Eisaugen. Margit Kruse
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Читать онлайн книгу Eisaugen - Margit Kruse страница 11
Ehrfürchtig saß er hinter dem Steuer des noblen Daimlers. Sie lag auf der Rückbank, mit verklebtem Mund und auf dem Rücken gefesselten Händen. Die Augen vor Angst weit aufgerissen. Es war weit nach Mitternacht. Windgeräusche und monotones Motorbrummen zeugten von einer Autobahn. Stolz lenkte er das große Fahrzeug. Ein vorbeisausendes Schild. Haltern am See? Er nahm die nächste Abfahrt. Gar nicht mehr schön sieht sie aus, die blonde Iwona aus Warschau, sagte ihm beim Blick in den Rückspiegel ihr angstverzerrtes Gesicht.
Häuser, Läden, in weiter Ferne der nächtliche See. In einen einsamen Feldweg bog er ein.
»Jetzt gehörst du mir, du alte Nutte!«, sagte er mit zynischem Gesichtsausdruck. Seine John-Wayne-Stimme war ihm fremd.
Sie schloss zitternd die Augen. Große Bäume, weitläufige Felder, versteckte Häuser. Er durchfuhr eine Villengegend. Niemand hinter ihnen, kein vorbeihuschendes Auto. Einsamkeit auf weiter Flur.
Der Wagen fuhr in eine Einfahrt und hielt vor dem kleinen Tor, das er mit einem funkgesteuerten Gerät öffnete. Das Prasseln von Kies war zu hören. Der Daimler stoppte. Eine Garage tat sich auf und der Wagen verschwand. Walter stieg aus, öffnete die Fondtür und zerrte Iwona aus dem Auto. Der Eukalyptusgeruch, der sie aus seinem Mund streifte, verursachte ihr Übelkeit. Brutal schlug er auf sie ein. Sie blutete aus der Nase. Augenblicklich donnerten Fäuste auf ihren Kopf. Das Letzte, was sie wahrnahm, bevor sie in tiefer Bewusstlosigkeit versank, war ein derber Schweißgeruch, den selbst Walter an sich bemerkte.
Als sie erwachte, hatte er ihr bereits das Klebeband vom Mund entfernt und ihre Fesseln gelöst. Schlaff hingen ihre Arme herunter. Stöhnend saß sie an die Garagenwand gelehnt. Walter setzte sich neben sie und öffnete ihr die vollgeblutete Kostümjacke. War schließlich sein Kostüm, hatte er bezahlt. Er wusste, dass sie sich nicht wehren würde. Wenn doch, bekäme sie eben noch was auf die Fresse. Iwona wimmerte und spuckte Blut.
»Warum du tust das mit mir?«
»Weil du das brauchst, du Nutte!« Er kam sich groß vor. Mit Gewalt bekommt man alles im Leben, dachte er selbstgefällig.
Er schleppte sie zu einer Werkbank am Ende der Garage. Iwona mobilisierte den Rest ihrer Kräfte und trat ihn gegen das Schienbein. Walter schrie auf. Er warf sie auf die Werkbank, und bevor er sie darauf festband, schlug er wieder auf sie ein. Zwischen Bohrmaschine, Zangen und Schraubzwingen begann sie zu schreien. Walter holte eine Rolle Paketband aus seiner Hosentasche und verklebte ihr erneut den hübschen Mund, in dem vorn schon ein Zahn fehlte. Nun war endlich wieder Ruhe.
Zärtlich strich er ihr über das blonde, wellige Haar. »Jetzt wirst du bezahlen, zuerst für die Waschmaschine!«
Er griff nach einer großen Zange, holte mit dem Arm weit aus und schlug sie ihr mitten auf den Kopf. Plogg, machte es. Ein dumpfes Plogg und Iwona war auf dem Weg in den Nuttenhimmel. Da, wo sie hingehörte. Nachdem er ihr den Rock hochgeschoben und den Slip heruntergerissen hatte, öffnete er seine olivfarbene Cordhose aus den 80ern und holte seinen kleinen Freund heraus, der sich wohlig reckte und streckte. Gerade als er sich das rote Kostüm bezahlen lassen wollte, spürte er eine Hand in seinem Gesicht und hörte eine ihm wohlbekannte, vertraute Stimme.
»Was ist denn, Walterchen? Hast du schlecht geträumt? Du hast so laut geschrien, da bin ich wach geworden.«
Schweißgebadet setzte er sich auf. Sein Schlafanzug roch nach Szegediner Gulasch. Erschöpft ließ er sich wieder auf sein Kissen fallen. Sein Herz raste und ihm war schlecht. »Ich hatte einen Albtraum, Mutti.«
»Oh, du armer Junge, ich mach dir einen Tee. Dann geht es dir bald besser!«
»Nein, geh nicht, Mutti, bleib hier!« Seine Hände krallten sich in das verblichene Flanellnachthemd der alten Frau, die mit ihrem langen grauen Zopf gespenstisch aussah.
