Eisaugen. Margit Kruse
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Bedrückendes Schweigen. Liebevoll küsste er ihr Gesicht. Wenig später reagierte Margareta. Ihre Finger gruben sich fest in seinen Rücken. Sie kamen ein zweites Mal zur Sache.
Als er gegen 2 Uhr in seine Jeans schlüpfte und sich sein Flanellhemd überwarf, zog er sie noch einmal zärtlich an sich. »Ein Mann bringt mir die Schuhe. Er hat mehrere Trinkhallen und nimmt die Reparaturarbeiten an. Dienstags und freitags kommt er. Immer abends.« Aus seinen warmen Augen schaute er sie liebevoll an. »Bist du nun zufrieden?«
»Warum machst du so ein Geheimnis daraus?«
»Ich habe Angst. Ich will nicht entdeckt werden!«
Als sie ihn aus ihrer Wohnung gelassen hatte, lehnte sie sich erschöpft gegen die verschlossene Tür. Nein, Karol hat nichts damit zu tun, sagte sie sich. War sie sich da sicher?
6.
Christel stand bei Ostwind und fünf Grad Minus mindestens eine Stunde hier und starrte wie gebannt auf den winzigen, in der Wiese eingelassenen Grabstein. Ihr Mann Heinz Alshut lag unter dem Rasen eines Gemeinschaftsfeldes, welches an einen Soldatenfriedhof erinnerte. Der Schriftzug des Namens auf der kleinen Steinplatte war das einzig Persönliche, was den Toten von seinem Nachbarn unterschied. Eine ordentliche Gruft hatte er haben wollen, mit richtig schönem Grabstein und toller Bepflanzung. So viel wollte Christel jedoch nicht ausgeben von seinem, wie er immer sagte, ›sauer verdienten Geld‹. Ein Reihengrab wäre sogar günstiger gewesen als die Grabstätte auf dem Gemeinschaftsfeld. Doch da hätte sie sich ein Vierteljahrhundert um dessen Pflege kümmern müssen. Hier in seinem neuen Zuhause war alles im Preis mit drin. Rasenmähen, wann immer es nötig war. Keine saisonale Bepflanzung, kein Blumengießen, nichts. Wenn sie wollte, könnte sie eine kleine Vase neben der Steinplatte in den Boden drücken, mit frischen Blumen darin. Christel wusste nicht, ob sie es ihren Nachbarinnen gleichtun würde und das bescheidene Domizil ihres Göttergatten in ein Blumenmeer verwandeln sollte.
War die innere Zerrissenheit, die sie quälte, eine Phase der Trauer? Heute war sie zum ersten Mal seit der Beerdigung an seinem Grab. Vor ihren Augen spulte sich ein Film ab. Ihr gemeinsames Leben im Schnelldurchlauf. War es ein glückliches Leben, welches sie an der Seite von Heinz 46 Jahre lang geführt hatte? Sie hatten einen Sohn. Friedbert, ihr ganzer Stolz. Außerdem hatte Heinz ihr Sicherheit und Geborgenheit gegeben, für sie gesorgt, wie es so schön hieß. War ihr Ernährer, aber auch ihr Bestimmer gewesen. Das Weib sei dem Manne untertan, galt für Heinz selbst nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes im Jahre 1958 und der Änderung des Partnerschaftsgesetzes 1977, nachdem längst die Gleichberechtigung in den meisten Haushalten Einzug gehalten hatte. Oh ja, bei Familienfeiern konnte er große Sprüche klopfen. Emanzipation sei für ihn eine Selbstverständlichkeit. »Nicht wahr, Christel? Bei uns läuft alles partnerschaftlich.« Solange ich alles so gemacht habe, wie er es wollte, dachte Christel wehmütig. Wie sehr hatte sie kämpfen müssen, einen Weg aus ihrer Unselbstständigkeit zu finden. »Lass mal, Christelchen, ich mache das schon, kann ein Mann viel besser.« Das Gefühl, beschützt zu sein, hatte einen hohen Preis.
Jetzt war ihr Gebieter tot. Nun hatte sie die absolute Freiheit. Konnte tun und lassen, was sie wollte. Trotz ihrer 68 Jahre war sie gesundheitlich fit. Und doch fühlte sie sich müde und schwermütig. Das ist die Trauer, du wirst schon sehen, das ist die Trauer, sagte sie sich mehr als einmal.
Es waren ja auch gute Jahre, die Jahre mit Heinz. Obwohl sie damals, als sie mit 22 Jahren geheiratet hatte, sehr schnell von ihrer rosaroten Wolke heruntergefallen und unsanft auf die Erde geplumpst war. Damals, als er ohne ihr Wissen so mir nichts, dir nichts ihren guten Job kündigte. Als sie sich morgens, wie immer, an ihren Schreibtisch setzen wollte, um ihr Tagwerk zu beginnen, war sie unsanft von ihrem Chef angesprochen worden. »Christel, du arbeitest nicht mehr hier! Dein Mann hat gekündigt!« Bittere Vorwürfe hatte sie ihm am Nachmittag, als er von der Schicht nach Hause kam, gemacht. Sie hatte gerne gearbeitet. In ihrem jungen Alter war sie bereits Bürovorsteherin gewesen, mit gutem Gehalt. 350 Mark netto hatte sie verdient.
