieg und sein Vater insistierte: »Ob du das verstanden hast, habe ich gefragt.« Er blieb stehen und sah seinem Sohn fest in die Augen. Tim konnte ihm nicht ausweichen, denn jetzt griff sein Vater auch nach seinen Schultern. Er legte beide Hände darauf und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Ich werde es schon nicht an die große Glocke hängen«, sagte Tim genervt. Er senkte den Blick sofort wieder, und sein Vater ließ ihn los.
Inzwischen hatten sie den Kölner Dom erreicht, das als Weltkulturerbe geltende Wahrzeichen der Stadt. Vor ihnen wurde der Eingang zur Tiefgarage sichtbar. Auf der Domplatte, einer modernen Betonkonstruktion, die den Dom umgab und auf dem Domhügel rund 17 Meter über dem Rhein lag, waren verhältnismäßig wenig Menschen unterwegs.
Bei dem ungemütlichen Wetter bleiben die meisten Menschen wohl zu Hause, dachte Burkhard Weidner und hielt seine Mütze fest, an der der typische Domplatten-Wind zerrte. Und die Touristen saßen vermutlich lieber in den umliegenden Kneipen, tranken Kölsch und aßen Halven Hahn oder Hämchen mit Sauerkraut.
Burkhard Weidner wandte sich ein weiteres Mal an seinen Sohn: »Sieh bitte zu, dass du alles, was du unter die Leute gebracht hast, wiederbekommst. Wie, ist mir ganz egal. Und pass auf, dass niemand etwas merkt.«
Bevor er die Treppen zur Tiefgarage hinabging, fügte er in etwas weicherem Ton nach einem Moment des Überlegens hinzu: »Wir packen das schon.«
Ein flüchtiges, doch aufmunterndes Lächeln glitt über sein Gesicht, dann war er verschwunden. Als er in seinem Wagen saß, drückte er ein wenig zu heftig auf das Gaspedal und der Motor heulte auf. Verdammt, es war spät geworden, er musste dringend zurück.
Zurück ins Ministerium.
7
Tim Weidner kam es so vor, als liefe er schon zum hundertsten Mal durch die Passage in der Bodenheimer Straße Ecke Bahide-Arslan-Straße. Von Alex keine Spur. Ein erneuter Blick auf seine Armbanduhr bestätigte ihm, dass er ihn bereits eine Stunde warten ließ. Gleich 21 Uhr. Frierend und ärgerlich zog Tim den Reißverschluss seiner Lederjacke hoch. Er würde ihm noch fünf Minuten geben, wenn er dann nach wie vor nicht auftauchte, würde er einfach verschwinden. Lange genug gewartet hatte er schließlich. Doch leise Zweifel verschafften sich Gehör. Vermutlich wäre es besser, ein wenig länger zu warten. Man wusste nie, wie er reagierte. Also gut, dann eben noch zehn Minuten.
Alex vertrug es nicht, wenn man ihn versetzte. Dabei war der Gedanke eigentlich absurd. Schließlich hatte er ihn versetzt und nicht umgekehrt.
Wenn er wenigstens wüsste, was er von ihm wollte. Hoffentlich hatte es nichts mit dem Stoff von seinem Vater zu tun. Tim strich sich wiederholt eine Strähne seines langen Haars aus dem Gesicht. Es war doch wohl niemand aus der Gang daran erkrankt? Warum hatte er es auch ausgerechnet an Alex verkaufen müssen. Er schalt sich selbst einen Dummkopf.
Plötzlich spürte Tim einen heftigen Schlag im Rücken. Er stolperte und fiel auf die Steinplatten. Mühsam hob er den Kopf. Über ihm stand Alex und grinste.
»Na, gemütlich da unten?« Alex setzte einen Fuß auf seinen Rücken. Tim hatte keine Chance aufzustehen. Nach vielleicht einer Minute, die ihm unendlich lang vorkam, nahm Alex den Fuß wieder herunter. Er hörte ihn langsam sagen: »Kannst hochkommen.«
Tim richtete sich vorsichtig auf und bemerkte, dass Alex ihm sogar die Hand reichte. Nur zögernd griff Tim zu, doch seine Angst schien unberechtigt, denn er half ihm tatsächlich. Als er wieder auf beiden Beinen stand, klopfte er sich den Schmutz von der Hose und grinste nun auch.
»Alles tutti?«, wollte Alex wissen.
»Klar.« Tims Stimme war schwächer als sonst.
Alex fixierte ihn, legte den Arm fest um seine Schulter und setzte sich in Bewegung.
Tims Herz schlug schneller. Was wollte er von ihm?
»Ich glaube, wir müssen dir mal ein bisschen deine hübsche Visage polieren. Das eben war nur ein kleiner Vorgeschmack.«
»Was habe ich denn verbrochen?«, schrie Tim hysterisch.
Alex ging ungerührt weiter. Der Griff seiner Hand schmerzte Tim durch die Lederjacke hindurch. Wie ein Schraubstock, den er nicht abschütteln konnte.
»Du plauderst ein bisschen zu viel.«
»Ich? Gibt doch gar nix zu plaudern.«
Alex’ Umklammerung tat höllisch weh. Tim versuchte, sich zu befreien, aber vergeblich.
»Da habe ich aber etwas ganz anderes gehört.«
»So? Was denn?« Tim starrte Alex an.
»Was denn?«, äffte Alex. »Ich will dir sagen, was. Da gibt’s einen Reporter, der hinter mir herschnüffelt, und ich habe munkeln hören, dass du ihn mir aufgehalst hast.«
»Nein, habe ich nicht! Ich kenne überhaupt keinen Reporter.«
Abrupt blieb Alex stehen und schlug zu. Tim strauchelte. Er roch frisches Blut. Es rann über