Der arme Junge, dachte sie, wenn er nur endlich eine vernünftige Frau fände. Dass ihr Walterchen schon über 50 Jahre alt war, verdrängte sie hartnäckig.
Wie souverän er den Wagen heute Nacht gelenkt hatte. Die Wirklichkeit sah leider anders aus. Völlig verstört von seinem bösen Traum machte Walter sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Seine Führerscheinprüfung hatte er nach der 78. Fahrstunde und dem dritten Anlauf zwar im Sommer vor drei Jahren bestanden, doch sein Auto, einen blauen Opel Astra, hatte er nach drei Monaten schweren Herzens wieder verkauft. Die Probleme, die er mit dem Linksabbiegen hatte, waren unüberwindbar, und nur mit Geradeausfahren und Rechtsabbiegen kam er nicht dorthin, wo er hinwollte. Seine letzte Fahrt endete am Nordring in Buer auf dem Mittelstreifen. Einen Tag später holte ein Arbeitskollege den Wagen dort ab. Aus der Traum von der mobilen Unabhängigkeit, inklusive Ausflüge mit Mutti durch die herrliche Landschaft außerhalb Gelsenkirchens. Weiterhin Bus fahren war angesagt. Oder bei schönem Wetter den Heimweg von der Arbeit zu Fuß über den Friedhof antreten, mit der Chance, eine Frau kennenzulernen. Er seufzte, bevor er in den Bus der Linie 397 stieg und sich auf seinen Stammplatz hinten rechts am Fenster setzte.
8.
Angst einflößend und geheimnisvoll wirkte der Dachboden des Wohnturmes auf Margareta. Es roch muffig und ihre Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, um sie Umrisse erkennen zu lassen. Es war der Spitzboden des Wohnturmes, mit einem winzigen runden Sprossenfenster, welches kaum Tageslicht hineinließ. Eine steile leiterartige Treppe hatte sie hier hinaufgeführt. Den Schlüssel zu diesem Verlies hatte sie reflexartig in ihre Hosentasche gesteckt, als sie ihn am Schlüsselbrett mit der Aufschrift ›Dachboden‹ in Karols Wohnung hängen sah. Doch was wollte sie hier?
Sie blickte suchend nach oben, hielt Ausschau nach Nestern, die Schleiereulen oder Fledermäuse beherbergten. Deine Fantasie geht mit dir durch, mahnte sie sich. Du hast zu viele Harry-Potter-Filme gesehen. Sie bewunderte die Dachbalkenkonstruktion. Stabile Holzbalken. So richtig was, um sich daran aufzuhängen. Ihr fiel eine damalige Nachbarin ein. Die Dickliche, mit dem großen Busen, von gegenüber. Sie hatte sich auf einem ähnlichen Dachboden erhängt. Eine Woche zuvor hatten alle Kinder der Siedlung, einschließlich Margareta, dort oben ein Schützenfest gefeiert. Diese Frau hatte den Kartoffelsalat für alle gemacht. Der Name der Frau war Margareta entfallen. Eine Woche später fand man sie erhängt auf besagtem Dachboden. Angeblich hatten sie Wechseljahrbeschwerden gequält. Diese Begründung konnte Margareta nicht nachvollziehen.
Es fehlte jegliche Isolierung, man hatte freien Blick auf die Dachpfannen, welche auf maroden Dachlatten ruhten.
Sie hörte ein leises Fiepen und ihr Herz begann zu rasen. Ratten. Sie hatte panische Angst vor Ratten. Aber es war nur eine Maus, die in der Ecke zwischen den Kisten entlanghuschte. Ein alter vergammelter, ehemals weißer Küchenschrank stand auf der linken Seite. Daneben ein Korbsessel, dahinter etliche Kisten, zwei Nachtschränkchen eines alten Schleiflackschlafzimmers, halb volle Eimer mit irgendeiner Flüssigkeit. In einem davon schwamm eine tote Maus. Als Margareta den Inhalt einer der Kisten genauer inspizieren wollte, hörte sie Schritte und etwas über den Boden schleifen. War ihr jemand gefolgt? Es war fast 20 Uhr und die Sonne gerade im Begriff unterzugehen. Auch daran hatte Margareta gedacht und eine Taschenlampe mitgenommen.
Sie hielt einen Augenblick inne. Die Geräusche verstummten, und sie öffnete gerade den vollgestaubten Karton, den sie vor sich hatte. Du hörst schon die Flöhe husten, beruhigte sie sich selbst. Wer soll sich denn nach hier oben verirren? In der Kiste befanden sich alte Kleidungsstücke, die mindestens 30 Jahre alt sein mussten. Herrenoberhemden mit riesigen Kragen und einer gestickten schwarzen Rose mitten auf der rechten Vorderseite. Sie konnte sich erinnern, dass ihr Vater damals solche Hemden trug. Blusen, mit riesigem Blumenmuster, sogar alte Büstenhalter entdeckte sie. Welcher Messie hortete denn so ein olles Zeug? In dem Moment, als sie sich den nächsten