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zuckte mit den Schultern. Dieser Schneider war ein imposanter Kerl und verströmte eine gewisse Geradlinigkeit, wenngleich ihm die Geschmacksrichtung nicht ganz passte. Immerhin war er fast so groß wie Stuhr, aber Schneiders Schultern wirkten noch ein wenig breiter. Sein gebräunter Teint war ausgesprochen gepflegt, und seine Kleidung von lässiger Eleganz. Stuhr schätzte ihn auf knapp 50, aber zehn Jahre mehr oder weniger würden seine Ausstrahlung kaum verändern. Er musste mehr als wohlhabend sein. Schon verständlich, dass sich attraktive Frauen wie die Bedienung von ihm angezogen fühlten.

      Die Bedienung, die offenbar Verena hieß, stellte den nächsten Drink ab.

      Schneider zog lustvoll an seiner Zigarette. »Ein guter Freund, der nicht enttäuscht.«

      Stuhr verstand das nicht. »Sie spielen auf die Bedienung an?«

      »Nein, auf meine Overstolz. Das ist ein alter Werbespruch der Kölner Unternehmerfamilie Overstolzen, stammt noch von vor dem Krieg. Das ist meine Zigarettenmarke und wird sie auch bleiben, solange ich nach Luft schnappen kann.«

      Vorsichtig wagte Stuhr einen Einschub: »Die Bedienung. Ich meine Ihre Verena. Sie sind noch zusammen?«

      Schneider nahm einen tiefen Zug, bevor er selbstgefällig räsonierte. »Mit Verena? Nein. Nur weil man ab und zu mal ein Glas Milch trinken möchte, muss man nicht gleich eine ganze Kuh kaufen. Schauen sie sich auf der Terrasse um. Es gibt viele schöne Frauen in Sankt Peter. Deswegen fliege ich hierher und nicht nach Holzkirchen oder Hammerfest.«

      Vorsichtig fragte Stuhr nach. »Hat denn Ihre Verena kein Problem damit?«

      Schneider sah ihn ungläubig an. »Verena? Warum, die lebt doch von Menschen wie mir. Was meinen Sie, warum sie mich so freundlich umgarnt? Die weiß genau, was sie will. Und was nicht.«

      Schneider prostete ihm augenzwinkernd zu.

      Stuhr musste aufpassen, dass er sich nicht verschluckte.

      Mahlzeit

      Dienstlich zu tun gab es in der Staatskanzlei heute nichts mehr. Selbstgefällig ordnete Oberamtsrat Dreesen seine Schreibutensilien entlang der oberen Schreibtischkante. Noch eine halbe Stunde, dann würde er an diesem sonnigen Freitagnachmittag ausstempeln. Er freute sich mächtig auf das Wochenende, denn am Sonntag würde er endlich wieder einmal in weiblicher Begleitung an der See entspannen.

      Das Telefon schreckte ihn hoch. Wer wagte es, ihn am heiligen Freitagnachmittag noch anzurufen? Im Display erkannte er, dass ihn sein Kollege Brodersen aus dem Wirtschaftsministerium anrief. Erfreut nahm Dreesen den Hörer ab, denn ein kurzes Schwätzchen würde ihm die Wartezeit bis zum Ausstempeln verkürzen.

      »Moin, Dreesen. Ist die Langeweile bei euch noch auszuhalten?«

      Sofort brauste Dreesen auf: »Was soll das denn heißen? Ich habe eine stramme Woche hinter mir. Euren ganzen Mist wegen dieser unterirdischen Kohlendioxid-Lagerstätte habe ich abgeeselt. Vor so viel Verwaltungskunst müsste eure gesamte Abteilung auf Knien vor mir herumrutschen. Einschließlich eurem Obersack von Abteilungsleiter.«

      Brodersen konnte in der Tat manchmal ein wenig querulatorisch sein, dann musste man ihn schnell mit einem harten Spruch zur Räson bringen. Aber ungerade war sein Kollege nicht. Natürlich hatte er den Nagel irgendwie auf den Kopf getroffen, denn den gesamten Wochenanfang war Dreesen von morgens bis abends auf seinem Bürosessel hin- und hergerutscht, um sich zu überlegen, wie er seinen sorgfältig geplanten Sonntagsausflug mit Jeanette Muschelfang sauber unter Dach und Fach bringen konnte. Er wollte ihr endlich das Du anbieten. Jenny. Das klang schon viel vertrauter als Jeanette und Sie.