»Wir können das Geld doch gebrauchen, Heinz«, sagte sie ihm.
»Meine Frau braucht nicht zu arbeiten«, erwiderte er, mit vollem Mund zwischen Frikadellen und Stampfkartoffeln.
»Aber …«, wollte sie aufbegehren.
»Mach das, was deine Pflicht ist und werde langsam erwachsen, basta.« Die Diskussion war für Heinz zu Ende. Wo wäre er denn da hingekommen, wenn seine Christel weiter im Büro gearbeitet hätte? Seine Kumpels auf der Zeche hatten ihn lange genug damit aufgezogen, mit seiner berufstätigen Frau. »Wer hat denn die Hosen bei euch an?«, haben sie gefragt, die Kumpels, in der Kaue nach der Schicht, mit schwarz umränderten Augen, noch nach der Dusche.
Der vorbeiziehende Trauerzug riss Christel aus ihren Gedanken. Sie riskierte einen Seitenblick auf die ausgehobene Grube des Nachbarfeldes. Hier wird also das Mädchen ihre ewige Ruhe finden, dachte Christel. Sie wusste, dass heute die Beerdigung der ermordeten Sabine war. Aus Neugier hatte sie den Zeitpunkt ihres Friedhofsbesuchs so gewählt, um ein wenig der Beisetzung zuzusehen. Christel hatte das Mädchen vom Sehen gekannt. Sie war seit ein paar Wochen im Nachbarhaus ein und aus gegangen. Seit die Frau des netten Nachbarn mit ihren Kindern getürmt war, war Sabine das Liebchen eines verheirateten Mannes gewesen, was Christel nicht guthieß. Obwohl sie Sabine durchaus gemocht hatte. Stets hatte sie freundlich gegrüßt, ihren langen Pferdeschwanz keck nach hinten geworfen, wenn sie aus ihrem Auto gestiegen war. Ein hübsches Mädchen, fand Christel, so anders als all die anderen in ihrem Alter. Was warf sich dieses Naturkind einem verheirateten Mann an den Hals? Mehrmals in der Woche stand sie abends bei ihrem Liebhaber auf der Matte. Ihr Nachbar war mindestens 15 Jahre älter als das Mädchen. Und verheiratet! Und Vater zweier Kinder!
Immer, wenn sie ihrem Sohn Friedbert ihre Bedenken äußerte, schüttelte er nur den Kopf. »Lass die beiden, die sind alt genug«, hatte er stets geantwortet. Er hat ja recht, sagte sie sich.
Unsere Natter sind wir zum Glück losgeworden, dachte sie. Sie hatte Margareta nie gemocht und war froh, als sie oben aus Friedberts Haus auszog. Nie würde sie den Tag vergessen, als ihr Friedbert seine neue Freundin präsentierte. Mit strahlenden Augen, voller Stolz, schob er sie ins Wohnzimmer und stellte sie seinen Eltern vor. Christel spürte sofort, dieses Mal ist es anders. Das ist keine von seinen vielen sporadischen Bettgeschichten, die so schnell wieder vergingen wie ein Schnupfen. Die hier ist ein hartnäckiges Virus, das wir nur ganz schwer wieder loswerden. Und wie recht sie hatte. Drei Jahre hatte der liebe Friedbert unter der Margareta-Krankheit gelitten, bevor sie endlich auskuriert war. Ihr Gatte dagegen hatte die junge selbstbewusste Frau gemocht, die wusste, was sie wollte. Stundenlang konnten sie ausgiebig über irgendwelche politischen Themen diskutieren, miteinander scherzen und herzlich über alltägliche Dinge lachen. Politik hatte Christel nie interessiert. Heinz hatte ihr eingeredet, dass das für eine Frau unwichtig wäre. Eine Frau hat den Haushalt zu besorgen, um alles andere kümmert sich der Mann, war seine Devise. Trotzdem machte es sie wütend, wenn Heinz seinen Charme bei Margareta versprühte wie ein junger Gockel. Die Harmonie zwischen den beiden behagte ihr nicht.
Alle Versuche Margaretas, sich Christel freundschaftlich zu nähern, schlugen fehl. Ihre Interessen waren einfach zu verschieden. Sie hatten sich nichts zu sagen. Margareta fand Christel noch schlimmer als ihre eigene Mutter, und bereits nach wenigen Monaten des Zusammenlebens in einem Haus begann sie, die Frau in der Wohnung unter ihr einfach zu ignorieren.
Anstatt sich zu sagen, akzeptiere die Frau, die deinen Sohn so glücklich macht wie bisher kein weibliches Wesen, unterstützte Christel ihren Sohn sogar, als das alte Fieber bei ihm wieder ausbrach. Das Fieber unterhalb der Gürtellinie, das wie Feuer brannte und nur