      Brodersen zeigte sich ausgesprochen milde. »Komm ’runter, Dreesen, so war das nicht gemeint. Mein Chef hat mir sogar zwei Gehirnschrauben in die Hand gedrückt. Soll ich als Dank für deine Verwaltungskunst mit dir zischen. Er musste leider schon weg. Wann haust du denn ab?«

      »Halbig vier«, antwortete Dreesen unwirsch, denn er wusste genau, wohin Brodersens Abteilungsleiter entschwunden war. Er vergriff sich seit einiger Zeit an Dreesens ureigenstem Fleisch und Blut, an der Kollegin Schlenderhahn. Letzten Herbst hatte Dreesen noch den Finger an ihr gehabt, aber dann hatte Brodersens Abteilungsleiter unerwartet dazwischen gestochen. Jus primae noctis, hatte ihm Brodersen einmal augenzwinkernd beim Vorübergehen zugezischt. Das Recht der ersten Nacht. Sein anderer Spruch schmerzte ihn mehr: Ober sticht Unter. Nicht die Wortwahl tat weh, sondern die Machtlosigkeit gegen Brodersens Abteilungsleiter.

      Brodersen weckte ihn aus den Gedanken. »Weißt du was? Ich komme schnell noch einmal in dein Büro zur offiziellen Dankesbekundung.«

      Das kam Dreesen durchaus entgegen. Er willigte ein, denn ein neutraler Augenzeuge wie Brodersen wäre genau der Richtige, um seine Gegenantwort zu ›Ober sticht Unter‹ in Form von Jeanette Muschelfang in die Welt zu pusten.

      Nur wenig später stand Brodersen mit zwei Piepern vor ihm, wie man im Norden die kleinen Miniatur-Schnapsflaschen nennt. »Küstennebel, Dreesen. Ist gut, den kann man nicht riechen. Mohltied.«

      Dreesen konnte sich das Grinsen über den Trinkspruch nicht verkneifen, als wenn Brodersen einen Gruß zur Mahlzeit entbieten würde. Dreesen entgegnete mit seinem Klassiker: »Prostata.« Dann kippte er den Schnaps herunter. »Keine Angst, Brodersen, aus dir mache ich noch einen richtigen Verwaltungsbeamten.«

      Sein Kollege aus dem Wirtschaftsministerium freute sich. »Eigentlich bin ich eher friedlich gesinnt, das sind ja nun wahrlich nicht alle bei uns in der Landesverwaltung. Aber ich bin von Geburt Kriegsjahrgang. Da hat man gelernt zu überleben.«

      Auf den skeptischen Blick von Dreesen hin beeilte sich Brodersen, eine Ergänzung hinzuzufügen. »Baujahr 1953, Endzüge Koreakrieg.«

      Dreesen musste lächeln. Brodersen war ein feiner Kollege, mit dem man viele Attacken gegen die Landesverwaltung ins Leere laufen lassen konnte. »Schon gut. Am Mittwoch habt ihr aber mit diesem Antrag zur Kohlendioxidlagerung im Meeresgrund der Nordsee einen Haufen stinkenden Unrat auf meinem Schreibtisch platziert. Wie kamt ihr auf die Idee, dass ausgerechnet ich diese hochkomplexe Antragsmaschinerie der Energiewirtschaft verwaltungstechnisch zum Stillstand bekommen würde?«

      Brodersen zeigte sich ungeniert. »Wenn nicht du, Dreesen, wer denn sonst?«

      Das Lob gab Dreesen umgehend zurück. »Das hättest du auch gekonnt. Da bin ich mir sicher.«

      Brodersen wiegelte ab. »Früher musste ich immer die Schuhe von meinem großen Bruder tragen. Seitdem hatte ich nie mehr Lust, in den Schuhen eines anderen Mannes zu laufen. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen und als Amtsrat bin ich nicht unzufrieden. Aber ich weiß, wie es ist, wenn einem Schuhe zu groß sind. Nein, das war schon Spitzenklasse, wie du diesen Vorgang abgewürgt hast.«

      Zufrieden leerte Dreesen den Pieper.

      Brodersen hakte nach. »Sag mal, warum hast du uns eigentlich geholfen? Du warst doch die ganze Zeit für eine Beteiligung am Projekt, und für meinen Chef wirst du aus bekannten Gründen wenig übrig haben.«

      »Wegen Hesselbein«, zischte Dreesen voller Verachtung. »Der Karrieretyp, den sie mir nach dem Regierungswechsel vor die Nase gesetzt haben.«

      »Hesselbein? Was hat der dir denn getan?« Brodersen wurde neugierig.

      »Nun, ich habe das ganze letzte Jahr hart daran gearbeitet, dass ich an einem Projekt zur Errichtung einer unterirdischen CO2-Lagerstätte unter dem Watt mitarbeiten kann. Ich war deswegen

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